DEATH SET

Foto

Therapiesitzung mit Papagei

THE DEATH SET hatten vor rund zehn Jahren mal einen guten Lauf, nachdem sie, 2005 in Australien gegründet, an die US-Ostküste, nach Brooklyn umgezogen waren und mit „Worldwide“ (2009) und „Michel Poiccard“ (2011) auch neben zig Singles zwei coole Alben veröffentlicht hatten. Ab 2014 wurde es dann aber sehr ruhig um die Band, mit „How To Tune A Parrot“ ist nun im September auf This Charming Man ein neues Album veröffentlicht worden, das Synthpunk-Geballer in LOST SOUNDS- und ATARI TEENAGE RIOT-Tradition bietet. Johnny Siera und Dan Walker, die für Konzerte den Drumcomputer durch einen echten Schlagzeuger ersetzen, beantworteten meine Fragen.

Eure letzten Konzerte fanden 2015 statt, dann gab es eine Pause bis 2019, und jetzt kommt ein neues Album. Was ist in den vier Jahren dazwischen passiert?

Johnny: Ich glaube, wir sind einfach ausgebrannt gewesen, was das Live-Spielen angeht. Wir haben eine verdammt lange Zeit hart getourt, bis zum Exzess. Ich habe es so geliebt. Die Band hat in 15 verschiedenen Ländern gespielt, bevor wir unsere erste LP veröffentlicht haben, wir haben wirklich so viele Jahre lang geschuftet und sind an so vielen Orte wie möglich aufgetreten. Das Touren stand für uns an erster Stelle. Die letzte große, lange Tour, die wir gemacht haben, war 2011 in Deutschland als Support für die BEATSTEAKS. Aber nach circa 500 Shows wird es ein wenig ermüdend, wenn es zu einem Job wird, täglich acht Stunden zu fahren, um fast nichts zu verdienen. Wir brauchten eine Pause, um wieder dieselbe Aufregung zu verspüren. Wir haben beide Alben mit Nebenprojekten veröffentlicht. Ich nahm ein Techno-Album mit TIGER TOOTH auf und Dan hatte ein anderes Punk-Projekt namens SUNSHINE GUN CLUB. Danach hatte ich die Möglichkeit, eine Bar in Brooklyn zu eröffnen und Bands und Partys zu organisieren. Also tat ich das und das Touren musste hintanstehen. Dan kümmerte sich um sein Aufnahmestudio und wir spielten mit DEATH SET nur noch bei besonderen Anlässen oder mal aus Spaß. Zuletzt begann ich eine neue Karriere als Dokumentarfilmer. Das war wohl auch ein ein ganz normaler Prozess des „Erwachsenwerdens“, aber ich habe immer einen Kanal für meine Kreativität gefunden.
Dan: Ich habe hier in Brooklyn ein Tonstudio namens The Submarine betrieben. Das hat einen großen Teil meiner Zeit in Anspruch genommen. Ich hatte ziemlich mit den dramatischen Veränderungen in meinem Lebensstil zu kämpfen und widmete mich in meiner Freizeit lieber der Pflege einer Katze, die vom Dach gefallen war. Also hielt ich mich relativ bedeckt. Wie Johnny schon erwähnt hat, habe ich ein paar Jahre lang Konzerte mit SUNSHINE GUN CLUB gespielt. Das war eine wirklich spaßige Sache und half mir, mich psychisch und kreativ neu zu orientieren, nach der Intensität des Tourens der vergangenen Jahre. Momentan bin ich immer noch in New York City, habe mich vor ein paar Jahren voll auf das Mastering von Platten verlegt und habe mich letztes Jahr selbständig gemacht mit einem Mastering-Studio in Queens. Also hänge ich mit meiner Katze Masterpiece ab und arbeite täglich daran, den Wahnsinn mit Hilfe meines objektiven Eingriffs zu ordnen.

Schließlich stand ein „Relaunch“ der Band an – und Bühne frei für ... Corona! Wie habt ihr die letzten anderthalb Jahre verbracht?
Johnny: Das Album ist schon seit ein paar Jahren fertig. Wir haben ein Jahr lang die Samstage damit verbracht es aufzunehmen. Es brauchte ein weiteres Jahr, um es zu mischen und fertigzustellen, dann ein Jahr, um ein Label zu finden, dann kam Corona! Es hat verflucht lange gedauert, bis es rauskam, das war verdammt nervig. Ich liebe den Prozess, ein Album zu machen, aber ich hasse es, mich damit zu beschäftigen, es irgendwie zu veröffentlichen. Corona hat natürlich auch alles noch mal über ein Jahr verzögert. Es ist verrückt, wenn man sich überlegt dass wir in dieser Zeit ein weiteres Album hätten schreiben können ...
Dan: Ja, alle Bandaktivitäten wurden konsequent verschoben oder irgendwie auf Eis gelegt. Ich habe zwischenzeitig etwas den Überblick verloren, jetzt haben wir aber endlich einen Veröffentlichungstermin und einige Konzerte in Aussicht. Aber Konzerte scheinen immer noch schwer festzumachen zu sein, selbst jetzt. Das war schon heftig. Ich hatte Glück, da ich ich in dieser Zeit das Mastering-Studio bei mir zu Hause aufgebaut habe, so dass ich durchgehend so gut es ging beschäftigt war. Es war mich vor allem einer Art Lernphase, in der ich kaum Ablenkungen hatte und mich mit dem neuen Raum und dem Equipment auseinandersetzte. Ich bin auch eher der Typ „einsamer Wolf“, also haben mich die Lockdowns nicht so sehr beeinträchtigt.

Und wie und wann ist eurer neues Album „How To Tune A Parrot?“ entstanden?
Johnny: Dan hatte sein Aufnahmestudio The Submarine in Brooklyn und ich kam 2017 so gut wie jedes Wochenende da vorbei. Was uns überhaupt inspiriert hat, es zu machen, ist eine etwas schräge Geschichte ... Dan hatte eine Kooperation mit einer „Loop Pack“-Firma, die Loops und Beats an Produzenten verkauft, und sie fragten uns, ob wir ein DEATH SET-Pack machen könnten. Also gingen wir ins Studio, aber es war derart mühsam, hunderte von Beats und Loops zu erstellen, dass wir irgendwann dachten, scheiß drauf, lass uns lieber ein neues Album machen. Der erste kreative Schub war sehr effektiv und wir schufen in einer Nacht die Gitarrenbasis für vier, fünf Tracks. Es machte mir einfach super Spaß, wieder mit Dan im Studio zu sein und Stücke zu schreiben. Trotzdem, bis wir alles beieinander hatten, hat es doch einige Zeit in Anspruch genommen.
Dan: Ich glaube, das erste Mal sprachen wir über diese Platte tatsächlich schon 2016! Sie ist also schon eine Weile in der Mache.

Hattet ihr dabei eine bestimmte Vision? Menschen entwickeln sich weiter, Dinge ändern sich über die Jahre, wie auch musikalische Vorlieben. Welche Ideen und Konzepte sind also in dieses Album eingeflossen?
Johnny: Es ist immer noch das gleiche verdammt schräge Sandwich aus Elektro-, Punkrock und HipHop-Beats, das wir mit unserem speziellen dreckigen Speichel durchgekaut haben. Ich denke, wir haben in den letzten 15 Jahren unsere eigene kleine Nische gefunden und kennen unseren Sound genau. Bei diesem Album gibt es allerdings keine Breaks wie beim letzten Mal, es ist eine durchgängige wilde, chaotische Energie, die sich in Wahnsinn auflöst.
Dan: Uns verbindet grundsätzlich die Liebe zu Punkrock und Electronica/HipHop und generell allem Obskuren, das in diese Richtung geht. Das ergab schon immer den roten Faden, der die Ästhetik der Band geprägt hat. Ich finde es interessant, wie sich der textliche Inhalt auf eine subtile Weise bei diesem Album verändert hat, nachdem wir beide uns auch von bestimmten destruktiven Verhaltensweisen in der Vergangenheit verabschiedet haben, so dass es definitiv ein bisschen mehr Introspektion und eine ernüchternde Sichtweise von einem existenziellen Standpunkt aus gibt. Wobei das aber nie auf Kosten der Energie und Intensität geht, die zum Synonym für den bisherigen Output der Band geworden sind.

Bei dem Albumtitel „How To Tune A Parrot?“ musste ich als großer Monty Python-Fan übrigens sofort an den Sketch mit dem toten Papagei denken.
Johnny: Hahaha, das ist so geil! Weißt du, die meiste Zeit, wenn Dan und ich im Studio sind, bringen wir uns gegenseitig zum Lachen. Wir erzählen uns dumme Witze. Wenn ich in die Gesangskabine gehe, ist meine Stimme so schlecht, dass ich etwa eine halbe Stunde brauche, um mich einzusingen. Und Dan muss sehr geduldig im Studio sitzen und jeden Take aufnehmen und dabei sogar noch brauchbares Feedback geben. Es ist so lächerlich und urkomisch, was ich ihm da jedes Mal zumute. Wir wissen es beide und tun es trotzdem. Es klingt einfach albern, wenn ich zum Aufwärmen die Dur-Tonleiter rauf und runter singe. Ich weiß nicht mehr, wer es zuerst gesagt hat, aber es klingt so, als wollte man einen Papagei stimmen. Ich würde gerne behaupten, der Titel wäre ein tiefgründiger Kommentar zum aktuellen Zustand der Musik, wo sich alles gleich anhört, aber tatsächlich geht es nur um uns beide, die im Studio herumalbern.
Dan: Typische Ansage im Studio: Johnny, setz dich auf deine gottverdammte Sitzstange und stimme den verstaubten alten Papagei! Ich muss selten so viel lachen wie bei den Aufnahmen zusammen mit Johnny. Es ist wie eine Therapiesitzung, selbst wenn wir an einem Tag mal nicht so viel auf die Reihe bekommen. Aber du wirst den ganzen toxischen Scheiß los, das Lachen ist wie ein Selbstheilungsprozess, und ich glaube, danach ist alles besser. Wenn du bei einer DEATH SET-Studiosession dabei sein könntest, würdest du feststellen, dass man besser alles nicht zu ernst nehmen und es einfach genießen sollte herumzualbern.

Ihr habt im August ein Video zu „No where is here“ veröffentlicht und es wurde als Hommage an die New Yorker DIY-Szene der Jahre 2006 bis 2010 angekündigt. Könnt ihr uns bitte etwas erzählen über diese Jahre, diese Szene, und welche Rolle sie für euch als Band gespielt hat? Soweit ich weiß, ist sie größtenteils verschwunden, auch wegen der fortschreitenden Gentrifizierung in NYC.
Johnny: Es fällt mir immer schwer, diese Frage zu beantworten. Denn auch wenn ich glaube, dass die Konzerte nicht mehr so heftig und großartig sind wie damals, gibt es immer eine neue Generation Kids, die irgendwo in einem dreckigen Lagerhaus etwas auf die Beine stellen, das viel cooler ist als alles, was wir bisher gesehen haben. NYC ist der Inbegriff von Innovation und Gentrifizierung und das schon seit Ewigkeiten. Veranstaltungsorte, Läden und Gebäude entstehen und verschwinden mit Warp-Geschwindigkeit. Die Leute, die dir von den guten alten, wilden Tagen von NYC in den Achtzigern und so weiter erzählen, sind jetzt in ihren Sechzigern. Ich hatte ein Gespräch mit einem Veranstalter, der sagte, dass die Leute heutzutage die Vorstellung einer neuen Handy-App nutzen, um Party zu machen, während es früher ein DIY-Konzert war. Ich weiß nur, dass sich die Szenen ständig weiterentwickeln, und ich beobachte heute genauso viel Moshen und Stagediving bei einer HipHop-Show wie früher bei einem Punk-Gig. Stetige Veränderung prägt diese nie stillstehende Stadt. Aber für mich waren die Jahre 2006 bis 2010 in Brooklyn eine besondere Zeit, denn es war unsere Zeit! Ich denke, die Musik, die wir schreiben, ist für die hundert verschwitzten Kids in einem dreckigen Lagerhaus dazu da, um durchdrehen. Also spielt diese Szene eine super wichtige Rolle für die Musik, die wir machen.
Dan: Wenn überhaupt, dann bin ich sehr dankbar, dass ich ein Teil dieser Ära gewesen bin. Es war eine wirklich besondere Zeit mit besonderen Menschen und Orten, die so allerhand bewegt haben. Aber diese Realness wird es immer irgendwo geben, unabhängig von einer bestimmten Phase. Du wirst immer unverfälschte direkte Kunst und Musik an illegalen Orten finden, irgendwo im Dreck, die den Kommerz umgeht und diese steigende Flut erzeugt, die die nächste Welle bringt, besonders in einer Stadt wie New York. Aber der Wandel ist unbestreitbar existent, gut oder schlecht, und ich schätze, man passt sich entweder an oder stirbt aus, wobei ein Mittelweg optimal wäre. Hoffentlich machen die „Likes“ am Ende nicht alles kaputt und die Wahrheit bleibt im Kern intakt.

Apropos New York, Brooklyn: wo lebt ihr heute und was von der „Infrastruktur“, Clubs, Bars, Plattenläden usw., hat den Shutdown überlebt?
Johnny: Ich bin vor kurzem aus Brooklyn in den Westen von Massachusetts gezogen, kurz bevor die Pandemie zuschlug, nach zwölf Jahren in NYC. Wir stammen beide ursprünglich aus Australien. Wir hatte großes Glück, denn ich hatte eine schwangere Frau, die genau in der ersten Corona-Welle fällig war, und wenn wir die Stadt nicht mehr hätten verlassen können, hätte sie ernsthaft allein auf einem Schiff des Roten Kreuzes entbinden müssen. Diese riesigen Schiffe haben im Hafen festgemacht, um die überfüllten Krankenhäuser zu entlasten. Dan ist immer noch in Brooklyn. Soweit ich mitbekommen habe, hat vieles dichtgemacht. Aber letztlich haben Veranstaltungsorte und besonders DIY-Locations sowieso eine kurze Lebensdauer in der Stadt. Wenn man mehr als ein paar Jahre durchhält, ist das ziemlich bemerkenswert. Für mich war es nervig, meine Bar in Brooklyn zu betreiben. Es ist Teil der Energie der Stadt, permanent wechselnde Hot Spots zu haben. Ich finde es toll, dass es in Europa Underground-Locations gibt, die schon seit Jahrzehnten existieren. Das gibt es in NYC kaum. Hier sind es eher Locations mit mehr Umsatz, die es schon lange gibt. Die Underground-Kultur, zu der ich mich hingezogen fühle, findet in illegal genutzten Lagerräumen statt, die sowieso ständig wechseln.
Dan: Momentan lebe ich hier in Ridgewood in Queens, davor in Bushwick, und bin seit insgesamt elf Jahren hier in der Stadt. Ich war seit eineinhalb Jahren nicht mehr wirklich draußen, also weiß ich nicht, was los ist. Ich war schon vor der Pandemie aus verschiedenen Gründen nicht mehr auf dem Laufenden und orientiere mich jetzt langsam wieder. Hier in Brooklyn gibt es aber eine Reihe von coolen Locations, die tolle Shows veranstalten. TV Eye, Our Wicked Lady, Trans Pecos und The Broadway scheinen überlebt zu haben und für sie läuft es derzeit gut.

Was ich an THE DEATH SET immer geliebt habe, ist diese Mischung aus vertontem Wahnsinn einerseits und großartigen Pop-Melodien andererseits. Könnt ihr uns etwas über eure musikalischen Ideen und Ideale erzählen?
Johnny: Ich denke, da hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Wir sind in erster Linie eine experimentelle Band. Wir haben jede Menge Instrumente, Synthesizer und Samples, die wir über einen Punkrock-Song legen. Es klingt wie ein Techno-Track mit einer Vierviertel-Kickdrum als Basis. Die Kickdrum ist bei uns im Punkrock der Standard, dazu experimentieren wir. Das ist der spaßige Teil. Es braucht auch eine Melodie, und zwar eine verdammt eingängige. Entscheidend sind aber der Lärm und das Experimentieren, damit es nicht ins Kitschige abdriftet. Es ist eine feine Balance!

Ich habe den LoFi-Synth-Punk einer Band wie LOST SOUNDS immer geliebt, die Kombination aus Jay Reatard und Alicja Trout.
Johnny: Ja, die waren großartig! Ich denke, viele der Bands, die damals aus Brooklyn kamen, waren sehr einflussreich, wie JAPANTHER. Die New Wave, die nach uns kam mit CEREBRAL BALLZY oder HO99O9, war umwerfend. Bands aus Providence wie LIGHTNING BOLT oder PINK AND BROWN waren ebenfalls Vorläufer von all dem. Dan und ich hören beide genauso viel elektronische Musik wie Punk, also ist beides sehr einflussreich.
Dan: Ich liebe THE SCREAMERS ... aber vielleicht das schon zu weit zurück. Für mich sind aktuell HO99O9S das einzig Wahre.

Wie seid ihr mit Chris von This Charming Man, eurem deutschen Label, in Kontakt gekommen?
Johnny: Wir wurden ihm von unserem deutschen Booker Tom van Laak vorgestellt. Tom hat schon tolle Bands wie etwa ANGRY SAMOANS auf Tour geschickt, also waren wir begeistert, mit ihm arbeiten zu können. Chris war auch sofort Feuer und Flamme. Er hatte von Anfang an so einen gewissen lockeren Enthusiasmus, den ich sehr schätze. Wir haben in der Vergangenheit auch viel mit Elektro-Labels wie Ninja Tune gearbeitet, das war großartig, aber wir waren immer die Außenseiterband. Wenn wir eine Show auf einem Elektro-Festival spielten, flippten die Leute aus. Es ist schön, diese Platte auf einem Punk-Label zu veröffentlichen. Es erscheint außerdem bei Cobraside und Behemoth in den USA und Niw! in Japan, alles tolle Labels.