LYVTEN

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Letzte Ausfahrt Winterthur

Thorsten Polomski kennt man als Sänger der Hardcore-Punkband BUBONIX oder der Metalcore-Band SIX REASONS TO KILL. Dann war es eine Weile still um den Frontmann mit philippinischen Wurzeln. Jetzt lässt er mit seiner neuen Band LYVTEN aufhorchen und zwar aus Winterthur in der Schweiz. Dorthin war Polomski vor Jahren von Deutschland ausgewandert. Und die Bergluft hat ihm hörbar gut getan, denn der Post-Punk-Sound von LYVTEN geht gut ins Ohr. Thorsten ist glücklich in seiner neuen Heimat und arbeitet dort als Tätowierer.

Wie kam es dazu, dass du 2008 in die Schweiz ausgewandert bist?


Ursprünglich komme ich ja aus Limburg an der Lahn in Hessen. Und zu der Zeit war ich irgendwie ziemlich ausgebrannt. Psychisch war ich überhaupt nicht stabil. Ich hatte drei Bands gleichzeitig: BUBONIX, SIX REASONS TO KILL und KARAOKE TILL DEATH mit den Jungs von BLACKMAIL. Damals bin ich auch Vater geworden, es war also ziemlicher Stress. Und meine Ex-Freundin hat schon in Liechtenstein gewohnt, das liegt direkt an der Schweizer Grenze. Deshalb wollte ich mich erden und Abstand gewinnen. Außerdem musste ich mich finanziell sanieren, denn mit Punkrock konnte ich mein Leben nicht finanzieren.

Du bist über Umwege in Winterthur gelandet und arbeitest dort in einem Tattoo-Studio. LYVTEN sind aber im Sommer 2013 in Zürich zusammen gekommen.

Unseren Bassisten Sandro kannte ich nur vom Sehen und wusste auch gar nicht, dass er Musik macht. Er war Kunde in dem Tattoo-Laden, in dem ich gearbeitet habe. Dann haben wir uns zufällig in der Roten Fabrik in Zürich bei einem Konzert von BLACKMAIL getroffen. Ich kenne BLACKMAIL ja schon ewig und Gitarrist Kurt Ebelhäuser hat damals auch meine Band BUBONIX produziert. Und Kurt hat Sandro und mich dann im Backstage zusammengebracht. Ich war ja aus der Punkrock-Szene voll raus und hatte zu Hause zwei Alben mit elektronischer Musik produziert. Gehört habe ich zu dieser Zeit nur Noise, Doom, Singer/Songwriter und Ambient-Kram.

Euer Sound klingt sehr nach norddeutscher Schule. Werdet ihr oft mit Bands wie TURBOSTAAT verglichen?

Mit Deutschpunk beschäftige ich mich erst so richtig, seit es LYVTEN gibt. Bands wie LOVE A kannte ich gar nicht. Tobert von TURBOSTAAT kenne ich zwar schon lange, aber mit seiner Art von Punkrock konnte ich nie viel anfangen. Das habe ich ihm auch mal gesagt. Da war er sogar ein bisschen sauer. Aber seitdem ich das selbst mache, gefällt mir das richtig gut. Großartig fand ich immer die Sachen von Jens Rachut, von ANGESCHISSEN bis zu BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE, und Bands wie DIE GOLDENEN ZITRONEN, DIE STERNE oder CPT. KIRK &. Das war die deutsche Sprache, die ich mochte. Dass wir wie eine norddeutsche Punkband klingen, ist mir aber nicht so bewusst. Ich bin ja großer Fan von JR EWING oder MOTORPSYCHO. Das kann man sicher bei dem einen oder anderen Riff von uns heraushören. Wir wollten eigentlich eine Hardcore-Band gründen und dann ist so was entstanden. Ich singe auch ganz anders als früher. Ich wollte auch bewusst nicht so klingen wie in meinen alten Bands.

Das ist so ziemlich die softeste Band, die du je hattest, oder?

Auf jeden Fall und es sind auch meine tiefgehendsten Texte. Ich musste mich erst mal wieder reinfinden. Es ist gar nicht so einfach, wenn man jahrelang draußen gewesen ist. Wie schreibe ich denn einen Text? Dann habe ich mir gedacht: Scheiß drauf, schreib einfach auf, was du fühlst. Und das habe ich dann einfach gemacht. Am Anfang habe ich noch überlegt, ob ich englisch singen soll, dann würde es diese Vergleiche heute vielleicht nicht geben. Das war also alles ziemlich unbewusst.

Wie läuft es aktuell in der Bandszene in der Schweiz?

Hier in der Schweiz gibt es sauviele Bands. Und wo ich wohne, in Winterthur, ist die Szene noch mal was Besonderes. Das ist ein bisschen wie Klein-Seattle. Es gibt ein tolles Netzwerk, man unterhält sich mit befreundeten Bands über seine Aufnahmen. Man schmiert sich aber keinen Honig ums Maul, sondern ist ehrlich zueinander. Aber die Label-Landschaft in der Schweiz ist ziemlich dürftig. In der Schweiz gibt es solche Labels wie in Deutschland überhaupt nicht. Da kümmern sich die Labels um alles. Hier zahlen die Bands die Aufnahme und die Pressung. Das Label macht nur noch seinen Stempel drauf und schaut, dass es in ein oder zwei Magazinen drin ist. Da passiert nicht viel.

Wie geht es dir als Deutscher in der Schweiz?

Der Ausländerhass hat hier ganz schön zugenommen. Vor allem gegenüber Arbeitskräften zum Beispiel im Pflegebereich. Leute, die Fachwissen haben, das man sich in der Schweiz gar nicht aneignen kann. Deshalb wird man als Deutscher in der Schweiz oft blöd angemacht. Das ist mir selbst auch schon passiert, vor allem wenn man kein Schweizerdeutsch spricht. Hier herrscht eine riesige Existenz- und Luxus-Angst. Die Leute sind hier total sicher und haben trotzdem Riesenschiss, dass ihnen irgendwas genommen wird. Und das macht mich einfach traurig.

Siehst du deine Zukunft in der Schweiz?

Ich bin hier endlich angekommen. Aufgewachsen bin ich in Deutschland und meine Jugend kurz nach der Wende war furchtbar. Egal, wie verbal aggressiv der Rassismus hier ist, man spürt ihn nicht so hart wie in Deutschland. Hier werden keine Ausländerheime angezündet oder Leute ermordet. Meine ganze Familie hat in Deutschland unter dem Fremdenhass gelitten. Meine Mutter war sogar schon so weit, dass sie auf die Philippinen zurück wollte. Weil der Ausländerhass zur Wendezeit so übel war, weil so viele aus dem Osten zu uns kamen, die noch nie über den Tellerrand geschaut hatten. Ich lebe gerne in Winterthur, weil es eine sehr alternative Stadt ist, wo der Background stimmt. Das ist anders als in Zürich.