NOFX

Foto© by Susan Moss

Das Ende ist nah

Im Dezember 2022 erscheint „Double Album“, die Fortsetzung von „Single Album“. Schon wieder ein neues NOFX-Album, lästern jene, die nie verstehen wollten, worin der Reiz der vor 40 Jahren in Los Angeles gegründeten Band liegen soll, und die mit dem bisweilen als provozierend empfundenen Auftreten von Sänger Fat Mike nie klargekommen sind. Zum Glück schon wieder eines, freuen sich die langjährigen Fans, die entsprechend entsetzt und ungläubig reagierten, als der in Personalunion auch als Boss von Fat Wreck Chords agierende angehende Museumsdirektor im August „mal eben“ das nahende Ende von NOFX ankündigte. Interviews mit Mike sind immer eine Wundertüte, geraten in den letzten Jahren immer wieder mal sehr intensiv und gehen in Themenfelder, auf die man sich nicht vorbereiten kann.

Mike, ich sehe keine Farbe in deinem Haar? Ganz schön grau, aber immerhin sind da noch Haare.

Ja, ich habe die Farbe rauswachsen lassen. Haare sind wichtig, wenn du in einer Band bist. Jeder in meiner Band hat noch viele Haare. Wie geht es dir?

Mir geht es gut. Wie geht es dir?
Ich habe gerade ein Haus in Las Vegas gemietet. Ich bin nach Las Vegas gezogen wegen des Punkrock-Museums.

Letztes Mal zeigtest du mir noch stolz die Bilder von deinem Pony-Track im Garten deines Hauses in Los Angeles ...
Nein, kein Ponyreiten mehr im Garten in Los Angeles. Jetzt wird es eine Menge Sachen geben, aber kein Ponyreiten mehr.

Bist du also fertig mit Los Angeles? Oder bist du der Typ, der alle paar Jahre eine Veränderung braucht?
Ich will kein Haus mehr besitzen und gehen können, wohin auch immer ich will. Falls du es noch nicht gemerkt hast: Die Welt geht gerade den Bach runter.

Las Vegas ist eigentlich nicht der Ort, an den ich in so einer Situation denken würde, mitten in der Wüste gelegen, kein Wasser ...
Aber das Geld ist hier, Steve Aoki ist hier. Und Barry Manilow. Las Vegas bekommt sein Wasser aus den Colorado Mountains, aus dem Colorado River, und das ist die einzige Möglichkeit, Wasser zu bekommen. Staaten wie Arizona und New Mexico wird das Wasser abgeschnitten, weil Wasser endlich ist. Das Wasser wird dorthin fließen, wo das Geld ist. Also will ich in der Stadt leben, wo es Geld gibt.

Hahaha, okay ...
Amüsiert dich das?

Nun, das ist eine sehr pragmatische Sichtweise.
Du weißt doch, dass der Eisschelf von Grönland und der Antarktis abbricht. Nicht in fünfzig Jahren, sondern in ein oder zwei Jahren. Ihr in Europa seid echt im Arsch, wenn das Wasser steigt, um verdammte drei Meter.

Na ja, ich bin 100 Meter über dem Meeresspiegel. Also bin ich sicher.
Aber denkst du, Venedig ist sicher? Oder Amsterdam? Und viele Regionen von Deutschland und Frankreich? Hier in den USA sind Florida und Louisiana auch fucked. Aber ich bin ja in Vegas, Baby.

Also ist die Punk-Konsequenz, dorthin zu gehen, wo es sicher ist?
Ich bin wegen des Museums hier. Wir sind gerade dabei, die einzelnen Räume zu gestalten, und ich will bei allem dabei sein. Jetzt, nachdem die Bauarbeiten abgeschlossen sind, kommen wir zum spaßigen Teil. Jetzt geht es darum zu entscheiden, was hineingehört.

Lass uns darauf später zurückkommen. Da du mit dem anderen Thema angefangen hast: Bei Punkrock ging es schon immer auch darum, sich Gedanken über den Zustand der Welt zu machen und was wir tun können, um sie zu verbessern, etwa unsere Flüge zu reduzieren und unseren CO2-Fußabdruck zu verringern ...
Willst du mich verarschen? Das ist alles vorbei, das ist erledigt. Ich meine, mal ganz im Ernst, alle Berichte der letzten Zeit lauteten: Es ist vorbei. Das Eis schmilzt. Die Stürme werden immer krasser. Du denkst, wir können etwas retten, indem wir weniger fliegen? Es ist vorbei!

Was sagt deine Tochter dazu?
Meine Tochter? Die ist 18. Sie geht aufs College. Sie hat eine tolle Zeit.

Sie ist aus der Fridays for Future-Generation. In dem Alter macht man sich Gedanken, weil sie betroffen sein werden. Du und ich werden vielleicht gerade noch erleben, was in dreißig Jahren ist.
Warum sagst du dreißig Jahre? Denkst du, der Eisschelf wartet noch dreißig Jahre? Siehst du die Stürme und Waldbrände nicht? Das ist hier, es ist jetzt. Die Arktis und die Antarktis schmelzen. In Alaska gab es 11 Milliarden Krabben, 10 Milliarden davon sind gestorben. Punkrocker versuchen also, die Welt zu retten? Wenn du etwas retten willst, dann versuch deine Community vor Ort zu unterstützen. Save the world? Go fuck yourself! Diese Zeiten sind vorbei. Wir stehen kurz davor, vom verdammten Putin in die Luft gejagt zu werden.

Aber nichts zu tun ist keine Alternative. Gegen den Klimawandel hilft es, statt auf Kohlestrom auf Solarstrom zu setzen.
Damit du dich besser fühlst?

Aber was willst du tun? Diese Frage stelle ich dir.
Ich sage es dir: Du kannst irgendwo hinziehen, wo es reiche Leute gibt, und einen Haufen Waffen kaufen. Nein, ich mache nur Spaß. Ich werde dorthin gehen, wo es Wasser und anständige Menschen gibt, und in diesem Land scheint es nicht viele anständige Menschen zu geben.

Also ziehst du nach Kanada, an einen See.
Ich gehe jedenfalls nicht nach Südamerika, da ist auch alles im Arsch. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wo ich hin will. Ich will gerade einfach nur die bestmögliche Zeit haben, mit so vielen guten Leuten wie möglich. Lies dir noch mal meinen Text zum Song „Generation Z“ durch – das ist absolut meine Meinung! Es wird keine fünfzig Jahre mehr dauern, bis alles den Bach runtergeht, sondern drei, vier, fünf Jahre. Wir werden wieder in einer Feudalgesellschaft leben, wo ein paar Reiche alles bestimmen. Wer sich damit nicht auseinandersetzt, der ist wirklich ein Träumer.

Du bist immer sehr offen und direkt in deinen Antworten, nicht sehr diplomatisch, wenn ich das so sagen darf, und das schätze ich an dir.
Ich bin pragmatisch, ja. Und politisch korrekt. Ich bin absolut politisch korrekt. Ich habe immer schon für die Menschenrechte gekämpft, für Tierrechte, für die Rechte der Homosexuellen. Wir behandeln unsere Angestellten in meiner Firma gut, und mit der Band versuchen wir tolle Musik zu machen und niemanden auszubeuten. Ich habe nie gelogen, wir haben nie jemanden abgezockt bei Fat Wreck. Wie könnte ich also nicht politisch korrekt sein?

Nun ... als ich dich für Ox #154 interviewte, sprachen wir auch über die Unterrepräsentation von Frauen in Punkbands, du sagtest unter anderem, Frauen würden anscheinend weniger gern ein Rockmusikinstrument lernen als Männer. Unter anderem dafür durfte ich, durfte das Ox ganz schön Scheiße fressen – also dafür, dass wir das gedruckt haben.
Oh, das hat den Leuten nicht gepasst? Ich werde jedenfalls keine shitty Bands unter Vertrag nehmen. Was für Bands sind gerade auf Fat Records?

Eine Menge gute Bands, finde ich.
Ist dir mal aufgefallen, dass die meisten unserer neu gesignten Bands entweder female fronted oder all-female sind? BAD COP/BAD COP, LAST GANG, BOMBPOPS, DAYS N DAZE, CLOWNS ... Das sind alles großartige Bands, in denen Frauen mitspielen, und zwei andere Bands mit Frauen habe ich gerade gesignt. Und THE SKINTS! Wenn ich also gesagt habe, dass es weniger Frauen im Rock’n’Roll gibt, ist das die verdammte Wahrheit. Wenn irgendjemand ein Problem damit hat, hat diese Person ein Problem, nicht ich. Ich nehme mehr Girl-Bands unter Vertrag als jedes andere Label da draußen. Und ich tue es nicht, weil es Frauen sind. Ich tue es, weil es tolle Bands sind, die ich auch unter Vertrag nehmen will. Ich bin auch gerade dabei, WE ARE THE UNION zu signen, die eine Transperson am Gesang haben. Und ich identifiziere mich selbst als Boy-Girl. Ach ja, AGAINST ME! sollte ich nicht vergessen. Ich finde es lustig, dass es die Leute stört, dass ich das gesagt habe. Es gibt einfach nicht viele Girls, die rocken. Jungs sind damit aufgewachsen, Gitarre zu spielen und Rockbands zu gründen, und in der Popszene gibt es mehr Mädchen. Willst du mir dafür die Schuld geben?

Du sagtest gerade, du definierst dich als Boy-Girl. Kannst du das erläutern?
Ich verhalte mich mindestens die Hälfte der Zeit weiblich, und ich kleide mich weiblich. Meine ganze Persönlichkeit verändert sich dann.

Wie hast du diese Seite deiner Persönlichkeit entdeckt?
Crossdressing habe ich schon seit meiner Teenagerzeit gemacht. In meinen Vierzigern kam das dann mehr zum Vorschein, und ich identifiziere mich heute als Boy-Girl. Und ich merke, das hilft auch anderen Leuten. Indem ich Kleider trage, mich weiblich kleide, gibt es ihnen auch die Möglichkeit, das zu tun. Ich bin nicht trans, aber wenn ich mich entscheide, kein Bro zu sein, werde ich sehr feminin. Und wenn ich dann ein Mädchen bin, verändert sich alles an mir, meine Stimme, mein Gesichtsausdruck. Ich verwandle mich in ein süßes Mädchen. Na ja, und ich habe zugegebenermaßen in letzter Zeit verstärkt nach Girl-Bands gesucht habe, weil ich glaube, dass sie nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Ich habe neulich noch die AQUADOLLS produziert.

In letzter Zeit wird oft der Begriff „toxische Männlichkeit“ verwendet. Nun hat sich das, was als akzeptables Verhalten angesehen wird, in den letzten Jahren deutlich verändert. Und was früher als „normales“ Verhalten von Männerbands durchgegangen ist, wird heute thematisiert.
Ich werde hier einen Punkt machen: NOFX sind schon länger als jede andere eine feministische Band. Der Song „Vanilla sex“ von „S&M Airlines“ von 1989 ist ein Frauenrechtssong. „Lori Meyers“ von „Punk In Drublic“ ist ein Frauenrechtssong: „You think I sell my body / I merely sell my time.“. Frauen müssen respektiert werden und Sexarbeiterinnen sollten dafür respektiert werden, dass sie ihre eigene Entscheidung treffen. Das ziehen wir schon seit über dreißig Jahren durch. Wir haben seit etwa zwanzig Jahren eine Regenbogenflagge auf unserer Bühne. Weißt du, es ist lustig, wenn du uns in die gleiche Kategorie wie PENNYWISE oder irgendeine Bro-Band steckst, SOCIAL DISTORTION oder was weiß ich. Weißt du, wir sind da vorangegangen. Ich bin queer. Ich bin ein Boy-Girl. Als Trump Transsexuelle und Transmenschen nicht zum Militär ließ, habe ich zum ersten Mal ein Foto von mir in sehr weiblicher Kleidung auf Instagram gezeigt. Ich meine, ich war angezogen wie eine Hure und ich verwende dieses Wort mit allergrößtem Respekt. Ich sagte, dass ich nicht trans bin, aber ich möchte meinen Trans-Brüdern und -Schwestern und der Community zeigen, dass ich an ihrer Seite stehe. Und seit den Neunzigern haben wir das mit NOFX so vertreten. „I’m a transvest-lite“ war auch so ein Song. Okay, der ist noch nicht so alt, aber in vielen unserer älteren Lieder geht es um die Rechte der Frauen. Die Leute können das nicht ignorieren und uns eine Bro-Band nennen – weil wir das nicht sind! Das waren wir noch nie.

Es ist immer eine Frage der Perspektive. Wenn man eine Skulptur fotografiert, sieht man eben nur eine Seite, es ist kein dreidimensionales Bild. Ich glaube, die Leute haben bis zu einem gewissen Grad diese eindimensionale Sicht auf deine Band. Würdest du dem zustimmen?
Ja, das ist genau richtig. Deshalb habe ich, als du mir diese Frage gestellt hast, zurückgefragt: Wie könnte ich nicht p.c. sein? Bei all den verdammten Songs, die wir gesungen haben, die sehr feministisch sind, etwa „The black and white“ über Andrea Dworkin und Catharine MacKinnon. Da ging es darum, dass Lesben und Feministinnen gegen Porno agitierten. Ich bin der Meinung, dass du gegen das Recht auf weibliche Selbstbestimmung bist, wenn du dagegen bist, dass Frauen Pornos machen. Soma Snakeoil, meine Ex, hat damit das Geld verdient, mit dem sie ihre Tochter auf eine Privatschule schicken konnte. Will der jemand sagen, dass das falsch ist, wie sie ihr Geld verdient? Fick dich. Sie ist eine Frau, sie kann tun, was sie will, und sie hat es nicht verdient, dass man auf sie herabschaut. Das geht die Leute einen Scheißdreck an! Ich habe schon immer für die Rechte der Frauen gekämpft, genauso wie für Gay Rights, für Menschenrechte. Aber die Leute sehen das nicht, oder?

Wie gesagt, es ist eine Frage der Perspektive. Aber ich denke, es gab eben auch Bühnenverhalten und Ansagen, die ein anderes Bild von dir gezeichnet haben.
Ja klar, ich mache mich über Leute lustig. Aber ich habe auf der Bühne noch nie etwas Sexistisches, Homophobes oder Rassistisches gesagt. Ja, ich sage Dinge, die den Leuten nicht gefallen. Ich sage Dinge wie: Sind heute irgendwelche schwarzen Menschen hier? Tja, aber es stimmt halt: Es kommen kaum schwarze Leute zu unseren Shows. Und dann kündige ich einen Song an mit „Das hier ist Musik von Schwarzen.“ Ich sage nicht, dass es afroamerikanische Musik ist, weil es aus Jamaika kommt. Es ist Musik von Schwarzen, die haben sie erfunden. Und wir sind weiße Jungs, die Musik von schwarzen Menschen spielen. Die Leute mögen so was nicht, aber ich habe nichts Falsches gesagt, sie mögen es nur nicht, weil es ihnen unangenehm ist. Und unangenehm sein, das tun wir mit NOFX. Oder nimm „Liza and Louise“. Ich hatte damals Verabredungen mit einer lesbischen Dominatrix namens Betty Bondage. Die sagte mir bei unserem dritten Mal: „Mike, ich muss dir was sagen: ‚Liza and Louise‘ hat mir geholfen, mich zu outen, als ich 16 war.“ Also ja, ich spreche Dinge aus, die den Leuten unangenehm sind, weil sie sie nicht verstehen. Das ist aber nicht mein verdammtes Problem. Von „72 hookers“ heißt es, es sei anti-muslimisch. Nein, es ist nicht anti-muslimisch, es geht darum, wie verkorkst die mit dem Thema umgehen. Das eigentliche Problem ist doch, dass die Leute keinen Sex haben können. Jungs sprengen sich in die Luft, weil man ihnen Jungfrauen verspricht. Die haben das nicht aus Hass auf Amerika getan, sondern wegen Jungfrauen. Dabei wollen die nur, was alle Teenager-Jungs wollen: Sex. Abgesehen davon: Jeder, der an Gott glaubt, ist seltsam.

Es geht also immer wieder um Sex.
Natürlich geht es um Sex! Die meisten Christen, die chassidischen Juden und jeder, der so sehr an diesen ganzen Scheiß glaubt, ist verdammt verkorkst.

Deshalb sind die Religiösen auch so versessen darauf, die Fortpflanzungsrechte der Frauen zu kontrollieren, ob nun die Katholen in Polen oder die Evangelikalen in den USA.
Ich habe neulich auf einer Kundgebung für Abtreibungsrechte gespielt – in einem Kleid. Ich war der einzige Mann dort, und einige Frauen sagten, was macht er denn hier? Na, ich bin hier für die verdammten Frauenrechte! Wenn also jemand was über mich sagen will bezüglich politically correct: besser mal ordentlich recherchieren.

Dein Museum ... wann macht das auf?
Die große Eröffnung ist am 13. Januar, und dann ist es von 12 bis 23 Uhr geöffnet. Und Frauen dürfen da nicht rein, weil Punkrock nur was für Männer ist.

Klar. Was gibt es da an Attraktionen?
Einen Jam Room.

Marmelade? Warum Marmelade?
Nein. Ein Jam Room. Mit Musikinstrumenten. Da kannst du dann zum Beispiel meinen Bass durch meinen Amp spielen. Fletchers Gitarre durch dessen Amp. Die Gitarre von Pete von SICK OF IT ALL. Den Bass von Lorna Doom von den GERMS. Und weißt du, was passiert, wenn jemand was kaputtmacht?

Was denn?
Der wird verprügelt. So wie das ihr Deutschen macht. Nein. Dann reparieren wir das eben. Klingt cool, oder? Und weißt du, was wir noch haben?

Na, was denn?
Tourguides. Für 100 Dollar. Bislang haben wir acht Tourguides. Du zahlst 100 Dollar und bekommst eine Stunde lang eine Führung durch das Museum in einer Gruppe von maximal zwanzig anderen Leuten. Roger Miret von AGNOSTIC FRONT wird einer der Guides sein , Don Bolles von den GERMS, Eric Melvin von NOFX, Casey Royer von D.I., Glen Matlock von den SEX PISTOLS, Warren Fitzgerald von den VANDALS, Paddy Costello von DILLINGER FOUR, Bryan Kienlen von BOUNCING SOULS, Louiche Mayorga von SUICIDAL TENDENCIES. Und ich. Jeden Tag sind zwei oder drei von denen da, du kannst das online sehen und entsprechend planen und buchen. Und dann gehst du mit Don Bolles von den GERMS durch die Ausstellung und lässt dir Geschichten erzählen. Die Kohle für die Führung geht an die Guides. Diese ganzen Musiker brauchen Geld! Und so können die mal 3.000 oder 4.000 Dollar am Tag verdienen! Und mal ehrlich, was würdest du machen? Die 30 Dollar für ein normales Ticket zahlen oder noch 100 Dollar drauflegen?

Wenn ich weiß, dass es direkt an diese Leute geht, finde ich das cool. Eine Menge Musiker haben nie viel Geld gesehen und müssen bis heute schauen, wo ihre Kohle herkommt. Es ist also toll, dass sie davon leben können.
Aber würdest du die 100 Dollar bezahlen?

Nach deiner Erklärung, ja.
Ich glaube, du wirst total begeistert sein. Ich jedenfalls würde bei der Tour mit Louiche von SUICIDAL TENDENCIES dabei sein wollen. Ich will seine Geschichten hören, ich will Don Bolles hören, Geschichten von den GERMS! Und die von Marky Ramone. Und auch die von jüngeren Musikern.

Aber keine von Frauen.
Ich habe dir doch gesagt: keine Frauen! Aber jaaaaaaa, natürlich werden wir auch Frauen als Guides haben, etwa Stacey Dee von BAD COP/BAD COP. Jemand von den LUNACHICKS. Cinder Block von TILT. Und viele andere Frauen. Jemand von den GO-GO’S? Nein, die haben genug Geld. Also keine Sorge, wir sind dran.

Wie groß ist das Museum eigentlich? So groß wie ein Supermarkt oder wie ein kleiner Club? Wie muss man sich das vorstellen?
Es sind etwa 1.100 Quadratmeter. Es ist ein zweistöckiges Gebäude, verdammt groß. Es gibt eine Bar. Wir bekommen die Bar vom CBGB’s.

Und die Toilette auch? Die war legendär.
Das haben wir nicht hinbekommen. Aber wir haben eine Tür vom The Masque in Los Angeles bekommen, wir haben Sachen aus dem Club 924 Gilman Street in Berkeley.

Konzentriert sich das Museum auf den US-Punk oder wird auch der europäische, der britische Punk berücksichtigt?
Du kannst uns ja ein paar deutsche Sachen besorgen. Ich habe schon so viele Leute gefragt und alle sagen klar, gerne, aber dann kommt nichts. Ich brauche Fotos von der Hafenstraße in Hamburg, wie Punks gegen Polizisten kämpfen. So Zeug. Ich brauche Fanzines. Axel von WIZO hat uns eine Gitarre gegeben. Ich will Sachen von den SPERMBIRDS, JINGO DE LUNCH und DROWNING ROSES. Von SLIME. Und generell sind mir alle Punkbands aus allen Ländern willkommen. Und ich will Bands aus allen fünf Jahrzehnten Punkrock. Ich sage dir, dieses Museum wird unglaublich und wenn du dort hingehst, wirst du sagen: Holy shit! Wir haben zum Beispiel den Amp, der auf der THE FAITH/VOID-Splitplatte zu sehen ist. Das Saxophon von FEAR. Einen Brief von Dave Grohl, den er mit 15 an die NECROS schickte, um nach Aufklebern zu fragen. All so was.

Hast du denn professionelle Museumsleute, also gelernte Kurator:innen? Hast du also professionelle Hilfe bei der Präsentation und der Art und Weise, wie ihr die Punk-Geschichte erzählen wollt?
Was denkst du, wer die ganzen Ideen hatte? Ich. Und Fletcher von PENNYWISE. Und Bryan Ray Turcotte, der das Punk-Flyer-Buch „Fucked Up And Photocopied“ gemacht hat. Ich wollte ja ursprünglich nur einen Punk-Laden in Vegas eröffnen, mit allem möglichen coolen Zeug. Aber meine Freundin Lisa Brownlee von der Warped Tour schlug vor, wir sollten eine Ecke im Laden haben, die alte Artefakte von Punkbands ausstellt. Und dann bin ich nach Vegas gefahren und habe mir mögliche Ladenlokale angeschaut, und die Läden wurden immer größer, und schließlich wurde daraus ein Museum mit Laden darin. Lisa und ich arbeiten seit zwei Jahren daran, und Leute wie Vinnie von LESS THAN JAKE, Fletcher und eine Menge anderer toller Leute helfen dabei. Aber ich hatte die Idee für den Jam Room und die Tourguides, und dass alle fünf Jahrzehnte Punk abgebildet werden sollen. Ich war neulich hier in Las Vegas auf einem Festival und habe Bands wie STORY OF THE YEAR, HAWTHORNE HEIGHTS und THE USED getroffen. Zu denen habe ich gesagt: „Hey, bitte kommt ins Museum.“ Und sie fragten: „Echt, du willst uns in deinem Museum?“ Ich antwortete denen, klar, sie hätten ja auch als Punkband angefangen, und sie jetzt auszuschließen, nur weil sie groß geworden sind, wäre falsch.

In einer simplen Antwort auf einen Kommentar zu einem Post bei Instagram hast du Ende August mal eben das Ende von NOFX für 2023 angekündigt. Ein Fan fragte, warum NOFX nicht endlich mal wieder nach Kanada kommen, und du antwortest: „Wir lieben Kanada, es ist nur so, dass nächstes Jahr unser letztes sein wird. Wir werden unsere letzten Konzerte bald ankündigen.“ Ist das so, und warum hast du das auf diesem Wege angekündigt?
Das ist so nicht der Fall, und wie heißt es? „Loose lips sink ships.“

Eine Redewendung aus dem Zweiten Weltkrieg lautet: Unvorsichtige Äußerungen können gravierende Folgen haben ...
Also: NOFX gibt es seit vierzig Jahren. Wir spielen Konzerte in vierzig Städten. Wir spielen vierzig verschiedene Songs in jeder Stadt. Wir spielen jedes Album und jeden Song, den wir je aufgenommen haben. Jede Show wird komplett anders sein. Das wird sich ein bisschen länger hinziehen als 2023, es wird bis ins Jahr 2024 gehen. Aber das war’s dann auch. Wir sind nicht MÖTLEY CRÜE oder BLACK SABBATH. Ich mache dann was anderes.

Was war der Grund für diese Entscheidung?
Ich musste mich jahrelang für jede Show komplett fertig machen. Ich will das nicht mehr. Ich will nicht mehr so ein Entertainer sein, der alte Lieder spielt. Ich mag es, Menschen glücklich zu machen, aber ich denke, ich habe wichtigere Dinge zu tun. Wir haben zuletzt ein paar Shows in Städten gespielt, wo wir nie wieder spielen werden, wie Vancouver und Edmonton, und wir waren wirklich gut. Wir haben uns angestrengt und es waren tolle Konzerte. Wir haben so viele coole Songs und Alben, die will ich alle noch mal spielen. Und dann will ich mich um andere Dinge kümmern. Ich will der Welt auf andere Weise Freude bereiten.

Hast du das zunächst für dich selbst entschieden und dann deine Bandkollegen damit konfrontiert? Oder war das eine gemeinsame Entscheidung?
Ich habe diese Entscheidung getroffen. Die anderen war nicht begeistert davon. Aber was kann ich tun? Ich will andere Dinge tun. Die letzten Shows sollen etwas ganz Besonderes werden. Es ... ist sehr traurig, aber ... ich will mich nicht mehr vor jedem Auftritt fertig machen müssen, total abgefuckt sein. Ich will nicht zu einem Clown auf der Bühne werden und eine Figur spielen müssen. Weißt du, ich bin es einfach leid, Fat Mike zu sein.

Was hat es gebraucht, bis du an dem Punkt warst, diese Entscheidung zu treffen? Oder gab es da einen konkreten Auslöser?
Nein, ich habe jahrelang gebraucht. Und es wird okay sein, ich habe ja noch Fat Wreck Chords und die anderen haben auch alle noch anderes laufen. Ich bin jetzt 55. Ich habe einfach keine Lust mehr, und es ist eine sehr schwere Entscheidung. Meine Band steht hinter mir, sie versteht das. Wir freuen uns wirklich darauf, diese letzten Konzerte zu spielen. Diese Shows werden verdammt gut, und wir machen ein Live-Album von jeder Show, ein Triple-Vinyl-Album. Wir machen Shirts von allen früheren Touren, es werden jeden Abend 150 Leute mit uns auf der Bühne stehen und wir werden hundert Prozent geben. Es wird etwas ganz Besonderes sein, und darauf freue ich mich. Alle Platten, vierzig Städte!

Und davon auch ein paar in Deutschland, hoffe ich.
Wir werden auf jeden Fall in Hannover spielen, ich mag den Laden da. Und ich rede von vierzig Städten, nicht vierzig Shows ... Wir werden also am einen Abend zum Beispiel „White Trash, Two Heebs And A Bean“ spielen und „Wolves In Wolves’ Clothing“ am folgenden Abend. Wir werden jedes Album spielen.

Wow. Du kennst immer noch alle Texte auswendig?
Das ist ein Problem. Jemand hat mich das neulich schon mal gefragt. Ja, das wird ein Problem sein. Ich erinnere mich nicht einmal an die Texte unserer neuen Songs, verdammt noch mal! Ach, ich lasse mir was einfallen. Die Shows werden immer zwei oder drei Wochen auseinander liegen. Wir spielen immer an Wochenenden, also etwa zwei Abende in Barcelona. Aber ja, das mit den Texten ist ein guter Punkt. Und nein, ich kann mich nicht an die Texte erinnern. Sorry. Aber an die meisten Akkorde kann ich mich erinnern, und wenn ich es verkacke, was soll’s. Und ja, das wird alles aufgenommen. Es wird charmant werden.

Ich sehe dich schon mit Lesebrille auf der Bühne stehen, ein Notenpult vor dir, und zwischen den Songs musst du die Textblätter umblättern.
Nein. ich werde eine Computerbrille haben, die mir die Texte einblendet. Wir werden also viel proben müssen, und wenn ich sie singe, werde ich mich schon an die Texte erinnern.

Anfang Dezember 2022 ist das neue Album „Double Album“ erschienen, das wohl schon fertig war, als letztes Jahr „Single Album“ erschien.
Und ich habe noch vier Alben fertig, die bald erscheinen werden.

Die kommen ... wann?
Das ... geht dich gar nichts an, haha. Während der Pandemie habe ich eine Menge aufgenommen.

Du als Cokie The Clown? Oder NOFX?
Nein, wir haben vier weitere NOFX-Alben fertig.

Kommst du jemals zur Ruhe? Oder musst du ständig was machen?
Ich höre niemals auf. Es ist sogar noch schlimmer geworden. Früher gab es alle drei Jahre ein neues NOFX-Album, jetzt habe ich gleich vier Alben geschrieben und aufgenommen und noch ein paar andere Sachen gemacht. Wie das MELVINATOR-Album. Um mich zu entspannen, lasse ich mich von einer Domina fesseln und schlagen. Dann kann ich an nichts anderes mehr denken. Aber tatsächlich ist es in letzter Zeit besser geworden, ich bin ruhiger als früher. Und wenn das Museum dann mal eröffnet ist und es mit NOFX vorbei ist ...

Wir müssen noch über das neue Album sprechen ...
Es ist die zweite Hälfte des Doppelalbums. Und ich denke, es ist eine gute zweite Hälfte. Als „Single Album“ kam, waren diese Songs noch nicht ausgereift. Aber sie sind es jetzt. Es sollte ja zuerst eine Doppelalbum werden, aber ein Teil der Songs war damals einfach nicht fertig, die Texte und so. Ich glaube, „Single Album“ ist die bessere Platte. Aber ich vermute, dass die Leute die neue Platte lieber mögen werden, weil sie lustig und schnell ist – ganz anders als „Single Album“. Das ist ein so trauriges Album, aber ich liebe es und es hat tatsächlich die besten Kritiken bekommen, bessere als jedes andere Album. Ich war echt glücklich – 9/10-Reviews überall. Ehrlich, ehrlich, wir hatten so viele tolle Kritiken.

Was, denkst du, hat die Leute dazu gebracht?
Es ist anders. Es ist ein erstaunliches Album. „Your last resort“ ist einer meiner absoluten Lieblingssongs, einer der besten, die ich je geschrieben habe, und „The big drag“ auch. So etwas gibt es bei keiner anderen Band. Oder „Doors and fours“ über die Punk-Szene von L.A. Schau dir unbedingt mal das Video an ... Es ist anders als alles andere, es kommt alles von Herzen. „Fuck euphemism“ hat einen tollen Text. Oder wenn ich in „Birmingham“ beschreibe, wie ich feststelle, wer ich bin, wenn ich in Birmingham Drogen vom Fußboden schnupfe. Es ist total persönlicher Scheiß und es klingt wie keine andere NOFX-Platte.