PARKWAY DRIVE

Foto© by Epitaph

Die gewollte Stadionisierung

Winston McCall und seine Band PARKWAY DRIVE aus Byron Bay in Australien waren einmal eine Metalcore-Band unter vielen. Clubs waren ihr Zuhause. In der Freizeit standen die Musiker wahrscheinlich mehr auf dem Surfbrett als im Proberaum, denn was sollte denn da noch kommen? Mit Downstrokes und Shout-Gesang in die großen Hallen? Ach, was! Aber dann passierte etwas, von dem bis heute niemand sagen kann, was es war – und auf einmal waren PARKWAY DRIVE groß. Richtig groß. Slots bei riesigen Festivals. Headliner. Charts. Immer weiter rauf in den kleinen Pulk jener Bands, wie weltweit nicht nur ein paar Tausend Menschen, sondern die Massen bewegen.

Es ist ein Werdegang, der nach wie vor unglaublich anmutet für eine Band, die nachweislich aus dem Urschleim der Szene entstand und hoch authentisch ist. Vor allem „Ire“ und „Reverence“ waren 2015 und 2018 die Alben, die PARKWAY DRIVE die Karriereleiter gewaltig hochschubsten. Jetzt, nach den Lockdowns und knapp drei Jahren der Musiklosigkeit, veröffentlichen sie mit „Darker Still“ ihre siebte Platte. Zitieren darauf sogar MEALLICA und GUNS N’ ROSES, und setzen sich mit Dunkelheit als einem der populärsten Motive in der Kunst überhaupt auseinander. Warum, das erklärt uns Winston McCall gut gelaunt beim Zoom-Call. Zudem sagt er, was er vom Begriff der „Stadionisierung“ in Bezug auf seine Band hält.

Winston, ich sage nach einigen Hördurchgängen von „Darker Still“: Diese Platte könnte der Abschluss einer, wenn du so willst, emotionalen Albumtrilogie sein. „Ire“ war die Wut. „Reverence“ hatte viele Momente der Trauer. Und jetzt kommt „Darker Still“, das beides miteinander vereint. Wie passt es deiner Meinung nach in diese Reihe hinein?

Es ist Teil einer Reise. Einer Reise durch die Dunkelheit, die mit den beiden Alben zuvor begonnen hat und die jetzt abgeschlossen wird. Diese Platte soll das symbolisieren. Sie soll einen Weg hinaus finden. Hin zu etwas Neuem.

Das Motiv der Dunkelheit ist in der Kunst traditionell extrem populär. Warum ist das so?
Dunkelheit ist schwer zu fassen und auszudrücken im alltäglichen Leben. Alles, über das wir im Leben sprechen wollen, sind Glück, Freude, Genuss, Licht, Positivität. Das sucht jeder. Das wird immer als Ziel und erstrebenswert ausgegeben. Aber das Leben ist nicht so. Es ist auch hart. Es bedeutet Straucheln, Scheitern, Kampf. Jedes Stückchen Liebe bringt auch Verlust mit sich. Und ich denke, Kunst ist der Raum, in dem Dunkelheit rausgelassen werden kann. In dem sie erlaubt ist. In dem sie nicht nur negativ, sondern eben auch als Herausforderung angesehen wird, der man sich man sich stellen muss und stellen darf. Dunkelheit ist die Sprache der Seele, des Inneren. Wenn ich mit Freunden unterwegs bin, spreche ich nicht darüber. In der Kunst, in meinen Songs kann ich das hingegen tun.

Ein anderer Musiker sagte mir mal: „Wenn ich gut drauf bin und die Sonne scheint, dann setze ich mich nicht hin und schreibe Songs, sondern gehe raus und trinke Bier.“ Das würde also passen.
Absolut, haha! Ich habe das mal versucht mit dem Schreiben von Songs bei guter Laune und Sonne. Aber es klappt nicht, ich kann das nicht. Es fühlt sich falsch an. Es ist wie Zucker: Es berührt mich zwar kurz, ist auch irgendwie toll. Aber es erfüllt mich nicht. Wenn ich glücklich bin, dann kümmere ich mich nicht um Musik. Dann erschaffe ich nichts. Meine Kunst kommt nicht zum Vorschein, wenn die Sonne scheint, sondern wenn ich alleine mit mir und meinen Gedanken bin. Dann komme ich zum Nachdenken und zum Schreiben. Und das ist häufig der Fall. Ich habe den Kopf irgendwie nie aus. Es gibt wenige Momente, in denen ich mal nicht irgendwelche Gedanken mit mir herumtrage und etwas hinterfrage.

Der letzte Song des neuen Albums heißt: „From the heart of the darkness“. Wo ist dieses Herz der Dunkelheit für dich?
Wie gesagt, dieses Album dreht sich um eine Reise hin zur dunklen Seite der Seele. Es gibt Kräfte, die dazu führen, dass alles zerstört wird, woran du glaubst. Wenn du damit konfrontiert wirst, stellst du alles infrage. Dadurch aber fordern dich diese Kräfte auch dazu auf, dich aufzumachen und einen Ausweg zu finden – aus diesem Herz der Dunkelheit, das damit gemeint ist. Und das ist gut. Weil es zeigt, dunkel und hell sind keine Gegensätze. Sie bedingen einander. Eines kann ohne das andere nicht existieren. Dunkel ist nicht per se negativ, hell nicht per se positiv. Deshalb ist dieser Song zwar einerseits einer der härtesten auf dem Album, aber auch einer der positivsten. Er spiegelt meine persönliche Reise. Er gibt mir Stärke.

Du erwähnst Kräfte, die einen Menschen potenziell zerstören können. Welche Kräfte haben dich in den vergangenen Jahren besonders stark gefordert? Das können ja politische Dinge sein, gesellschaftliche – oder sehr intime, persönliche.
Da gab es einige. Vor allem aber ist es Verlust. Der Verlust von lieben Menschen, der auch auf „Reverence“ schon eine große Rolle spielte. Und wir reden hier nicht von ein oder zwei Verlusten, sondern von einer massiven Anzahl. Hinzu kommen in die Brüche gegangene Beziehungen. Und dann noch Corona, Brände im Land, Überflutungen, politische Krisen auf der Welt, Umweltverschmutzung. So viel. Wirklich so viel! Und das war irgendwann auch der Grund, dieses neue Album aufzunehmen. Denn das alles hat mein Leben, unser Leben verändert. Es hatte und hat Auswirkungen. „Darker Still“ musste also sein. Das hört ja alles nicht auf. Ich habe in der Zwischenzeit weitere Freunde verloren, teilweise wegen Drogensucht. Ich musste immer und immer wieder sehen: Niemand von uns ist unsterblich.

Du sprichst davon, dass all das ein Leben verändern kann. Was ist die größte Veränderung, die du über die vergangenen Jahre an dir selbst festgestellt hast?
Ich habe heute viel mehr Selbstvertrauen. Und ich kann auch besser auf mich achten. Weißt du, ich habe lange Zeit immer nur darauf geachtet, dass sich andere gut und wohl fühlen. Aber irgendwann haben sich ein paar ehemals gute Freunde dazu entschieden, mich als den Bösen in ihrem Leben, als Arschloch zu betrachten. Ich weiß nicht warum. Das war hart. Aber es hat dazu geführt, dass ich mehr auf mich schaue. Dass ich mir sage: Solange ich mit mir im Reinen bin und mir nichts vorwerfen kann, ist alles in Ordnung. Ich kann es nicht jedem recht machen. Und will das auch nicht.

Gar nicht so leicht, wenn man bedenkt, dass du als Frontmann mit deiner Band mittlerweile regelmäßig in riesigen Hallen spielst und Abend für Abend zehntausend Menschen vor dir stehen hast, die dich alle für ihren besten Freund halten.
Einerseits ja, aber andererseits ist das etwas Anderes. Wir haben in den vergangenen drei Jahren nur eine einzige Show gespielt – und man verliert über diese lange Abstinenz das Gefühl dafür, wie das ist. Man vergisst viel. Man kann sich zwar erinnern, dass es sich gut anfühlt, aber das Erlebnis fehlt eben. Wenn ich dann aber wieder auf der Bühne stehe, dann merke ich auf einen Schlag, warum diese vielen Menschen gekommen sind und Geld bezahlt haben – auch nach so langer Zeit.

Nämlich?
Sie wollen sich mit einem verbinden. Eins werden mit der Band. Das ist so intensiv! Und dann ist dir auch klar, die kommen nicht, um dir zu sagen: Du bist scheiße. Das, was ihr hier macht, ist scheiße! Ich muss es ihnen also nicht recht machen, ich muss nur authentisch sein. Und das bin ich.

Ihr habt jahrelang in kleinen Clubs gespielt. Dann auf einmal kam der Knall. Und als es für euch gerade auf den Olymp gehen sollte, die Solo-Stadionshow, kam die Pandemie und alles war passé. Maximal blöd gelaufen, oder?
Ach, es ist okay. Denn diese Pandemie-Unterbrechung hatte – ganz ehrlich! – auch ihre guten Seiten. Sie war sogar gesund und tat uns gut.

Wie das?
Sie zwang uns dazu, innezuhalten und eine Pause zu machen. Vorher war es kaum möglich, aus diesem ewigen Hamsterrad der Musikindustrie rauszukommen. Es geht ja immer um die nächste Platte und die nächste Tour. Darum, mehr Geld zu machen, mehr Songs aufzunehmen und mehr Shows zu spielen. Musik muss ja schließlich überall und jederzeit verfügbar sein. Das muss bedient werden. Und diese Struktur aufzubrechen, ist eigentlich nicht möglich. Wir hatten uns 2019 schon überlegt, wie wir zumindest mal ein Jahr lang runterfahren könnten. Keine Tour, keine Platte. Nichts. Wie man das irgendwie umsetzen könnte. Uns fiel schlichtweg keine Lösung ein. Obwohl wir wussten, wie dringend das nötig war. Und dann kam das Virus – und alles fuhr automatisch runter. Komplett. Alles und jeder musste pausieren. Das war ein Zeitpunkt, an dem wir plötzlich eine versöhnliche Einstellung entwickelten. Denn wir sagten uns: Selbst wenn das alles nie wieder hochgefahren wird und die Band nie wieder auftreten sollte – dann haben wir trotzdem all das, was hinter uns liegt, schon erreicht. Die großen Shows. Die Headliner-Gigs bei Festivals. Das kann uns niemand mehr nehmen. Überhaupt, wir leben hier mit unseren Familien in einer wunderschönen Gegend. Wir haben nach wie vor uns. Wir können wirklich, wirklich glücklich sein, verdammt noch mal! Sprich: Es ist alles okay. Wir merkten, wir haben unseren Frieden längst erreicht. Und das tat gut.

Ganz ehrlich: Würde die Band ohne die Pandemie noch existieren?
Nein, definitiv nicht. Wir brauchten diese Zeit des Reflektierens unbedingt. Wir hätten sonst einfach immer weiter gemacht. Und das wäre das Ende gewesen. Wir waren kurz davor, es gegen die Wand zu fahren. Corona hat eine Situation herbeigeführt, die uns die Augen öffnete.

In einem Pressetext zum neuen Album steht, dass ihr mit „Darker Still“ alles erreicht hättet, was ihr je erreichen wolltet. Dass dieses Album exakt so ausgefallen ist, wie sich PARKWAY DRIVE das immer schon vorgestellt haben. Bleibt die Frage: Wenn das wirklich so ist, was soll da jetzt noch kommen?
Diese Frage wurde mir neulich schon mal gestellt, haha. Sie ist berechtigt, weil sie sehr interessant ist. Normalerweise ist es nämlich so, dass wir nichts, wirklich nichts mehr übrighaben, wenn wir ein Album fertig gestellt haben. Da ist dann nur Leere. Zunächst. Dann habe ich aber jedes Mal doch schnell das Gefühl, dass da noch mehr geht. Dass da noch mehr Potenzial in uns steckt, und ich überlege, wie wir das beim nächsten Mal rauskitzeln können. Aber bei „Darker Still“ ist es so, dass diese Platte wirklich die Erfüllung aller Vorstellungen und Ansprüche bedeutet, die wir je an diese Band hatten. Diese Platte ist die Erfüllung aller künstlerischen Ideen. Sie zeigt mir, wie unfassbar weit wir mittlerweile weg sind von dem, was wir früher einmal waren. Wie sehr wir uns weiterentwickelt haben. Es ist massiv. Wir hätten so etwas nicht mal annähernd hingekriegt, als wir mit PARKWAY DRIVE anfingen. Allein der Sound – so was wäre undenkbar gewesen.

Im Titelsong zitiert ihr recht offen METALLICA und GUNS N’ ROSES. Wenn ich mir eure alten Alben nacheinander anhöre und die Entwicklung bis zu „Darker Still“ sehe, dann kommt mir das Wort „Stadionisierung“ in den Kopf. Die Stadionisierung von PARKWAY DRIVE. Immer höher, immer weiter, immer größer.
Haha, genau das ist es, was wir mit dieser Platte und vor allem mit diesem Song hinbekommen wollten. Wie gesagt: PARKWAY DRIVE haben klein angefangen. Wir haben knapp zwanzig Jahre gebraucht, um Fähigkeiten zu entwickeln, die uns nun solche Songs machen lassen. Wir hätten nie gedacht, dass wir so was hinbekommen. METALLICA und GUNS N’ ROSES waren damals Legenden. Riesige Legenden. Unerreichbar. Und jetzt haben wir einen solchen Song, in dem wir wie sie klingen. Wie zwei der größten Bands aller Zeiten. Und wir haben ein Album, das musikalisch in so viele Richtungen geht. Und was die Stadionisierung angeht: Wenn sie bedeutet, dass mehr Metalbands im Stadion spielen, dann ist das absolut okay!