AMITY AFFLICTION

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Fixpunkt Hoffnung

Die Konstanz und Hartnäckigkeit, die THE AMITY AFFLICTION seit zwanzig Jahren an den Tag legen, sucht ihresgleichen. Wer es auch nach so langer Zeit noch schafft, mit jedem Album zu wachsen, sich konsequent weiterzuentwickeln und die Messlatte nochmals höher zu legen, der gehört zur absoluten Speerspitze des Metalcore. Mit „Not Without My Ghosts“ erschien vor kurzem Album Nummer acht des umtriebigen Quartetts aus Australien. Ein Manifest der Hoffnung und Zuversicht bei all der Dunkelheit, die unsere Welt momentan zu bieten hat. THE AMITY AFFLICTION scheuen sich noch immer nicht, tief in ihre Gedankenwelt blicken zu lassen und Verletzbarkeit als einen Fakt zu offenbaren, ohne dies als Schwäche werten zu wollen. Man bleibt sich selbst treu. Mit Bassist und Goldkehlchen Ahren Stringer lassen wir die letzten zwanzig Jahre Revue passieren und reden auch über das aktuelle Album.

Verdammt noch mal, zwanzig Jahre THE AMITY AFFLICTION! Vielleicht kannst du unseren Lesern einen kurzen Abriss geben was, in dieser langen Zeit so alles passiert ist?

Wir haben acht Alben veröffentlicht, wir haben unfassbar viele Touren gespielt, wir haben jede Menge falsche Entscheidungen getroffen, aber auch verdammt viele richtige. Wir haben sicherlich zu viel Bier getrunken, hatten dabei aber meistens verdammt viel Spaß. Wir haben tausende Male unser zu Hause vermisst, immer und immer wieder. Rückblickend war das eine verrückte, fordernde, aber auch unfassbar großartige Zeit. Das wird dir zwar jede Band immer wieder erzählen, aber wir sind so unendlich dankbar, dass wir das alles hier machen dürfen und die Leute es noch immer lieben. Von der eigenen Musik zu leben, ist das schönste Geschenk, das uns das Leben machen konnte. Natürlich gibt es Schattenseiten. Es ist nicht einfach, so oft von zu Hause weg zu sein. Das Heimweh wird nicht leichter, egal wie oft du es spürst. Aber das ist eben der Preis, den man zahlen muss, um das zu tun, was man liebt. Es gibt so viele Highlights, dass man diese kaum aufzählen kann.

„Not Without My Ghosts“ ist euer härtestes Album seit langer Zeit. Wie kam es dazu?
Es ist eine Kombination vieler Faktoren gewesen, würde ich sagen. Es hat sich für uns einfach richtig angefühlt. Dabei hat sich genau dieser Aspekt bereits länger abgezeichnet. Wir hatten einfach wieder mehr Lust auf harte Musik. Ich glaube, es war auch der richtige Zeitpunkt. Wir alle lieben seit jeher harte Musik, und diese war ja auch immer ein bedeutender Teil von THE AMITY AFFLICTION. Hinzu kam die Pandemie, die viel Leid verursacht hat, gepaart mit einigen persönlichen Verlusten gab es verdammt viel aufzuarbeiten. Da musst du manchmal auch einfach alles hinausschreien. Ich glaube, wir konnten das Geschehene mit härteren Songs besser beschreiben und auch verarbeiten. Wir sind so happy mit dem Ergebnis und haben einige der härtesten Songs unserer Bandgeschichte aufs Album gepackt. Wir freuen uns auch riesig darauf, die Songs live spielen zu können. Das werden ein paar wirklich heftige Konzerte.

Auch die Features auf eurem neuen Album lassen aufhorchen. Gibt es dazu eine Geschichte?
Bei Andrew Neufeld von COMEBACK KID, Landon Tewers von THE PLOT IN YOU und Louie Knuxx, einem neuseeländischer Rapper, der leider bereits 2021 verstorben ist, handelt es sich um langjährige Freunde und wundervolle Menschen, mit denen wir bereits die Bühne teilen durften. Phems Stimme ist phänomenal und wir wollten sie unbedingt für das Projekt gewinnen. Sie hat mit ihrem Gesangsstil noch mal eine völlig andere Facette eingebracht. Diese wundervollen Freunde haben den Songs eine eigene Note verliehen, die sie zu etwas ganz Besonderem macht. Wir hätten uns keine besseren Menschen für die Songs aussuchen können. Features sind immer sehr spannend, aber Features mit Freunden sind einfach super.

Eines der wiederkehrenden Themen in eurem Bandkosmos ist Waffengewalt. Wie ist da eure Sicht der Dinge?
Gerade in den USA sind Waffen ein riesiges Problem. Es ist so einfach, an eine Waffe heranzukommen und damit unfassbar viel Leid zu erzeugen. Wie viele Tode hätten verhindert werden können? Wie viele Massenschießereien und auch Suizide wären nie geschehen, wenn es strengere Regelungen gäbe und die Verfügbarkeit von Waffen stärker eingeschränkt werden würde? Man darf nicht müde werden, die Stimme gegen Gewalt jeder Art zu erheben, aber die Waffengewalt in den USA hat schon auch eine eigene Dimension. Ich kann an dieser Stelle nur auf Joels Twitter-Account verweisen: @joelfcbirch. Er hat sich extrem viel mit dem Thema auseinandergesetzt und ich finde es wichtig, sich seine Meinung dazu anzuhören.

Gerade Hoffnung ist einer der wichtigsten Fixpunkte in euren Lyrics. Wie kann man sich die bewahren, bei all der Scheiße, die gerade so in der Welt passiert?
Man muss immer versuchen, sich seine Hoffnung zu bewahren, egal wie schwer alles ist. Es kommen auch wieder bessere Zeiten. Gerade auf „Not Without My Ghosts“ gibt es viele Songs, die mir geholfen haben, die Hoffnung nicht zu verlieren. Trotz einiger großer Verluste bin ich noch immer hier und weigere mich, die Hoffnung aufzugeben. Man darf scheitern und fallen, aber man muss versuchen, immer wieder aufzustehen. Das fällt zwar manchmal extrem schwer, aber vielleicht kann unsere Musik einen kleinen Teil dazu beitragen.

Schon immer hat man das Gefühl, die Verbindung zu euren Hörern und Fans geht weit über das normale Verhältnis Band/Fan hinaus. Wie schafft ihr es, so nah an euren Fans dran zu sein und so auf Augenhöhe mit jedem zu interagieren?
Ich glaube, wir sind einfach sehr ehrlich. Wir beschönigen nichts und wollen auch nichts darstellen, was wir nicht sind. Wir sagen, was wir denken, und eben auch manchmal etwas, das man nicht hören will oder auch mal wehtut. Ich glaube, diese Ehrlichkeit kommt bei unseren Fans an. Sie wissen, dass das, was wir sagen und tun, immer mit voller Überzeugung geschieht. Die Leute durchschauen Fakes und Unehrlichkeit, Schauspiel und aufgesetzte Freundlichkeit. Also sparen wir uns diesen ganzen Müll und sind einfach wir selbst. Wir haben keine Angst, über unsere Schwächen und Ängste zu sprechen. Wir sind ja schließlich auch nur Menschen wie du und ich. Ehrlichkeit währt am längsten. Joel macht zum Beispiel keinerlei Hehl aus seiner bipolaren Störung und seiner Depression. Er geht offen mit diesen Themen um und bietet sogar Betroffenen Hilfe in Form von Gesprächen an. Diese Nahbarkeit trägt dazu bei, eine tiefere Verbindung zu schaffen.

Mit so vielen Nummer-eins-Platten im Gepäck, wie schafft man es, sich immer wieder neu zu motivieren? Was sind eure großen Ziele und Träume?
Hohe Chartplatzierungen sind zwar sehr schmeichelhaft, aber wir versuchen eigentlich immer nur, das Beste aus uns und unserer Musik herauszuholen. Das Ziel ist es immer, etwas zu schaffen, das unsere Fans lieben. Wenn man dann in den Charts landet, ist dies zwar schön, aber nicht unser Ziel. Wir lieben es, wie sehr uns unsere Hörer unterstützen, und wir wissen mittlerweile auch genau, was sie wollen. Wir würden uns allerdings niemals verbiegen, um erfolgreicher zu sein. Das Ziel ist also, noch so lange wie möglich auf diesem Niveau unseren Lebensunterhalt mit unserer Musik zu bestreiten und noch ein paar gute Platten zu veröffentlichen. Solange wir selbst und unsere Fans happy sind, können wir das auch gerne noch die nächsten zwanzig Jahre machen. Oder vierzig. Oder so lange, wie es uns und euch Spaß macht.

Ihr habt „Not Without My Ghosts“ erneut komplett in Eigenregie produziert. War dies im Vorfeld klar oder hattet ihr auch überlegt, wieder mit einem Produzenten zu arbeiten?
Ich glaube nicht, dass wir diese Herangehensweise noch mal verändern werden. Ich meine, sag niemals nie. Man hat im Musikbusiness ja schon so ziemlich alles erlebt. Aber momentan ist eine Veränderung hier unvorstellbar. Die Freiheiten, die man sich selbst mit einer eigenen Produktion verschafft, sind überragend. Hinzu kommt, dass wir mir Dan einen Mann in den eigenen Reihen haben, der die Produktionsarbeit einfach liebt und als Mitglied von THE AMITY AFFLICTION genau weiß, was wir brauchen. Diese Arbeitsweise nimmt gehörig viel Druck von unseren Schultern. Wir können uns ganz anders verwirklichen, als wenn einem ständig jemand sagt, was besser oder schlechter wäre. Wir lieben das. Wir haben sowieso eine gute Arbeitsmoral und brauchen niemanden, der uns antreibt oder uns sagt „probier mal dies“ und „probier mal das“. Da fordern wir uns schon selbst und probieren uns aus. Wenn wir mit der Arbeit an einem neuen Album starten, haben wir eine ziemlich klare Vorstellung davon, wie es am Ende werden wird. Natürlich experimentiert man und versucht, Aspekte am eigenen Schaffen neu zu erfinden, aber der grobe Rahmen ist jedem von uns im Vornherein klar. Das passt so schon alles für uns und wir hoffen, das Ergebnis spricht für sich.

Was steht dieses Jahr noch so alles an bei euch?
Zuerst einmal kommt die Festival-Saison. Wir freuen uns auf die ganzen großen und kleinen Open Airs, auf denen wir spielen dürfen. Im September werden wir zusammen mit PARKWAY DRIVE in den USA touren und im Oktober in Australien. Mehr darf ich jetzt nicht verraten, aber es stehen noch einige verdammt coole Sachen für 2023 an. Lasst euch überraschen. Ich bin ziemlich aufgeregt, was da noch so alles kommt. Nach einem schwierigen Start werden die Zwanziger Jahre ziemlich großartig!