DEATH BY HORSE

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Widersprüche als Provokation

2018 war ich begeistert vom Debüt „Reality Hits Hard“ von DEATH BY HORSE aus Skåne und Malmö. Ein knappes halbes Jahr später kommt jetzt mit „This Too Shall Pass“ der Nachfolger und der Eindruck einer Ausnahmeband bestätigt sich: Wenn eine aktuelle Band musikalisch und inhaltlich das Erbe der von mir hoch geschätzten GITS antreten kann, dann DEATH BY HORSE. Davon kann man sich im November auf der anstehenden Deutschlandtour auch live überzeugen. Sängerin Jahna und Gitarrist Tommy sprachen mit mir über Tattoos als Merchandise und andere Schmerzgrenzen im Punkrock.

Beginnen wir am Anfang: Wie wurdet ihr DEATH BY HORSE?

Jahna:
Die aktuelle Besetzung besteht aus Tommy und mir. Der Drummer ist Linus und unser neuestes Bandmitglied ist Andreas am Bass. Tommy und ich begannen eines Tages, zusammen Songs zu schreiben. Irgendwann mussten wir einfach eine Band gründen und etwas damit anfangen. Und so entstanden DEATH BY HORSE.

Und was hat es mit dem Bandnamen auf sich?

Jahna:
Stell dir vor, du reitest auf einem Pferd. Du denkst vielleicht, dass du die Kontrolle über diese mächtige und schöne Kreatur hast, aber praktisch in der nächsten Sekunde kannst du abgeworfen und getötet werden. Das Pferd soll etwas symbolisieren, das größer ist als du, das du meinst, kontrollieren zu können. Bis du eines Tages merkst, dass es die Kontrolle über dich hat. So wie Drogen, Alkohol oder was auch immer. Wir haben selber schon Freunde verloren, die die Kontrolle über ihre Süchte verloren haben.

Neben den GITS höre ich bei euch HOLE und die CRANBERRIES heraus. Abwegig?

Jahna:
Wow, ich fühle mich wirklich geschmeichelt. Ich liebe Courtney Love und Dolores O’Riordan, sie sind großartig! Ich habe die GITS vorher gar nicht gekannt, aber sie gefallen mir sehr gut. Ich finde es aufregend, wenn andere Leute sich ihr eigenes Bild von der Band machen und Vergleiche ziehen. Mir selber fällt das äußerst schwer.

Tommy: Mir gefällt deine Beschreibung sehr gut. Ich versuche, unsere Musik eher mit den Gefühlen zu beschreiben, die sie mir gibt, und nicht mit einem Genre. Einige der Songs auf unserem neuen Album wecken in mir das gleiche Gefühl wie frühe FIDLAR-Alben, aber wir klingen nicht wie sie. Andere Bands, mit denen ich uns gerne vergleichen würde, wären die SMASHING PUMPKINS und vielleicht ein bisschen DILLINGER ESCAPE PLAN wegen ihrer stilistischen Vielfalt. Bei ihnen fühlt man, dass sie sich nicht beschränken lassen und produzieren, was immer sie wollen. Es wäre das Größte, wenn man so etwas auch bei unserer Musik fühlen könnte. Heutzutage ist es einfacher, wenn man sich auf ein Genre festlegt, das bedeutet einen höheren Wiedererkennungswert.

Ihr seid online als Band sehr aktiv und führt zum Beispiel ein Tourtagebuch auf YouTube. Glaubt ihr, dass Printmedien auch heute noch eine wichtige Rolle für Bands und Fans spielen? Wie informiert ihr euch, online oder durch Printmedien?

Jahna:
Ich würde sagen, Printmedien und damit auch Fanzines sind ein wichtiger Ursprung unserer Szene. Der Umwelt zuliebe könnte man aber mehr digitalisieren. Die Digitalisierung macht Menschen insgesamt gesehen freier, weil man nicht so viele Dinge besitzen und sammeln muss. Was mich betrifft, ist die Antwort meistens „online“.

Tommy: Ich denke, dass Printmedien einen größeren Eindruck bei den Menschen hinterlassen als Online-Medien. Nimm beispielsweise Spotify. Das Angebot ist so groß, dass dem einzelnen Künstler nicht die Aufmerksamkeit zuteil wird, die er verdient. Oftmals gibst du einem neuen Song nur ein paar Sekunden und wenn er dir nicht gefällt, wechselst du zum nächsten. Kaufst du hingegen ein komplettes Album, hörst du es dir in seiner Gesamtheit an. Ich denke, bei Zeitschriften ist es ähnlich. Ein physisches Zine liest man wahrscheinlich eher komplett durch als ein ein Online-Zine.

Sobald eine Band eine Sängerin hat, wird sie oft als ,,female fronted“ bezeichnet. Was haltet ihr von diesem Labeling?

Jahna:
Nun, ich stehe normalerweise vorne und halte mich für eine Frau, also stört es mich nicht. Aber wenn ich die Worte genauer hinterfrage, empfinde ich es als frustrierend, dass wir von unseren Geschlechtern so besessen sind. Was hat mein Geschlecht mit unserer Musik zu tun? Vielleicht mehr, als mir lieb ist und ich mir eingestehe. Vielleicht wollen die Leute mehr als nur den Sound, der ihnen gefällt. Vielleicht ist das Geschlecht eine Projektionsfläche für ihre Fantasie, um einer Band ein Gesamtbild zu verpassen. Das Geschlecht ist nun mal ein wichtiger Bestandteil der Identität.

Stichwort Gesamtbild einer Band: Bietet ihr wirklich Tattoos als Merch an? Ich habe gesehen, wie ihr euch hinter der Bühne tätowiert habt. Reist du mit deinem ganzen Tattoo-Set?

Jahna:
Ja! Ich habe tatsächlich zu meinem Geburtstag eine Tätowiermaschine bekommen, als es mit der Band gerade losging. Wir hatten kein Merchandise und auch kein Geld dafür, also war das eine perfekte Lösung. Es gab schon großartige Momente mit dieser Maschine!

Tommy: Auf unserer ersten Tour haben wir entschieden, uns allen das gleiche Tour-Tattoo zu machen, nämlich „Trojan Horse Tour 2017“. Jahna machte meines und mitten in der Sitzung sah ich, dass sie 200 geschrieben hatte und im Begriff war, einfach nur die 17 dranzuhängen. Also fragte ich sie, wie viele Nullen es ihrer Meinung nach im Jahr 2017 gibt und sie sagte: „Es gibt zwei ... oh Scheiße!“ Es war insgesamt aber okay, wenn man bedenkt, dass es ihr zweites Tattoo überhaupt war. Wir waren übrigens völlig nüchtern dabei! Etwa 15 Personen haben wir bislang tätowiert, ohne Bandmitglieder. Aber um ganz ehrlich zu sein, nach einer Show ist es eher lästig. Es macht mehr Spaß, das auf einer Aftershowparty oder so etwas zu machen, nicht direkt nach dem Auftritt, wenn man sich einfach nur entspannen und mit anderen Leuten reden will.

Reden wir über eure Texte. „Little girl“ ist ein sehr dunkler und schmerzhafter Song vom ersten Album und handelt von Selbstzweifel, Depression und Vergewaltigung. Kannst du etwas über die Geschichte hinter diesem Song erzählen?

Jahna:
Nun, „Little girl“ ist eine Geschichte über mich, kann aber auch eine Geschichte über das Mädchen von nebenan sein. Dieses Lied hat mir einiges abverlangt. Ich war unsicher und beschämt und wusste nicht, ob ich es wirklich wagen soll, das so aufzunehmen und mit anderen zu teilen. Aber die Sorge war unberechtigt. Ich habe von so vielen Frauen gehört, dass dieses Lied ihnen geholfen hat und es sie sich stärker und sicherer fühlen ließ.

Muss Musik mehr auf Tabus wie sexuelle Gewalt eingehen?

Jahna:
Ich glaube nicht, dass das Thematisieren sexueller Gewalt noch ein Tabu ist. Es ist eher schwierig, über sich selber zu sprechen, insbesondere über intime Dinge, die einen verunsichern und bei denen man die Reaktion der Leute schwer abschätzen kann beziehungsweise die Art und Weise, wie sie mit dir umgehen, wenn sie deine Geschichte kennen und wissen, was du durchgemacht hast.

Dieser offene Umgang mit Sexismus und Gewalt – und dann mit „Bite it you scum“ ein GG Allin-Cover? Selbstbehauptung auf der einen Seite, glorifizierte Selbstzerstörung auf der anderen. Erklärt das mal.

Jahna:
Der Song macht einfach Spaß und dieser Widerspruch ist eine Provokation. Ich finde, man muss provozieren. Du musst die Songs vom Interpreten trennen. Nur weil ich ein Lied von GG Allin singe, bedeutet das nicht, dass ich alles unterstütze, wofür GG Allin stand und was er getan hat. Viele Leute haben Leichen im Keller, aber das bedeutet nicht, dass sie keine tollen Songs machen können. Das Handeln eines Menschen kann falsch sein, ohne dass seine Absicht falsch war. Das ist ein großer Unterschied.

Gibt es eine rote Linie für euch? Etwas, das einen Künstler für euch inakzeptabel machen würde?

Jahna:
Kann ich nicht sagen. Das hängt wahrscheinlich von meiner Tagesform und Stimmung ab. Prinzipiell sehe ich das so: Jeder versucht, irgendwie klarzukommen und das Beste aus seiner Situation zu machen. Es ist solange okay, wie man nicht über Leichen geht, um das zu erreichen.

Tommy: Einen bestimmten Anlass kann ich auch nicht benennen. Nimm zum Beispiel AS I LAY DYING. Deren Sänger hat einen Killer engagiert, der seine Ex-Frau umbringen sollte. Er wurde verknackt, hat seine Strafe abgesessen und jetzt tourt die Band wieder. Zuerst konnte ich mir nicht vorstellen, dass irgendjemand jemals wieder diese Band unterstützt. Aber dann wurde mir klar, dass jeder an sich arbeiten und ein besserer Mensch werden kann. Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der man keine zweite Chance bekommt, wenn man für seine Fehler bezahlt hat? Wer will das bestimmen? Im Falle von GG Allin gibt es diese Kontroverse um sein Handeln und seine Musik häufiger. Aber würde es die Frage bei einem Michael Jackson-Cover auch geben?

Wer sind eigentlich die „Cowtittysuckingfckingmenstruationeatingfreaks“ in eurem gleichnamigen Song des ersten Albums?

Tommy:
Die Idee hinter diesem Song ist folgende: Als Veganer musst du dich an die Kommentare der Leute über dein Essen gewöhnen und jeder erwartet, dass du erklärst, warum du vegan bist. Als ob es seltsam wäre, diese Entscheidung zu treffen. Also wollen wir in diesem Song die Perspektive wechseln und sehen, wer tatsächlich die seltsamen Dinge tut. Ist es wirklich normal, Muttermilch zu trinken, die nicht für Menschen gemacht ist? Es wäre schließlich seltsam, menschliche Muttermilch zu trinken, obwohl diese ja für Menschen gemacht ist. Menstruation ist die Folge einer unbefruchteten Eizelle. Wenn man Eier isst, dann isst man folgerichtig die Menstruation von Hühnern. Was also ist das seltsamere Verhalten: eine Menstruation zu essen und als Erwachsener Muttermilch zu trinken oder es eben nicht zu tun?

Im Song „Judge me“ vergleichst du guten Kaffee mit ,,God’s breast milk“. Wie genau muss ich mir diesen Geschmack vorstellen?

Jahna:
Haha! Das ist wahrscheinlich das gleiche Gefühl, das ein Kind beim Stillen empfindet. Ein Moment, der die Welt hell scheinen lässt und dir ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

„Burning the witches“ handelt von Sündenböcken und der Unfähigkeit, Verantwortung für eigene Handlungen zu übernehmen. Wer sind eurer Meinung nach die am einfachsten zu findenden Sündenböcke?

Jahna:
Ich glaube nicht, dass jemand dein Leben komplett ruinieren kann. Es liegt schließlich an dir selbst, ob du Dinge tust oder nicht, ob du Fehlverhalten änderst oder nicht. Das beinhaltet auch, dass man Fehler nicht immer gleich als solche erkennen muss.

Tommy: Ich denke, viele Leute machen ihre Eltern für eine schlechte Kindheit verantwortlich. Wenn du ein Arschloch geworden bist, kannst du einfach sagen, deine schlechte Erziehung sei der Grund dafür. Es sei nicht deine Schuld. Aber wenn deine Eltern schon Arschlöcher waren, kennst du ja die Perspektive des Gegenübers und hättest lernen können, nicht selber wie ein Arschloch zu handeln.

Ihr seid also vegan. Auch straight edge? Hatte die SxE-Bewegung einen Einfluss auf euch persönlich oder die Band?

Tommy:
Ja und nein. Ich mag und schätze die Ideen der Straight-Edge-Bewegung. Sie ist provokant, das gefällt mir. SxE bringt dich zum Nachdenken und lässt dich dein Verhalten aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Es ärgert mich wirklich, wenn Leute nicht selbstständig denken. Beobachte nur mal als einzige nüchterne Person, wie sich Menschen verändern, wenn sie Alkohol trinken.

Jahna: Als Teenager versuchte ich auf Partys oft mehr zu trinken als die Jungs. Ich war frustriert von den klassischen Rollenklischees und wollte das durchbrechen. Irgendwann langweilte mich das aber und so fing ich an, auf Partys gar nichts mehr zu trinken. Eine Weile habe ich mich dabei großartig gefühlt mit meinen Kreuzen auf den Händen, wie unbesiegbar. Ich fühlte mich den anderen überlegen. Als ich begann, auf sie herabzusehen, wusste ich, dass ich damit wieder aufhören muss, um nicht abzuheben. Du musst kein Langweiler sein, nur weil du nicht trinkst. Ich finde, es ist aber ein gutes Vorbild für Jüngere, die sehen, dass coole Leute nicht diejenigen sind, die im Graben liegen und sich vollgepisst auf sich selbst erbrechen.

Könnt ihr etwas über eure lokale Punkrock-Szene sagen? Welche Clubs, Bars oder Bands sollte man kennen lernen, wenn die Chance dazu besteht?

Jahna:
Wir empfehlen allen Leuten, das Plan B in Malmö zu besuchen. Es ist ein wirklich cooler Ort, der als sporadische Sache begann, aber nach Jahren des Kampfes mit den Behörden endlich legal betrieben wird. Ein schöner, gemütlicher Laden. Und hört euch unsere Freunde THE HEADLINES und SHUVIT aus Malmö an. Die machen guten Skatepunk.