LINDA LINDAS

Foto© by Alice Baxley

Eine neue Generation Riot Grrrls

THE LINDA LINDAS aus Los Angeles sind für mich die aktuell spannendsten Newcomer aus Amerika. Mit einer Altersspanne von 11 bis 16 Jahren dürften sie auch die jüngste Band in dieser Ausgabe sein. Kürzlich haben sie bei Epitaph unterschrieben und einen Gig mit den reformierten BIKINI KILL im Hollywood Palladium gespielt. Die vier Musikerinnen Bela Salazar (gt/voc), Eloise Wong (bs/voc), Lucia (gt/voc) und Mila de la Garza (dr/voc) haben also mittlerweile schon einiges erlebt.

Auslöser für den schnellen Bekanntheitsgrad von THE LINDA LINDAS war neben einer Rolle als Schulband im Netflix-Film „Moxie!“ ein Auftritt in der Public Library in L.A. Dieser wurde samt Interview und Musik aufgezeichnet und das darin enthaltende BIKINI KILL-Cover „Rebel girl“ ging viral, gefolgt von lobenden Worten von deren Frontfrau Kathleen Hanna. Aber auch andere bekannte Gesichter wie Tom Morello von RAGE AGAINST THE MACHINE haben sich zu Wort gemeldet. „Song of the day“ nannte er ihren Song „Racist, sexist boy“. Darin lassen sie ihrer Wut freien Lauf über einen Mitschüler, der aus Angst vor dem Corona-Virus Drummerin Mila aufgrund ihrer asiatischen Wurzeln diskriminierte. Viele Lieder handeln von ihrer unmittelbaren Lebensrealität, beschäftigten sich aber auch mit den Präsidentschaftswahlen oder mit Belas Katze. Vater der Geschwister Lucia und Mila ist der Musikproduzent Carlos de la Garza, der unter anderem BAD RELIGION, PARAMORE und JIMMY EAT WORLD produzierte. Elioses Vater Martin Wong ist Mitbegründer des Magazins Giant Robot, in dem es sowohl um Punkrock als auch asiatische Popkultur geht. Dieses Kulturverständnis findet sich auch bei den LINDA LINDAS wieder, die sich selbst als asiatisch und lateinamerikanisch definieren. Der Bandname verweist auf den Song „Linda Linda“ der japanischen Punkband THE BLUE HEARTS. Diesem Song wurde 2005 auch ein japanischer Kinofilm namens „Linda Linda Linda“ gewidmet, in dem vier Schülerinnen eine Band gründen, um Songs der BLUE HEARTS zu covern.

Videoproduktionen, Songwriting und alles, was sonst noch zum Bandleben dazu gehört – wie schafft ihr es noch, da euren Schulalltag zu managen?
Bela: Wir passen auf, dass wir nie etwas tun, womit wir nicht umgehen können. Unsere geistiges und körperliches Wohlbefinden steht an erster Stelle, aber vor allem achten wir darauf, dass wir Spaß haben. Außerdem haben wir das Glück, in unserer Karriere die kreative Kontrolle zu haben, und wir achten immer darauf, dass wir mit Leuten zusammenarbeiten, die wir schätzen und respektieren.

Was hat euch dazu inspiriert, Punkrock zu machen?
Mila: Wir gehen schon lange auf Punk-Shows. Daher war es für uns ganz natürlich, eine Punkband zu gründen, da es nur um DIY geht und es keine großen Barrieren zwischen den Künstlern und den Bands gibt. Man legt einfach los!

Nicht nur euer Stil und die Umsetzung, sondern auch euer Sound beeindruckt mich. Aber Bela ist meines Wissens nach die Einzige, die ihr Instrument schon länger spielt.
Mila: Bela konnte schon drei Jahre, bevor wir THE LINDA LINDAS gründeten, Gitarre spielen. Der Rest von uns hat klassisches Klavier gelernt, aber das hat uns bei der Band sehr geholfen.

Ich denke, die Tatsache, dass ihr alle vier singt, hat den Vorteil, dass euer Sound noch vielfältiger wird. Wer schreibt die Songs? Ist jeder dafür verantwortlich oder liegt die Aufgabe bei einer Person?
Lucia: Wir schreiben alle Songs. Manchmal auch getrennt, vor allem während des Lockdowns. Manchmal aber auch zusammen, was wir jetzt vermehrt tun wollen. Es macht einfach mehr Spaß, gemeinsam Songs zu schreiben.

„Racist, sexist boy“ wurde von einem Jungen inspiriert, der Mila wegen der asiatischen Herkunft diskriminiert hat, „Monica“ ist ein Song über Belas skurrile Katze, „Claudia Kishi“ ist eine populäre Romanfigur. Welchen Themen werdet ihr euch in Zukunft widmen?
Bela: Für unsere kommende LP habe ich einen Song über meine andere Katze geschrieben und ich singe ein Stück auf Spanisch. Außerdem gibt es eine Studioversion von „Racist, sexist boy“ und eine Menge Lieder, in denen es darum geht, einfach wir selbst zu sein. Wir können es kaum erwarten, dass ihr das Album hört.

Viv Albertine von THE SLITS schrieb in ihrem Buch, dass es ihr an weiblichen Vorbildern fehlte, das war im England der Siebziger. PANIC SHACK aus Cardiff haben mir letztes Jahr im Interview Ähnliches gesagt. Wie geht es euch? Gibt es Musikerinnen, zu denen ihr aufschauen könnt und die euch inspirieren?
Eloise: Wir haben nicht nur weibliche Vorbilder, sondern sind mit vielen von ihnen sogar befreundet und haben von ihnen Unterstützung bekommen. Wie beispielsweise Kathleen Hanna von BIKINI KILL, Alice Bag von den BAGS, Bethany von BEST COAST, Jen von BLEACHED, Hayley von PARAMORE, Phranc und viele mehr.

Wie habt ihr den Vertrag mit Epitaph bekommen und wie war das für euch?
Eloise: Sie haben uns unter Vertrag genommen, weil Brett Gurewitz von Anfang an bei unseren Shows dabei war – lange vor dem Library-Video, das damals viral ging. Es ist immer noch unglaublich, dass wir auf demselben Label sind wie L7, THE RED AUNTS, BAD RELIGION und DESCENDENTS.

Ihr habt bisher eine EP und einige Singles veröffentlicht, außerdem einige Merchandise-Artikel. Wann können wir mit einem Album rechnen, könnt ihr uns etwas verraten?
Bela: Wir haben gerade die Aufnahmen zu unserer ersten LP beendet. „Oh!“ war die erste Single und wir werden noch ein oder zwei weitere Singles veröffentlichen, bevor das Album herauskommt. Vielleicht Anfang nächsten Jahres?

Ihr seid bereits in mehreren Netflix-Produktionen zu hören, für „Moxie!“ habt ihr „Rebel girl“ von BIKINI KILL und „Big mouth“ von THE MUFFS gecovert. Für die Dokumentation über Claudia Kishi habt ihr einen eigenen Song geschrieben und eure Single „Oh!“ ist im Trailer zur Netflix-Serie „The Chair“ zu hören. Alle diese Filme haben Feminismus als gemeinsames Thema. Feminismus ist unbestritten enorm wichtig, aber was bedeutet er für euch?
Lucia: Von kleinauf wird uns beigebracht, dass Mädchen verantwortungsbewusst sein sollten, während Jungs es im Leben besser haben werden. Im Geschichtsunterricht wird eine Stunde lang über einen Jungen diskutiert, der etwas verbockt hat. Aber jetzt müssen wir Mädchen uns Gehör verschaffen und endlich einfordern, was uns zusteht. Und vielleicht kann unsere Musik weitere Mädchen inspirieren und alle anderen informieren.

Würdet ihr euch selbst in den Riot Grrrl-Kontext einordnen?
Mila: Auf jeden Fall! Und wir sind stolz und glücklich, ein Teil davon zu sein und die Bewegung am Laufen zu halten.

Ihr habt bereits im Hollywood Palladium mit BIKINI KILL gespielt. Das ist schon eine große Sache. Was sind eure nächsten Pläne?
Lucia: Wir haben einige Konzerte geplant, von der kleinen DIY-Punk-Show mit unseren Freunden NEIGHBORHOOD BRATS und ROUGH KIDS bis hin zu einem Festival mit ATARASHII GAKKO!, die wirklich cool sind, und JAPANESE BREAKFAST, die wir uns unbedingt ansehen wollten. Wir denken, dass wir nächstes Jahr für ein paar Bands eröffnen und vielleicht sogar an der Ostküste spielen werden.

Wenn es nach der Pandemie wieder möglich ist, werdet ihr dann nach Deutschland kommen?
Eloise: Ich war in Berlin und es war cool! Wir waren im RAMONES-Museum und haben den Besitzer Flo am nächsten Tag zum Mittagessen getroffen. Und wir haben IRON MAIDEN in der Waldbühne gesehen. Ich glaube nicht, dass wir in einer so großen Halle spielen könnten, aber es hat Spaß gemacht, weil die deutschen Fans wirklich ausrasten können. Ladet uns ein, um hier zu spielen, bitte!

Gibt es noch etwas, das ihr sagen wollt?
Alle: Danke, dass ihr euch unsere Songs angehört habt, wir hoffen, dass euch unsere neue Platte gefällt, und wir sehen uns bei den Konzerten!