PAINT IT BLACK

Foto© by Danika Zandboer

Radikale Verletzlichkeit

Dan Yenim praktiziert als selbstständiger Psychologe, hilft Teenagern und gründete 2002 zusammen mit ehemaligen Mitgliedern von NONE MORE BLACK und THE LOVED ONES in Philadelphia PAINT IT BLACK. Zu Beginn durchlief das Line-up ein kleines Fine-Tuning und seit 2007 entstanden alle Veröffentlichungen in der aus Dan Yenim (voc), Andy Nelson (bs), Joash Agran (gt) und Jared Shavelson (dr) bestehenden Band-Konstellation. Bestens bekannt als Gitarrist der einflussreichen Bands LIFETIME und KID DYNAMITE, wechselte Mr. Yenim für PAINT IT BLACK ans Mikrofon und schafft es immer wieder, mit seiner von Henry Rollins beeinflussten Performance die Live-Energie von der Bühne ins Publikum zu transportieren.

Die Band umgab in den letzten zehn Jahren eine ungewohnte Stille – abgesehen von vereinzelten Konzerten und Festivalauftritten –, aber mit dem Wechsel von Jade Tree hin zu Revelation Records beenden sie diese Abstinenz und veröffentlichen Ende 2023 ihr viertes Album „Famine“. Ihren Namen verdanken sie übrigens nicht dem ROLLING STONES-Klassiker, sondern nehmen damit Bezug auf einen INK & DAGGER-Song.

Das US-amerikanische Gesundheitssystem ist weit davon entfernt, weltweit an der Spitze zu stehen. Es ist in zwei Studien auf dem elften Platz gelandet und trotz Obamacare scheint es keine positive Veränderung gegeben zu haben. Du hast im Jahr 2000 einen Schlaganfall erlitten und kurz darauf PAINT IT BLACK gegründet. Bist du als praktizierender Psychologe in der Lage, eine halbwegs anständige Krankenversicherung bezahlen zu können? Wie siehst du die Situation generell?
Die Gesundheitssituation in den Vereinigten Staaten ist ziemlich schlimm. In vielerlei Hinsicht scheint sie mit der in Entwicklungsländern vergleichbar zu sein, wo sich die Wohlhabenden eine gute Versorgung leisten können und alle anderen auf sich allein gestellt sind. In vielen Jobs gehört die Krankenversicherung zu den wichtigsten Sozialleistungen, aber die Arbeitgeber finden immer neue Wege, um sich vor dieser grundlegenden Verantwortung zu drücken. Viele von uns hier sind der Meinung, dass der Staat generell dafür zuständig sein sollte. Ich bin in einer komfortablen Lage, denn meine Frau arbeitet in einem großen Universitätskrankenhaus, so dass unsere Familie hervorragende Gesundheitsleistungen erhält. Ich bin selbstständig, was bedeutet, dass ich, wenn ich alleinstehend wäre, für meine eigene Krankenversicherung zahlen müsste. Dieses Szenario wurde etwas überschaubarer, nachdem Obama den Affordable Care Act verabschiedet hatte, aber als ich den Schlaganfall hatte, musste ich meine Krankenversicherung selbst bezahlen. Damals, im Jahr 2001, war ein guter Krankenversicherungsschutz für einen alleinstehenden, gesunden dreißigjährigen Selbstständigen relativ günstig, aber die Gesundheitskosten in den USA sind seitdem erheblich gestiegen, und ich bin mir nicht sicher, wie gut das für selbstständige junge Erwachsene im Jahr 2023 zu bewältigen ist. Die Gesundheitsprobleme, mit denen wir in den Vereinigten Staaten konfrontiert sind, sind eine von vielen Erscheinungsformen der enormen Kluft zwischen Reich und Arm. Hier gibt es eine echte Verzerrung in der Wahrnehmung der Verantwortung des Staates, und ich glaube, das ist tief im „amerikanischen Charakter“ verankert. Es ist eine fast schon cartoonhafte Verzerrung der Idee von „individueller Freiheit“, die eigentlich nur bedeutet, jeder ist auf sich allein gestellt.

Vor einigen Jahren habe ich mir die Zeichnung von zwei sich umarmenden Kindern tätowieren lassen, die auf dem Label der LIFETIME-LP „Background“ zu sehen ist. Später erfuhr ich, dass sie aus einem bekannten Kinderbuch stammt. Könntest du uns bitte etwas dazu erzählen? Und würde das Motiv als LIFETIME-Tattoo durchgehen?
Das würde auf jeden Fall als LIFETIME-Tattoo durchgehen, zumindest für jeden, dem in den 90er Jahren Hardcore-Punk wichtig war. Das Bild stammt, glaube ich, aus dem Kindergedichtebuch „Where the Sidewalk Ends“ von Shel Silverstein. Es ist eines von vielen Bildern, die wir uns in den frühen 90er Jahren für Platten- und T-Shirt-Designs angeeignet haben. Die Hardcore-Szene in unserem Teil des Landes war damals geprägt von einem Image von körperlicher Härte – etwas, mit dem wir nichts anfangen konnten und das wir befremdlich fanden. Ich denke, man könnte sagen, dass unsere Motivwahl in den frühen 90er Jahren eine Reaktion darauf war. Wir haben uns darauf konzentriert, das darzustellen, was man als radikale Verletzlichkeit bezeichnen könnte.

Seit der Veröffentlichung eurer 7“-Trilogie „Surrender“, „Amnesia“ und „Invisible“ zwischen 2009 und 2013 ist viel Schlimmes passiert auf der Welt. Welche aktuellen politischen Ereignisse werden auf eurem neuen Album „Famine“ angesprochen, was haben die Texte für einen Hintergrund?
Die aktuellen politischen Ereignisse haben „Famine“ und einen Großteil der Texte, die ein wesentlicher Bestandteil des Albums sind, sehr geprägt. Auch Themen, die eher persönlich sind, betrachte ich in einem politischen Kontext. Die Texte sind alle von mir, enthalten aber Anspielungen auf Ideen aus einem breiten literarischen Spektrum an Einflüssen, vom Alten Testament bis zu Camus’ „Der Mythos von Sisyphos“. Da ich auch aus persönlicher Erfahrung heraus schreibe, gibt es gelegentlich eine Zeile, die von etwas stammt, das mir in meinem direkten Lebensumfeld begegnet ist und mich inspiriert hat. So gibt es in dem Lied „Dominion“ einen Satz, den ein Freund von mir eingerahmt an der Wand im Haus einer sehr religiösen Familie gesehen hat. Ebenso gibt es eine Zeile in „Namesake“, die von einem Wandgemälde in Philadelphia stammt, das ich immer wieder gesehen habe, während ich mit dem Fahrrad durch die Stadt fuhr, und die sich mit der Zeit in mein Bewusstsein eingebrannt hat. Der Aufstieg der rechten nationalistischen Ideologie in den USA und weltweit ist ein Krebsgeschwür, das Metastasen bildet. Ob die Menschheit überleben wird, bleibt abzuwarten. Der Schaden, der dem Planeten durch den unregulierten Kapitalismus zugefügt wird, könnte unumkehrbar sein. Kinder in dieser Welt großzuziehen, ist ein unüberwindbares Paradoxon: Hoffnung und Hoffnungslosigkeit in dynamischer Spannung. Punk nährt meine Hoffnung, weil er mich mit Menschen zusammenbringt, die sich für eine bessere Welt einsetzen, mit Künstler:innen, Aktivist:innen, Lehrer:innen – Menschen, die in der begrenzten Zeit, die ihnen zur Verfügung steht, ihr Bestes geben, um etwas zu erschaffen und nicht um zu zerstören.

In einem Interview hast du 2007 eine Textzeile von JAWBREAKER analysiert, in der es um das Älterwerden geht. Wie denkst du heute über diese Worte und fragst du dich seitdem noch öfter, was mit den Menschen um dich herum passiert, wenn sie die vierzig erreicht haben?
Je älter ich werde, desto mehr Menschen, mit denen ich in Kontakt bin, engagieren sich für eine generative Arbeit, die sich gegen den betäubten kapitalistischen Todesmarsch richtet. Ich versuche, keine Zeit und keinen Raum für Beziehungen zu verschwenden, die sich nicht gegenseitig nähren.

Bist du damit zufrieden, wo und wofür PAINT IT BLACK nach zwanzig Jahren und dem einen oder anderen Besetzungswechsel stehen? Nach den ersten paar Durchläufen wirkt „Famine“ etwas schneller und geradliniger als „New Lexicon“ von 2008.
Ich bin sehr stolz darauf, wo die Band nach zwanzig Jahren steht. Ich glaube, keiner von uns konnte voraussehen, dass wir zu diesem Zeitpunkt immer noch eine so produktive und funktionierende Band sein würden. Die Erfahrung sagt uns, dass eine Band ein paar Jahre lang hell brennt und dann verschwindet, aber irgendwie haben wir immer noch das Gefühl, dass wir etwas Relevantes beizutragen haben. Wir arbeiten musikalisch gut zusammen, und das ist mit der Zeit nur noch besser geworden. Während sich die Welt verändert hat und wir durch verschiedene Phasen unseres Erwachsenenlebens gegangen sind, haben wir festgestellt, dass wir immer noch Kunst machen können, die sich explosiv, progressiv und originell anfühlt. Anstatt uns auf Nostalgie zu verlegen, reflektieren wir unsere Vergangenheit auf eine Weise, die sich – zumindest für mich – direkt und unmittelbar anfühlt. Wir blicken zugleich auf eine oft erschreckende Zukunft, wobei wir, wie ich hoffe, Bitterkeit vermeiden und uns Raum für Möglichkeiten lassen. Wir haben seit 2007 das gleiche Line-up und ich kann mit Sicherheit sagen, dass wir die letzten Besetzungswechsel hinter uns haben. „Famine“ ist definitiv reduzierter, aber ich glaube nicht, dass es weniger progressiv ist. Wir haben die Platte sehr bewusst aufgenommen. Wir haben sie in zweieinhalb Tagen live eingespielt, einschließlich des Aufbaus. Anstatt uns im Studio darauf zu konzentrieren, alles perfekt zu machen, waren wir einfach extrem vorbereitet. Jack ließ mich mit einem SM 58-Mikro in der Hand durch den Raum rennen, anstatt das typische Studio-Setup zu verwenden mit einem super teuren Mikrofon, das man nicht anfassen darf. Es fühlte sich alles also sehr direkt und hoffentlich explosiv an, als wären wir alle zusammen bei einer Show. Wir haben bei der Postproduktion viel Zeit und Mühe in Experimente gesteckt, sie sind nur viel subtiler als bei „New Lexicon“. Der Song „Exploitation period“ besteht zu 75% aus einer Tonbandschleife, die wir im Studio erstellt und mit Fieldrecordings und Samples gemischt haben. Wir wollten herausfinden, wie wir ohne Schlagzeug und Gitarren die Intensität steigern können. Don Devore steuerte zum Breakdown in „Dominion“ einen fünfdimensionalen Raumschiff-Wahnsinn bei, aber er ist mit allem anderen überlagert, so dass es wie ein Teil des Live-Erlebnisses klingt. Unser Plan war, diese experimentellen Spielereien so in den Rest einzubetten, dass sie einen nicht überrumpeln.

In vielen Konzertlocations hierzulande gibt es seit Jahren immer wieder Streit, ob Bandmitglieder mit bloßem Oberkörper auftreten dürfen, so dass „Verbote“ ausgesprochen werden und der Abbruch der Veranstaltung droht. Gibt es in den USA eine ähnliche Dynamik?
Ich habe noch nie von so etwas gehört, wobei wir jedoch nicht so oft spielen, also kann ich mir nicht sicher sein. Aber ich habe schon vor über zehn Jahren einen Aufsatz gelesen, verfasst, glaube ich, von Lauren von THE MEASURE und WORRIERS, in dem es um Sexismus und männliche Privilegien in Bezug auf das Ausziehen des T-Shirts bei Auftritten ging. Das brachte mich zum Nachdenken, also habe seither davon abgesehen, das zu tun.

Für manche Puristen mag „New Lexicon“ bei seiner Veröffentlichung ein ähnliches Gefühl ausgelöst haben, wie SNAPCASE, REFUSED, INK & DAGGER oder auch THE VSS mit ihren sehr abwechslungsreichen Songs. Punk bedeutet aber auch, sich weiterzuentwickeln, neue Einflüsse zuzulassen, denn „Stillstand ist der Tod“. Deine Meinung dazu?
Es ist eine Ehre, in einem Atemzug mit INK & DAGGER, VSS, REFUSED und SNAPCASE genannt zu werden. Wir sind von den Klassikern des Hardcore-Punk beeinflusst und ihnen verpflichtet, aber lassen uns davon nicht einschränken. Ein Purist zu sein, kann ein Ausdruck von Hingabe sein, aber auch ein Weg zum Konservatismus.

Korrigiere mich, wenn ich falsch liege, aber ihr seid seit 2008 nicht mehr in Deutschland auf Tour gewesen, und 2017 habt ihr nur Shows in England gespielt. Gibt es Überlegungen von eurer Seite, „Famine“ 2024 in Europa zu präsentieren?
Wir haben im Moment nicht die Zeit, ausgiebig auf Tour zu gehen, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass wir mal wieder in Europa spielen. Wir würden das gerne tun, wenn wir es zeitlich und finanziell hinbekommen würden.

Um PAINT IT BLACK ist es in den letzten Jahren ziemlich ruhig geworden. Hat es einfach eine Weile gedauert, bis sich neue Ideen und Energie angesammelt haben, oder steckten private oder berufliche Gründe dahinter?
Ideen und Energie zu sammeln, war nie ein Problem. Zeit und Geografie sind die Hindernisse. Meine erste Priorität ist für mich meine Familie, die Kinder großzuziehen, meine Arbeit ist auch extrem anspruchsvoll. Außerdem leben wir teilweise 3.000 Meilen voneinander entfernt und spielen alle in mehreren Bands.