COR

Foto© by Stefan Fritsch

Gelebte Musik

Die auf Rügen beheimatete Band stellt das Gesamtwerk in den Mittelpunkt ihres Schaffens. Mit dieser kompromisslosen Haltung hat die Band nun „Gott der Möglichkeiten“ veröffentlicht, ein Album, das zu Hälfte aus Musik, zur Hälfte aus Spoken-Word-Passagen besteht. Sänger Friedemann gibt uns Auskunft.

Euer neues Album ist eine Zusammenstellung aus Songs und Spoken-Word-Parts, wie ihr es schon einmal bei „Prekariat“ gemacht habt. Das Thema ist, wenn ich das richtig deute, ein Aufzeigen von Möglichkeiten, um herauszukommen aus dem, was viele Menschen umtreibt: ewiges Wachstum und der Stress „abliefern“ zu müssen. Inwieweit entzieht ihr selbst euch dem „Hamsterrad“? Und wie schwierig ist es, die Hürde zum „Ausstieg“ zu überschreiten?

Es geht, wie du richtig erkannt hast, um den Stress und die ständigen An- und Überforderungen, mit denen wir leben. Diese Lebensart ist absolut ungesund – psychisch und physisch. Einerseits gibt es den Druck, der durch die gesellschaftlichen Anforderungen entsteht, andererseits kommen wir oft mit unseren Leben in Schieflage, weil wir nachgeben und das Spiel mitspielen. Unsere Ansprüche steigen, unser Konsum steigt, wir gieren nach Dingen die wir nicht brauchen, sie uns dann aber trotzdem zulegen. Wir sind nicht genügsam, sondern fordernd. Das zerstört uns, das zerstört die Welt. Dieses Leben nach kapitalistischen Marktregeln, dieses ungehemmte Wachstum auch im privaten Bereich ist absolut falsch und wir sollten uns dem entziehen. Ich finde, das geht teilweise gut durch Verzicht und bewusste Entscheidungen nach dem Prinzip – was brauche ich wirklich, um glücklich zu sein? Aber leider würden wir uns mit dem Verzicht immer noch mehr als ein Großteil der Menschen auf dieser Welt rausnehmen. Diese traurige Wahrheit gehört dazu! Die Perversion dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklung kann man doch am besten in unserer Musikszene erkennen. Wir machen sozialkritische, antikapitalistische, anti­faschistische Musik beziehungsweise Texte und nutzen aber den alten ausgelatschten kapitalistischen Weg. Riesige Festivals aka Events, riesige Lichtshows, Pyro­technik, Vorverkäufe, Managements, Plattendeals, Produktionskosten in gewaltiger Höhe, Nightliner, Busi­nesspläne, Zusammenarbeit mit Live Nation und an­deren Verbrecheragenturen, billiges Merchandising in Massen für die Masse, Feiern von Charterfolgen, Sondereditionen bei Amazon und anderen Arschloch­plattformen, um den Leuten die Kohle aus der Tasche zu ziehen, Fördergeldanträge, um Platten zu produzieren! Kommt euch bekannt vor? Also ist ein großer Teil unserer „Szene“ Ausverkauf und Kommerz und unser Produkt ist der antikapitalistische Widerstand oder was auch immer. Auch das macht krank – die Musik, die Musiker, die Menschen. Sollten wir drüber nach denken.

Nun leben wir wieder in Kriegszeiten, Themen wie Energiekrise und Engpässe werden diskutiert – aber das stetige Wachstum wird dabei ausgeklammert und es werden stattdessen Dinge wie Fracking und längere Atomlaufzeiten ins Gespräch gebracht. Glaubst du, dass euer – ich nenne es mal – Angebot der Alternative eine Zukunftschance hat? Anders gefragt, wie optimistisch blickst du auf die Zukunft?
Ich bin überzeugt, dass uns die Krisen zwingen werden, anders zu denken, eine andere Zukunft zu suchen. Und vor uns liegen gewaltige Probleme, deren Ausmaß wir noch nicht erfasst haben ... Klimaveränderungen und ihre Folgen auf allen Ebenen. Wer sagt uns denn, dass man ohne die aktuelle Gesellschaftsform, die sich nach ihrem Zahlungsmittel benennt, nicht leben kann? Ich glaube fest an umwälzende Veränderungen, an neue Technologien und daran, dass Mensch nicht nur Arschloch ist, sondern auch zutiefst menschlich. Wir sollten uns nur mehr anstrengen und den Dum­men und Ewiggestrigen nicht so viel Raum geben. Es sind nicht viele, aber sie sind laut und penetrant und dem müssen wir Ideen, Stimmen und unsere Träume entgegensetzen und die Masse begeistern. Es gibt genügend Wege, wir müssen sie nur beschreiten! Das funktioniert am besten, wenn man seine Ideale vorlebt und im Kleinen die Leute mitnimmt. Schaut her, ihr müsst nicht in den Urlaub fliegen, bei Amazon kaufen, Bundesliga schauen und jeden Tag Fleisch essen! Wir machen es auch nicht und – leben! Und das sehr gut.

Ihr schreibt, dass ihr sämtliche Erwartungen und Ansprüche an COR hinter euch gelassen habt. Und die Songs überraschen durchaus mit ihrem Sound. Wenn man bedenkt, dass für viele Künstler auch das Musikmachen zu einem Hamsterrad geworden ist, zu einem ständigen Abliefern – welchen Raum nimmt COR sowie Musik und Kunst in deinem Leben ein?
Wir haben einen Wechsel an Gitarre und Bass in den letzten Jahren hinter uns. Zwei Musiker mit komplett anderer musikalischer Sozialisation sind jetzt dabei. Sehr gute Instrumentalisten und wirkliche Künstler. Die lassen wir machen und sich einbringen. Das ist anders, aber es sind eben eigene Charaktere und keiner braucht einen Klon der alten Besetzung. Die war gut zu ihrer Zeit und ist vorbei. COR sind aktuell Robert, Gitarre, Tino, Bass, Hanse, Schlagzeug, und ich! Und so klingt das auch. Nach eben diesen vier Jungs und dem, was sie mögen und sie ausmacht. Das zusammenzuschmieden, ist nicht immer leicht, aber wir sind auf dem Weg. Ich persönlich lebe Musik. Meine Arbeit, meine Familienzeit baut sich rund um die Band und mein Solozeug auf. Ich könnte im Moment nicht ohne Touren, Aufnehmen und das Musikmachen sein. Meine Familie akzeptiert das und ja, finanziert das auch über ihre Einnahmen mit. Dafür liebe ich sie sehr! Und es gibt sehr viele Leute da draußen, die COR und Friedemann schätzen, ihnen und ihren Ideen und ihrer Lebensphilosophie Raum und Platz und Unterstützung geben, obwohl sie wissen, dass damit nicht viel zu verdienen ist – außer Respekt, Liebe und Freundschaft. Aber das ist es, was zählt!