LIONHEART

Foto© by Moritz Hartmann

(K)Ein Jahr für Live-Musik

Es ist ein verrücktes Jahr für uns alle, für die USA aber vielleicht noch ein bisschen mehr. Abgesehen von der seit Monaten wütenden Pandemie, steht ein Präsident, der nicht nur dumm und unmoralisch, sondern höchstgefährlich ist, vor der potenziellen Wiederwahl und obendrein tobt ein ganz neues Ausmaß an Waldbränden. LIONHEART aus Oakland, Kalifornien befinden sich mittendrin, bringen aber auf ihre Weise Licht in düsteren Zeiten – mit einer Sache, die uns allen so sehr fehlt: Live-Musik. Man könnte es als Corona-Projekt bezeichnen, was am 6. November erscheinen soll: „Live At Summer Breeze 2019“. Ein ehrliches Live-Album, das die Sehnsucht nach Konzerten ein wenig stillt ... oder erst recht weckt? Wir sprechen mit Sänger Rob Watson über die Bedeutung eines Live-Albums in Zeiten von Corona und andere verrückte Ereignisse.

Ihr stammt aus Oakland, wo kürzlich heftige Feuer wüteten. Wie habt ihr die Zeit überstanden?

Es war unglaublich. Wir waren tatsächlich direkt betroffen. Ich wohne nur wenige Meilen von einigen der Brandherde entfernt und im Freien war es da gar nicht auszuhalten, der Rauch war entsetzlich. Ich habe noch nie so schlimme Waldbrände erlebt wie diesen Sommer. Wir wurden schließlich evakuiert und ich habe ein paar Wochen im Süden Kaliforniens verbracht.

Ihr habt mit LIONHEART an einem Live-Album gearbeitet in einer Zeit, in der es keine Live-Musik gibt. War gerade das eure Motivation?
Genauso war es. Wenn ich ehrlich bin, waren wir vorher noch nie auf den Gedanken gekommen, ein Live-Album zu produzieren. Aber nach einem Jahr ohne Shows dachten wir, es wäre eine schöne Gelegenheit, sich gemeinsam an eine Zeit zu erinnern, in der man noch Konzerte besuchen konnte. Während der Produktion war es schwierig, mit der Sehnsucht, auf der Bühne zu stehen, umzugehen. Aber letztendlich war genau das der Anreiz: Wir dachten, das Live-Erlebnis nach Hause zu holen, wäre bestimmt spaßig – und das war es letztendlich auch.

Wieso habt ihr euch für die Aufnahmen beim Summer Breeze 2019 entschieden?
Das hat sich so ergeben, da diese Show sowieso seitens des Festivals aufgezeichnet worden war. Das kam uns sehr gelegen! Aber als wir damals das Konzert gaben, haben wir nicht annähernd daran gedacht, dass daraus einmal ein Album werden könnte. Von daher bin ich in erster Linie froh, dass wir die Songs nicht zu sehr versemmelt haben. Auf den Aufnahmen findest du zwar einige Fehler, aber wir transportieren auch jede Menge Energie und ich denke, das wird es sein, was die Leute erfreut und sie an schönere Zeiten denken lässt.

Welche Erinnerungen habt ihr an diese Show?
Nicht die, die man so erwartet: Nach dem Auftritt hat sich unser Bassist, Richard Mathews, nämlich den Knöchel gebrochen. Wir verbrachten den ganzen Nachmittag und Abend in einem Krankenhaus.

Gab es auch ein paar schönere Erlebnisse bei eurem Aufenthalt in Deutschland?
Ja, unbedingt! Wir sind ganz verliebt in Deutschland. Nicht nur weil unser Gitarrist, Walle Etzel, von dort stammt. Die schönsten Momente waren eigentlich immer die Begegnungen mit den Leuten bei unseren Konzerten. Wir wurden stets mit offenen Armen und Herzen empfangen. Wir könnten euch nicht dankbarer sein. Dass die Stücke unseres Live-Albums von einer deutschen Show stammen, ist nur gerecht.

Ihr habt das erste Mal ein Live-Album produziert. Wie gestaltete sich der Prozess?
Es war ja völlig ungeplant, dafür war der Prozess ziemlich simpel. Als uns die Mitschnitte vom Summer Breeze vorlagen, haben wir sie nur noch etwas gemixt und gemastert. Oftmals, wenn Bands „Live“-Alben veröffentlichen, muss man feststellen, dass sie gar nicht so live sind. Da werden die Gitarren neu aufgenommen, der Bass und manchmal sogar die Vocals. Stell dir das mal vor! So was ist doch Mist. Unser Album ist zu hundert Prozent live eingespielt – mit Fehlern und allem, was dazugehört.

Was ist der größte Unterschied zwischen einem Live- und einem Studioalbum?
Bei einem Studioalbum musst du tatsächlich richtig arbeiten!

In unserem letzten Gespräch sagtest du, dass Persönlichkeit und Ehrlichkeit die wichtigsten Attribute von LIONHEART sind. Ist ein Live-Album die ehrlichste Form einer Aufnahme?
Ich würde sagen, ja. Du kannst einfach nichts verstecken – sofern es wirklich live ist, haha!

Denkst du, dass Konzerte nach Corona anders sein werden?
Ich weiß nicht so recht, ich hoffe nicht. Man denkt aktuell nur an die negativen Auswirkungen, dass es mehr Einschränkungen geben könnte, wir weniger frei sind. Aber vielleicht gibt es auch positive Veränderungen: Wir alle durchleben aktuell eine wirklich schwierige Zeit, aber ich hoffe, wenn wir wieder zurückkehren zur Normalität, dass die Leute es besonders schätzen werden, worauf sie lange verzichten mussten. Ich glaube, viele von uns haben unseren Lifestyle als zu selbstverständlich wahrgenommen – ich schließe mich da nicht aus. Corona zeigt uns, dass wir echte Privilegien hatten, und die Dankbarkeit dafür spiegelt sich hoffentlich auch zukünftig auf Konzerten wider.

Habt ihr schon Pläne für 2021?
Tatsächlich, ja. Ende nächsten Jahres planen wir unsere größte Headlinertour ever. Drück uns die Daumen!

Zum Abschluss: Euer Album erscheint nur wenige Tage nach den Präsidentschaftswahlen in den USA. Was geht dir dazu aktuell durch den Kopf?
Es ist einfach nur traurig. Als US-Bürger ist es mir inzwischen richtig peinlich, die Nachrichten zu lesen. LIONHEART waren nie eine politische Band, aber was hier gerade passiert, geht weit über Politik hinaus. Es ist unglaublich traurig zu sehen, was in den letzten paar Jahren aus unserem Land geworden ist. Allerdings beobachte ich zunehmend, wie immer mehr Leute aufstehen und für einen Wechsel kämpfen. Das ist wirklich ermutigend und ich wünsche mir sehr, dass es sich in den Wahlergebnissen zeigt.