BRUTAL VERSCHIMMELT

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Etwas erwachsener nach dreißig Jahren

BRUTAL VERSCHIMMELT, 1980 gegründet, spielten 1983 ihr erstes und bisher einziges Album für das Kölner Label Rock-O-Rama ein. Der Kemptener Band erging es wie anderen Punkbands auf diesem Label. Grottenschlecht abgemischt, ein Beiblatt ohne die Polittexte und mit einem Cover, das der Labelchef Herbert Egoldt ohne Rücksprache mit der Band ausgesucht hatte, erschien die LP nur kurze Zeit, bevor ROR die ersten Nazi-Platten veröffentlichen sollte. Wir nahmen die geplanten Rereleases von BRUTAL VERSCHIMMELT auf Power It Up zum Anlass, um mit Bassist Carlo nicht nur über vergangene Zeiten zu sprechen, sondern auch darüber, wie es ab 2013 mit der Band weiterging und was in Zukunft noch von ihnen zu erwarten ist. BRUTAL VERSCHIMMELT sind außerdem Klaus, Gitarre, Max, Gesang und Saxofon, und Norm, Schlagzeug.

Carlo, wie bist du damals auf Punk aufmerksam geworden und wann hat dich das Virus selbst erfasst?

Wir waren alle auf derselben Schule, dem Allgäu-Gymnasium in Kempten, mit über 1.500 Leuten die größte Schule in der Gegend. In meiner Klasse war auch F, der erste Trommler von BRUTAL VERSCHIMMELT, der mich früh für schräge Literatur begeisterte. Seinen Namen wollte er schon nicht mehr auf der BRUTAL VERSCHIMMELT-LP sehen, er hat sich bereits in den Achtzigern vom Punk abgewandt. Als ich 13, 14 Jahre alt war, hörten F und sein zwei Jahre älterer Bruder Bernhard, der Gitarrist, bereits Punkrock. Sie wiederum hatten die Initialzündung von ihrem Nachbarn, Deutschlehrersohn und Halbengländer Daniel, dessen ältere Schwester Ende der Siebziger in London war und Anregungen von dort mitbrachte.

Was bedeutete Punk damals für dich, wie war dein Zugang?
Ich hatte zuvor kaum Musik gehört und nicht viel am Hut damit, da das inhaltsleere Pop-Gelulle mir nichts gab. Das Aufmüpfige, Freche und Anarchische am Punk sprach mich dagegen sehr an. Wir hörten zu Beginn sehr viel die Radiosendung „Zündfunk“ auf Bayern 2 – das war die beste Alternative zu „Pop nach 8“ mit Thomas Gottschalk auf Bayern 3. Die Brüder zogen viele Tapeaufnahmen aus der Bayern 2-Radiosendung „Zündfunk“. Ich hatte zu Hause selbst keine derartigen Einflüsse – weder ältere Geschwister noch überhaupt ein Musikabspielgerät. Lediglich aufgenommene Tapes konnte ich mir auf einem kleinen Kassettenrecorder meiner Mutter anhören, den sie sich für Englisch-Kurse besorgt hatte.

Wir kam es dann zur Gründung von BRUTAL VERSCHIMMELT, und wie waren die Reaktion?
Entzündet von den ersten Punk-Einflüssen, beschlossen wir Schulfreunde 1980 selbst eine Band zu gründen. Da musste zunächst das auf den Schenkeln trommeln unter der Schulbank reichen. Recht bald, im Sommer oder Herbst 1980, beschlossen mit mir drei aus meiner 9. Klasse sowie der zwei Jahre ältere Bernhard und Sänger Daniel, der im Nachbarhaus der beiden Brüder wohnte, eine Band zu gründen, den Vorläufer von BRUTAL VERSCHIMMELT. Zunächst nannten wir uns ADOLF ASTREIT & DIE NS-VERBRECHER, dann PSYCHOROTZ. Im Dezember 1980 kaufte ich mir von all meinem Ersparten mein erstes Instrument, einen gebrauchten Ibanez-E-Bass mit Verstärker – der H&H steht heute noch in der Gitarrenbauwerkstatt der Woodwarriors in Hannover zum Bässe testen. Ich war mit 14 Jahren der Jüngste und Bernhard mit 16 der Älteste. Mit dieser Band und den sich da bald herausbildenden BRUTAL VERSCHIMMELT agierten wir zunächst an unserer Schule. Wir probten dort im Zeichensaal, gaben im Sommer 1981 dort zum Schuljahresende unser erstes, Kopfschütteln auslösendes Konzert bereits mit einem neuen, offensiveren Sänger, „Happy“ – Herbert Müller, einem Wirtssohn aus Weitnau im Ostallgäu. Das zweite Konzert an einem kleineren Gymnasium in Kempten am Folgetag endete in einer Schlägerei. Kurz darauf flogen wir aus dem Schulübungsraum raus, da die Nachbarn das nicht ertrugen.

Wie habt ihr das Proberaumproblem gelöst?
Daraufhin probten wir auf einem stillgelegten, von Bekannten nahe meines Dorfes Wiggensbach angemieteten Bauernhof im entkernten Kälberstall – aber auch dort machten die beiden benachbarten Bauernhöfe ein Jahr später nicht mehr mit. Uns jungen Nachwuchstalenten gönnte man dann einen Übungsraum in der Städtischen Musikschule. Der sehr komfortable Raum kostete uns nur symbolische 100 Mark pro Jahr – der totale Akustik-Luxus, da es sich um den noch nicht technisch ausgestatteten Tonstudioraum handelte. Dabei war dann als neuer Sänger auch Role, der spätere Sänger von THE EWINGS, unser Frontmann. Leider musste er wegen Trouble mit seinem Vater die Band verlassen und Max, unser Saxofonist ab 1982, übernahm das Singen. In dem Musikschulraum machten wir aber recht ordentliche Demoaufnahmen mit dem Tapedeck, die schließlich zur Rock-O-Rama-LP führten. Lustig war, dass eines Tages die uns durchaus bekannten B.TRUG-Leute durch das Innenhoffenster in unseren Übungsraum guckten. Durch unser Fenster entdeckten sie beim Pissen im Hinterhof, dass wir die ganze Zeit nur wenige Meter auseinander probten. B.TRUG hatten ihren Übungsraum in feuchtkalten, 400 Jahre alten Katakomben unter dem benachbarten Möbelhaus, das dem Onkel des B.TRUG-Gitarristen Pit Hold gehörte. Als wir später aus der Musikschule wegen Eigenbedarf rausmussten, probten wir bei B.TRUG, wo reichlich Platz war. Passte auch voll, da die halligen Tonnengewölbe mit alten Dreiteilermatratzen ausgekleidet waren, die vielfach von Schimmelpelz überzogen waren, der beim ersten Hinsehen nach Teddystoff aussah. Nachdem BRUTAL VERSCHIMMELT sich 1984 auflösten, waren dort später auch THE EWINGS aktiv.

Wer hatte die Idee zu eurem Namen?
Mit unseren ersten Bandnamen waren wir nicht zufrieden und beim Musikhören im Sommer 1981 haben wir irgendwo ein Tape gefunden. Das war ein Mixtape, auf dem Songs aus dem Radio aufgenommen waren. Die waren dann dementsprechend vorne abgekappt und hinten abgekappt und hatten eine schlechte Qualität. Da stand nur irgendwie „Mixtape total verstümmelt“ drauf. Dann dachten wir erst, das ist der definitive Bandname für uns, aber den fanden wir dann doch zu brutal, zu hart irgendwie. Dann sind wir im Bierdusel schließlich auf BRUTAL VERSCHIMMELT gekommen. Der Name war so schön absurd und unsinnig. So irre, dass sich die Band, obwohl lange Jahre nicht mehr existent, gehalten hat und es in die Charts der beklopptesten Bandnamen schaffte.

Welche Einflüsse hattet ihr?
Obwohl wir deutsch sangen, waren wir nicht der typische Deutschpunk, vergleichsweise seltsam war unsere Musik. Das lag wohl auch an den US-Punk- und Hardcore-Einflüssen.

Wie sah die Punk-Szene in und um Kempten aus?
Ab dem Jahr 1982 haben wir die ausgeprägte Szene im Allgäu kennen und schätzen gelernt – außer Kempten, wo das Jugendhaus eine zentrale Rolle spielte, gab es da noch viele aktive Orte: Sonthofen, Immenstadt, Isny, Leutkirch, Memmingen, Kaufbeuren. Es war eigentlich eine lustige Zeit und die wenigen, gerade mal 25 Konzerte von BRUTAL VERSCHIMMELT in der Frühphase, auf die wir dann bei Proben hingearbeitet haben, waren immer ganz aufregend für uns. Da wir immer von älteren Bands, vor allem B.TRUG, mitgenommen werden mussten oder von Eltern gefahren wurden, da waren meine ganz locker drauf, konnten wir in der Hinsicht gar nicht so viel Gas geben. Wir hingen auch viel mit Dosenbier am Brunnen in der Fußgängerzone oder im Hofgarten neben dem Jugendhaus rum, eben der übliche pubertäre Leerlauf und Unsinn. Als wir später in der Musikschule und bei B.TRUG probten, waren diese Abende öfter kleine Konzerte, da stets ein paar Gäste im Übungsraum waren.

Exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum, gab es den bei euch oder in eurer Szene?
Als Allgäuer spielte Bier, meistens schweres, dunkles, eine gewisse Rolle, aber wir haben uns nicht die Hirne weggepustet, sondern eher vergnügt konsumiert. Uns war immer wichtig, dass das Chaos konstruktiv blieb und irgendwelche Aktivitäten dabei rauskamen – egal, ob jetzt Proben oder Konzerte, die wir gaben oder besuchten.

Welche Aktionen, Peinlichkeiten, Konzerte sind dir in Erinnerung geblieben?
Die ersten Konzerte, weil wir uns hemmungslos, ohne was zu können, hinstellten und rumschepperten, was alle dann doch irgendwie gut fanden – eben Punk. Nur bei den allerersten Gigs in der Schule ernteten wir Kopfschütteln oder uns wurde der Strom abgestellt.

Habt ihr oft in anderen Städten gespielt? Wie wurden die Konzerte in einer Zeit ohne Internet organisiert?
BRUTAL VERSCHIMMELT von damals haben in der Zeit von 1980 bis 1984 gerade 25 Mal gespielt. Meistens wurden wir auf die lokalen und regionalen Gigs eingeladen oder wir haben selber was organisiert. Damals haben wir dafür noch Briefe geschrieben, aber nur wenige, da wir kein nennenswertes Demo zum Verschicken hatten. Unser erstes „richtiges“ Punk-Konzert war ein Festival im Jugendhaus Kempten am 5.12.1981 mit sechs weiteren Bands. Beeindruckend hierbei waren die sehr energischen Schweizer RUDOLPH DIETRICH: MUTTERFREUDEN, die auf einem Schweiz-Sampler mit GRAUZONE und deren bekanntem NDW-Lied „Eisbär“ vertreten waren. Da lernten wir auch B.TRUG live kennen. Uns kleinen Punkern schlug sehr viel Sympathie entgegen, so dass wir im Sommer 1982 sogar zwei abendliche Open Airs mit B.TRUG und BODY & THE BUILDINGS auf der jährlichen Wirtschaftsschau „Allgäuer Festwochen“ spielen konnten. Ein tolles Konzert war auch am 20.11.1982 im Memminger Hasensaal mit ZSD aus München, NORMAHL aus Stuttgart, NIKOTEENS aus Ingolstadt und B.TRUG. Die Touren 2013 und 2014 waren einfach per Mail zu organisieren, und die Band wurde sehr gut angenommen von den Läden. Insgesamt haben wir in den vier Wochen mehr Konzerte gegeben als damals in vier Jahren.

Hast du das Gefühl, dass eure Texte immer noch aktuell sind?
Einige Songs beziehungsweise Themen erwiesen sich durchaus als zeitlos wie „Fette Kinder“, die es heute immer mehr gibt. Wir wollen inzwischen eine zweite LP machen, die mit neuen Songs jeweils die Themen aus heutiger Sicht wieder aufgreift.

Gibt es Texte beziehungsweise Songs, die du so heute nicht mehr schreiben oder auch spielen würdest?
Eigentlich spielen wir ja immer noch alles, aber schreiben würden wir heute so nicht mehr. Wir können gar nicht verhindern, dass unsere Texte nach dreißig Jahren etwas erwachsener klingen.

Wie kam damals der Kontakt zu Rock-O-Rama zustande? Wie hast du die Aufnahmen zu eurer LP in Erinnerung und wie war die Zusammenarbeit?
B.TRUG, die vor uns eine LP bei Rock-O-Rama machten, ermunterten uns, auch ein Demo an Egoldt zu schicken. In dem Musikschulraum konnten wir recht ordentliche Demoaufnahmen mit dem Tapedeck machen. Wir hatten bereits mit einem ersten Demotape sein Interesse geweckt. Aber seine Auflage war, wir müssten ein paar Soli haben. Die Songs von BRUTAL VERSCHIMMELT enthielten zuvor keinerlei Soli, sondern alles war einfaches F-Barré-Griffbrett. Mit weiteren Demotape-Einsendungen neuer sowie durch Soli ergänzter Songs haben wir das zu seiner Zufriedenheit gelöst. Für Mai 1983 wurden wir nach Köln eingeladen. Als 16- bis 18-Jährige haben wir nicht gezögert, auf das Angebot für eine LP-Produktion ohne eigene Kosten einzugehen. Wir haben uns bei Köln dann an der Autobahn getroffen, da waren wir schon erstaunt, denn Egoldt hatten wir uns irgendwie ganz anders vorgestellt. Es empfing uns ein schmieriger Mercedesfahrer vom Typus Siebziger-Jahre-Zuhälter und steckte uns zum Übernachten ins Nord-Süd-Hotel hinter dem Bahnhof Köln – übrigens das erste und einzige Mal, dass ich mit einer Band im Hotel war. Dort war eine Concierge im Stile von Lilo Wanders an der Rezeption, die uns Kids mit „Na, ihr Süßen?“ begrüßte. In der Nacht stellte sich der Laden anhand der Geräuschkulisse als Stundenhotel heraus. Am nächsten Tag führte Egoldt uns ins Studio. Es hieß Studio am Dom und es ging den Keller runter an Covern von Nena und BAP vorbei. Da dachten wir, das wird eine ganz feine Sache. Die Ansage war, es sind zwei Studiotage à acht Stunden gebucht, mehr gibt es nicht. Von Studioarbeit hatten wir keine Ahnung. Wir haben sonst immer nur mit Tapedeck im Proberaum live aufgenommen. Aber auf diese Art wurde auch im Studio alles an den beiden Tagen durchgepeitscht. Am ersten Tag haben wir 14 Tracks eingespielt – zwei wurden unseres Wissens nach nie veröffentlicht –, am zweiten Tag alle Gesangsspuren und Gitarren-Overdubs. Da Soli nicht zur Kernkompetenz von Bernhard gehörten, war das unter Zeitdruck eine Tortur für ihn. Der Mixer und er waren dann total angefressen. Ansonsten wurde aber in dem Aufnahmestress kaum was gesprochen und wir haben Egoldt nie wiedergesehen. Während der Zeit im Kölner Studio am Dom kam aber auch der OHL-Sänger Deutscher W rein, den wir dort einfach direkt fragten, ob er ein Nazi sei. Darauf kam natürlich keine verwertbare Antwort von ihm. Bis 1983 waren es ja nur OHL bei Rock-O-Rama, die irgendwie komische Texte hatten und politisch umstritten waren, aber sie redeten sich ja immer heraus, das sei einfach neutral und sie wollen sich politisch nicht in eine extreme Ecke drängen lassen. Andere parallel laufende Fehlleistungen anderer Bands von Egoldt hatten wir im Süden nicht mitbekommen.

Die Chaostage 1984 in Hannover waren für viele ein einschneidendes Erlebnis, haben sich diese Chaostage auch bei euch bemerkbar gemacht? Gab es Punktreffen auch im Allgäu?
Von den Chaostagen hatten wir im Süden nur gehört. Mit BRUTAL VERSCHIMMELT haben wir es außer zu den LP-Aufnahmen in Köln nur bis nach Nürnberg geschafft. Wir sind also nicht über den Weißwurstäquator hinausgekommen. Bei den Konzerten trafen sich die Leute, aber da ging es vor allem um die Musik.

Im Rückblick: Wie war es für dich, in den Achtzigern in einer Punkband gespielt zu haben?
Es war das Beste, was einem passieren konnte. Teilweise erliegen wir ja bis heute diesem Virus.

Habt ihr euch damals vorstellen können, dass eure LP irgendwann Kultstatus genießen und zu hohen Preisen gehandelt wird?
Nö, das kam versehentlich so.

Eure LP wurde auf Höhnie Records wiederveröffentlicht. Wie ist diese zustande gekommen? Warum habt ihr dafür nicht das eigentlich für die Erstveröffentlichung geplante Cover genommen?
Wir waren damals entsetzt ob des Covers von Rock-O-Rama. Die 100 LPs, die wir als Entlohnung bekamen, wurden beschmiert, da das grottige Cover von Egoldt uns nicht passte. Meine bei mir zu Hause stehende beschmierte Platte war dann die Vorlage für Höhnies Neupressung. Unsere dafür eingereichte Collage war Egoldt wohl zu politisch, die haben wir nie wiederbekommen. Ebenso wurden auf dem Textblatt seiner Produktion alle Texte mit politischem, linkem Inhalt weggelassen. Wir waren total sauer über die selbstherrliche Aktion und unangekündigte „Überraschung“. Wir haben unseren 100 Stück Naturallohn sofort ein Beiblatt mit einer Stellungnahme und den weggelassenen Texten beigefügt. Das Statement haben wir auch in unserem Umfeld verbreitet. Schade, dass damals das E-Mail-Zeitalter noch nicht angebrochen war, da sich die Multiplikationswirkung auf dem Postwege in Grenzen hielt. Die Rechte waren uns und Höhnie scheißegal, da Egoldt uns ja von Anfang an und auch beschissen hatte. Über die damalige Resonanz auf die LP haben wir keine Infos bekommen und das haben wir auch nicht mitverfolgt. Wir haben von Egoldt nie mehr was gehört, irgendwann war er tot. Es war ein Fehler, dort eine Platte zu machen, da er nach uns fast nur noch rechtsradikale Bands produziert hat und er – wahrscheinlich – alle Band beschissen hat, da er Nachpressungen verkauft hat, ohne die Bands zu informieren oder zu beteiligen. Von unserer LP wurde 1990 eine Neuauflage gemacht und die soll sogar US-Pressung sein – das habe ich aber erst viel später im Internetzeitalter gesehen. Das Gefühl, dass er uns und viele andere Bands beschissen hat, hat sich da nochmals bestätigt.

Wie waren die Reaktionen auf die Konzerte 2013 und 2014?
BRUTAL VERSCHIMMELT haben 2013 und 2014 zwei Deutschlandtouren gemacht vor dem Hintergrund des Reissues der LP von 1983 durch Hoehnie Records. Davon wurden 500 Stück mit frühen Demo/Live-Aufnahmen von 1982 auch als limitierte Doppel-LP rausgebracht. Es wurden ganze Touren, da ein Release-Party-Konzert allein den Aufwand nicht gerechtfertigt hätte, alle wieder zusammenzubringen und das Material einzuüben, zumal unser Sänger Max in Kalifornien lebt. An der Gitarre war unser Ur-Allgäuer Roadie Klaus, der in Berlin lebt und dort musikalisch aktiv ist. Der eigentliche Gitarrist Bernhard konnte nicht die Zeit dafür freimachen. Und da auch der Ur-Drummer F nicht mitmachen wollte, habe ich hier in Hannover mit Norm von SYSTEMFEHLA als Drummer das Projekt damals in Angriff genommen, er trommelt jetzt übrigens auch bei ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN. Wegen des bescheuerten Namens oder was auch immer entwickelten sich die 1984 aufgelösten BRUTAL VERSCHIMMELT über die Jahre heimlich zur Kultband. Vor diesem Hintergrund funktionierte das Booking für die Touren ab 2013 auch sehr gut in Eigenarbeit. Wir haben bei den Auftritten gemerkt, dass wir mit unserer Erfahrung im Rucksack deutlich druckvoller als früher spielen. 2013 und 2014 gaben wir übrigens mehr und größere Konzerte als damals in den Achtzigern.

Gibt es Überlegungen, das noch mal zu wiederholen? 2016 habt ihr ja für den „Oi! It’s Doitschpunk“-Sampler eure Version von „Babylon’s burning“ von RUTS eingespielt und 2018 „Ja ja ja“ für den NOTDURFT-Tribute-Sampler „Bekannt & beliebt“ auf Überfall.
Ja, aber wir wollen das nur mit zusätzlichem neuen Songmaterial machen, und da wir das immer noch nicht fertig haben, gab es seitdem keine Tour mehr. Die jetzige Corona-Ruhephase nutzen wir, um hier zum Ergebnis zu kommen. Wir lassen dann von uns hören.

Auf Power It Up sind für dieses Jahr ja noch weitere BRUTAL VERSCHIMMELT-Rereleases geplant.
Thomas Lenz vom Power It Up-Label hat uns vermittelt durch unseren Allgäuer Kumpel Bela aus Kempten angefunkt, ob noch unveröffentlichtes Material von BRUTAL VERSCHIMMELT vorhanden sei, das als Vinyl herausgebracht werden könnte. Konkret hatte er dabei das auf YouTube veröffentlichte letzte Live-Konzert an Silvester 1986/87 in Kempten im Auge. Das sind auch die einzigen von BRUTAL VERSCHIMMELT existierenden Filmaufnahmen aus der damaligen Zeit. Der Gig entstand, weil zufällig alle BRUTAL VERSCHIMMELT-ler um die Weihnachtszeit in Kempten waren und unser Bekannter Kay Krull eine WG-Auflösungsparty veranstaltete. Die riesige Wohnung im Dachgeschoss des Modehauses Oberpaur bot sich für einen einmaligen BRUTAL VERSCHIMMELT-Gig an, bei dem sogar beide Sänger, Role und Max, mitmachten. Nach rund drei Jahren Kohl-Regierung und bevorstehendem Wahlkampf gab es den eigens für diesen Abend komponierten Song „Der Wende ein Ende“, der auch nur dort jemals gespielt wurde. Als Refrain des Songs diente das unsägliche Kohl-Zitat zu den Friedensdemos im Bonner Hofgarten: „Und wenn Hunderttausende demonstrieren – wir regieren!“, das die pure Arroganz eines Sacks pfälzischen Saumagens verdeutlichte. Leider ist der restliche Text auf den Aufnahmen nicht zu verstehen und kein Zettel von damals mehr im Fundus auffindbar. Die LP von Power It Up wird ganz ehrlich mit „Schlechtes von gestern“ betitelt. Das passt gut zu einer möglichen Veröffentlichung von neuen BRUTAL VERSCHIMMELT-Songs unter dem Titel „Alles frisch!“. Außerdem wird auf Power It Up erstmalig die Original ROR-LP als Digipak-CD rauskommen und diese wird dann die Live-Mitschnitte als Bonusmaterial enthalten.

Wie sieht es mit deinen früheren Bandkolleg:innen aus? Machen die noch Musik, habt ihr noch Kontakt?
Drummer F hatte keinen Bock mehr auf Deutschpunk und überhaupt auf die Szene und kurz nach den LP-Aufnahmen hat er hingeschmissen. Sein Bruder Bernhard, der Gitarrist, blieb der Sache treu, aber ging, da zwei Jahre älter, zum Studieren nach Berlin. In den Neunzigern hat er wieder bei meiner Band CHILLI CONFETTI in Berlin Gitarre gespielt. Role war später bei den EWINGS und in Berlin dann bei THE ANGELUS. Max hat auch mal in Berlin gewohnt, sich aber allein dem Software-Entwickeln gewidmet, was er seit Ende der Neunziger in Kalifornien tut. Musikalisch durchgängig aktiv war nur ich. Meine Bands waren oder sind unter anderem BRUTAL VERSCHIMMELT, 1980 bis 1984, Kempten, THE EWINGS, 1984 bis 1989, Kempten/Berlin, CHILLI CONFETTI, 1989 bis 1997, Berlin, PARANOISE, 1991 bis 1992, Berlin, DIE UEBLICHEN, 2000 bis 2007, Hannover, BLANC, 2007 bis 2015, Hannover und TLR, 2016 bis heute, Hannover.

Heute wird der Status von Musikerinnen stark diskutiert. Wie männlich/machistisch oder emanzipatorisch hast du die damalige Szene wahrgenommen?
Anfang der Achtziger war das noch sehr freigeistig, schon fast dadaistisch. „No Rules“ war die Devise und auch Unsinn singen war kein Problem. Der Anspruch politischer Korrektheit kam erst später in den Achtzigern auf, aber da war ich dann auch mit anderen Bands unterwegs.

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Diskografie
„s/t“ (LP, Rock-O-Rama, 1983 • „Und die Zukunft ist doch rot!“ (2LP, Compilation, Höhnie, 2013)