Foto

ERNTE 77

Kippekausen

Die Kölner haben eine guten Lauf, das aktuelle Album und das davor kamen im Jahresrhythmus – und dann sind da auch gleich noch 19 Songs drauf. Das Liederschreiben – sie beschreiben ihre Musik als „von Leuten stammend, die in ihrer Teenager-Zeit zu viele Platten von Epitaph und Fat Wreck gehört haben“ – und Texten scheint Bandkönig Kalle Mallorca sehr locker von der Hand zu gehen, aber nein, auch mit der kritisch-analytischen Herangehensweise des debilen Fans, der ich bin, kann ich kein Schwächeln attestieren.

Die Band, die einst schon die RB48 (Bonn-Mehlem/Wuppertal-Oberbarmen) textlich verewigt, hat diesmal ihre ÖPNV-Obsession erneut ausgelebt: „Kippekausen“ ist in echt der Name einer Haltestelle in Bergisch-Gladbach (auf der B-Seite der LP steht auf dem Etikett „Kippekbusen“ ...), und offensichtlich ist Herr Mallorca passionierter Bahnfahrer (Trainspotter?), denn das Artwork des Klappcoverinneren wurde im Stil eines Liniennetzplanes gestaltet, wie er in den Bahnen im Eingangsbereich an der Decke klebt.

Und hier gibt es dann ein Best-Of seltsamer Haltestellennamen. Das nächste Mal bitte mit Erklärung von deren Bedeutung. Prägnantestes Merkmal der Punklieder ist nach wie vor der gelungene Versuch, einen beliebigen Text auch mal außerhalb des Takts bis zum Ende des Lieds in gesamter Länge auf die Musik zu tackern.

Und ja, die Texte, die sind es auch diesmal wert, aufmerksam mitgelesen zu werden, denn die Beobachtungen zu Punk („Punk heute“), irren Bike-Bastlern („Fahrrad-Uwe“), Bands, die klingen wie TURBOSTAAT („Alles klingt wie Turbostaat“), AfD („Endlich wird umgevolkt“) oder Hipster-Bräu („Manufraktur“) sind sämtlich smart und unterhaltsam.

Ich wiederhole mich da etwas, aber in einer besseren Welt müssten ERNTE 77 die Hallen füllen, doch wir wissen, sieht die Realität anders aus. Kommt in pflanzendrinkweißem Vinyl.