BOOZE & GLORY

Foto

Wahre Internationalisten

In Zeiten, da europaweit Rattenfänger-Populisten aus schäbigen Gründen versuchen, aus Vorurteilen und Ängsten politisch Kapital zu schlagen, sind die 2009 in London gegründeten BOOZE & GLORY ein perfektes Beispiel für das bunte, offene Europa – das gerade dabei ist, dieser in London gegründeten Band die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Frontmann Mark, Gitarrist Kahan, Bassist Chema Zurita und Drummer Frank Pellegrino stehen für Polen, England, Spanien und Italien, sie spielen für Menschen in Europa, Süd- und Nordamerika und sorgen musikalisch wie textlich auch diesmal wieder für jene Stimmung, bei der sich wildfremde Menschen vor der Bühnen Schulter an Schulter, Arm in Arm mit einer ganzen Menge Pathos wie eine Familie fühlen. Streetpunk mit hymnischen Melodien kann das, und BOOZE & GLORY haben das perfektioniert, wie man den 12 Songs auf ihrem neuen, fünften Album „Hurricane“ deutlich anhört. Mark beantwortete meine Fragen.

Auf eurem Band-Emblem steht „BOOZE & GLORY, London“. Nun, wie britisch sind B&G, wie britisch kann man überhaupt sein, nach dem – wie es scheint – unvermeidlichen Brexit?


BOOZE & GLORY waren nie eine britische Band. Wir sind eine Londoner Band, was nicht bedeutet, dass wir Briten sind. London ist eine der multikulturellsten Städte der Welt. Als wir 2009 mit BOOZE & GLORY begannen, waren wir drei polnische Jungs und ein irischer/britischer Typ. Drei Jahre später waren es dann zwei Polen weniger und diese wurden durch einen schwedischen Schlagzeuger und einen griechischen Bassisten ersetzt. Heute sind BOOZE & GLORY zwei Polen, ein Spanier und ein Italiener, und wir sind immer noch in London ansässig. Aber ehrlich gesagt bedeutet es für mich absolut nichts, man kann aus L.A., New York oder Grimsby kommen, es ist entweder gute Musik oder nicht. Und der Brexit? Es ist eine Farce, Großbritannien tut mir leid, weil ich denke, dass das Ganze sehr viele Schwierigkeiten mit sich bringen wird – viele Dinge sind noch ungeklärt, wie Visa, Arbeitserlaubnis etc. Lustig ist, dass wir am 2. November eine große Show in London spielen, wenige Tage nach dem Brexit, und die meisten der auftretenden Bands kommen aus der EU!

Apropos Europa, ihr seid wahre Internationalisten, mit dir, Kahan, Chema und Frank, die alle aus verschiedenen Ländern kommen. Das kann man auch in dem neuen Video hören, das ihr veröffentlicht habt, um das neue Album zu präsentieren, und das mehrsprachig ist: Englisch, Spanisch, Italienisch und Polnisch. Was hast du aus diesem Internationalismus gelernt?

Das Wichtigste, was ich gelernt habe, ist, dass wir alle gleich sind. Wir haben verschiedene Pässe und sprechen verschiedene Sprachen, aber am Ende sind wir alle gleich. Wir alle wollen Spaß haben und wir wollen Musik machen und um die Welt reisen, um andere Menschen kennen zu lernen. Wenn dir jemand sagt, dass er besser ist als du, nur weil seine Mutter ihn in einem bestimmten Land geboren hat, redet er Schwachsinn. Natürlich haben wir alle unterschiedliche Kulturen und Traditionen, aber das macht die Dinge nur interessanter. Verbring mal einen Monat in einem Reisebus mit einem Italiener und einem Spanier, dann weißt du, wovon ich rede. Wohin sie auch gehen, verbreiten sie so viel Chaos um sich herum, sie schreien, sie feiern immer und sie sind nie gestresst. Ich liebe es, Zeit mit Menschen aus verschiedenen Ländern zu verbringen. Von allen lerne ich etwas Neues, sie machen mein Leben erst bunt.

Bis vor kurzem schien es, als ob Labels eine große Rolle in der Punk-Szene spielen. Wir alle lieben die Veröffentlichungen von Labels wie Dischord, SST oder Alternative Tentacles. Ihr wart zuletzt auf Burning Heart Records, das es heute nicht mehr gibt, und jetzt veröffentlicht ihr euer neues Album selbst. Was hat sich geändert, und glaubst du, dass die Zeiten der Labels vorbei sind?

Weißt du, irgendwann dachte ich mir: Warum brauche ich ein Label? Die meisten Labels veröffentlichen heute „nur“ das Album. Nichts anderes. In der heutigen Zeit kann selbst meine Mutter das Album veröffentlichen, es ist nicht schwierig. Der Trick ist, es zu bewerben und zu verkaufen. Wir waren in den letzten Jahren oft auf Tour und haben viele Leute getroffen, die uns sagten, dass sie unsere Musik lieben, aber uns erst kürzlich entdeckt haben. Sie haben vorher noch nie von uns gehört und mich gefragt warum. Alles, was ich gesagt habe, ist, dass unser Label völlig nutzlos ist und sie keine gute Arbeit bei dem Album geleistet haben. Ich kann nicht verstehen, warum unser Album „Chapter IV“ zum Beispiel in Florida nicht erhältlich ist. Die Leute haben es dort noch nie in einem Plattenladen gesehen. Burning Heart, ein legendäres Label? Kein Kommentar. Du hast so viel Mühe als Musiker in ein Album gesteckt, du schreibst die Songs, nimmst sie auf, tourst und dann hast du ein Plattenlabel, das völlig scheiße ist. Und auf der anderen Seite hast du so genannte Mainstream-Labels, die vielleicht gute Promotion machen und gute Vertriebswege haben. Aber die Verträge, die du unterschreiben sollst, sind so dumm – die wollen unbegrenzte Rechte für das Album, auf Lebenszeit ... Sie geben dir Geld für das Studio und dann ziehen sie das Geld von deinen Lizenzgebühren wieder ab, was bedeutet, dass sie dir das Geld nur leihen, wie eine Bank. Sie sagen dir, welche Songs du schreiben sollst, wie dein Albumcover aussehen soll und so weiter. Wir hatten ein Angebot von einem dieser „größeren“ Labels. Als ich den Vertrag las, dachte ich, diese Leute denken, wir hätten kein Gehirn oder ich könnte nicht lesen und würde es einfach unterschreiben ... Deshalb stand für mich fest: Nein, ich brauche kein Label. Ich suche mir Promoter und einen Vertrieb und habe dabei alles selbst in der Hand. Das kostete viel Mühe, Zeit und viel Geld, aber zumindest weiß ich, wohin dieses Geld fließt. „Hurricane“ hat uns über 30.000 Euro gekostet – Aufnahme, Promotion, Artwork, Pressung etc. Wir haben in den letzten Jahren beim Touren Geld angespart, also kann ich ehrlich sagen, dass „Hurricane“ von unseren Fans finanziert wurde, die Merchandise gekauft, ein Ticket bezahlt und eine Show besucht haben Das ist ein tolles Gefühl. Das ist ein viel ehrlicherer und klarerer Deal zwischen Künstler und Fans. Wir geben 100% auf der Bühne und unsere Fans unterstützen uns, damit wir ein weiteres Album aufnehmen und mehr Shows für sie spielen können. Es funktioniert in beide Richtungen und ich liebe es. Also, um deine Frage zu beantworten – nein, Punkbands brauchen keine Labels mehr. Viele erfolgreiche Bands veröffentlichen ihre Alben selbst. So wie etwa einige Bands, mit denen wir kürzlich auf Tour waren, wie die BROILERS oder DROPKICK MURPHYS ...

Wie viel Zeit habt ihr in den letzten zwei Jahren auf Tour verbracht? Es scheint, als hättet ihr die ganze Welt bereist. Wie habt ihr das geschafft?

Wir haben die Band vor zehn Jahren gegründet, aber haben erst ab 2017 angefangen, richtig zu touren. In den letzten zweieinhalb Jahren haben wir bestimmt rund 300 Shows auf fünf Kontinenten gespielt. Wir lieben es zu touren, das ist das Beste, was ein Musiker tun kann. Wenn man nicht gerne auf Tour geht, sollte man nicht Musiker werden! Wie haben wir das erreicht? Wir arbeiten alle sehr hart, ob auf Tour, im Proberaum, im Aufnahmestudio – jeder von uns arbeitet sich den Arsch ab, es geht nicht anders. Wir hatten nie „berühmte“ Freunde, die uns halfen, bis ganz nach oben zu kommen. Wir sind eine Londoner Band ohne Engländer – das ist keine einfache Ausgangslage, haha. Wir mussten immer irgendwem etwas beweisen und von Anfang an wurden uns viele Steine in den Weg gelegt. Aber das ist in Ordnung, denn ein Erfolg, der nicht durch irgendwelche Hintertürchen erzielt wird, ist viel wertvoller für mich. Wir haben Fans fürs Leben – nicht nur für fünf Minuten. Häufig zahlt sich harte Arbeit früher oder später aus. Du musst nur konsequent sein und das Richtige tun.

Was muss man bereit sein zu „opfern“, um eine international tourende Band zu sein?

Ich habe inzwischen ein Line-up von Leuten, die zu 100% hinter dieser Band stehen und alles für sie geben. Einsatz ist der Schlüssel. Es dreht sich alles um die Band. Wenn wir nicht gerade auf Tour sind, schreiben wir neue Songs, sind mit den Videos beschäftigt oder der Planung der nächsten Tour. Hinter den Kulissen passieren viele Dinge. Bei mir steht das ganze Haus voll mit BOOZE & GLORY-Merchandise und Gitarren und anderem Equipment. Im Keller ist unser Proberaum, unser Tourvan parkt in meinem Hinterhof, ich habe den Dachboden ausgebaut, damit die Jungs nach der Probe einen Platz zum Schlafen haben. Alles für die Band. Aber ich liebe es. Und ich bin froh, dass ich diese Jungs an meiner Seite habe – sie sind meine besten Freunde, was das Wichtigste ist. Keinem geht es um den schnellen Ruhm. Wir tun das, weil wir nichts anderes tun wollen. Wir haben unseren langweiligen Alltag hinter uns gelassen und wollen nicht zurückkehren zum „normalen, durchschnittlichen“ Leben. Meine Frau sagt manchmal: „Können wir nicht für ein paar Tage abschalten und mal etwas unternehmen, das nichts mit der Band zu tun hat?“ Aber ich weiß ja, wie sehr sie das Touren liebt, selbst wenn sie in einem Bus voller schnarchender, betrunkener Punkrocker schlafen muss, haha!

„Hurricane“ ist der Titel eures neuen Albums. Was bedeutet das für dich?

„You can dance in a hurricane, but only if you’re standing in the eye.“ Das heißt, dass du manchmal jede Menge Scheiße in deinem Leben durchmachen musst, bis du den Punkt erreichst, an dem du wieder Luft holen kannst. Einige Leute werden nie dort ankommen, andere schaffen es, aber das Wichtigste ist, es so gut, wie du kannst, zu versuchen. Du bist nicht immer der Gewinner, aber so läuft es eben. Aber du darfst nie aufhören, an dich selbst zu glauben, und dich nicht vom Leben fertig machen lassen. Das ist die Message, die wir mit den neuen Songs, dem neuen Album vermitteln wollen.

Ihr habt euer Album von Mathias Farm von MILLENCOLIN produzieren lassen und bei ihm in den SoundLab Studios in Schweden aufgenommen. Warum gerade mit Mathias?

Wir wollten etwas anderes. Unsere Alben haben wir bislang immer in London aufgenommen. Ich bin ziemlich zufrieden mit ihrem Sound, aber ich dachte, es ist vielleicht an der Zeit, etwas anderes zu versuchen. Zuerst hatten wir die Idee, in den USA aufzunehmen, aber dann kam uns das Festival mit MILLENCOLIN in Italien dazwischen. Ich liebe den Sound von MILLENCOLIN, und Mathias bot uns seine Hilfe als Produzent an. Wir haben erst einmal vier Songs aufgenommen, um zu sehen, ob dies das Richtige für uns ist, und wir waren wirklich happy mit dem Ergebnis. Unser Sound ist jetzt anders, viel besser als auf allen bisherigen Alben, aber gleichzeitig klingt es immer noch nach BOOZE & GLORY. Mathias ist ein großartiger Produzent und hat ein fantastisches Studio. Ich bin sehr glücklich, dass er das für uns getan hat, und es war ein echtes Vergnügen, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Es gibt ein paar offensichtliche Bands, auf die man verweisen kann, um euren Sound zu beschreiben. Aber es gibt bestimmt auch weniger naheliegende Einflüsse, die ihre Spuren hinterlassen haben, oder?

GOLDFINGER, MILLENCOLIN, DROPKICK MURPHYS und SOCIAL DISTORTION, das sind im Moment meine Lieblingsbands Das können morgen aber schon wieder ganz andere sein. Ich höre die verschiedensten Sachen – von Northern Soul, Ska, Punk, Oi! bis Hardcore. Ich liebe die neue Platte von SICK OF IT ALL und genauso die von AGGROLITES – die sind total unterschiedlich. Es gibt für mich nur gute oder schlechte Musik, auf das Genre kommt es nicht an ... Okay, außer es ist Rap, dann ist es Crap. Ich hasse es.

Das Artwork des Albums stammt von Weronika Korbal. Wie seid ihr auf sie gestoßen?

Weronika ist in erster Linie eine gute Freundin und eine super talentierte Grafikerin. Sie ist für den Großteil unserer Artworks verantwortlich und ich liebe es, mit ihr zu arbeiten. Wir hatten vorher schon mit einigen anderen zu tun, aber nie war es so entspannt wie mit Weronika. Sie hat es einfach hervorragend drauf, meine Ideen umzusetzen! Und sie hat auch bei „Hurricane“ hervorragende Arbeit geleistet.

Kannst du bitte für uns zusammenfassen, worum es in den folgenden drei Songs geht? „Never again“ ...

Dieser Song handelt vom weltweiten Aufstieg rechtsextremer Bewegungen in letzter Zeit. Ich lebe jetzt in Polen, es ist wahrscheinlich eines der rassistischsten Länder der Welt. Es ist so traurig zu sehen, wie die Regierung diese Menschen auch noch schützt – unser Präsident marschiert am polnischen Unabhängigkeitstag zusammen mit den Nazis, das ist einer der größten nationalistischen Aufmärsche in Europa ... Dieses Lied handelt von diesen Menschen. „Take down your flag and open your mind / It’s never too late to change and stop being blind“. Ich versuche, diese Leute dazu zu ermutigen, ihre Ansichten zu hinterfragen. Ob es möglich ist oder nicht, weiß ich nicht, aber wir können es zumindest versuchen.

„The Guv’nor“ ...

Das ist eine Geschichte über den berüchtigten britischen Boxer Lenny McLean. Er lebte in den Sechziger Jahren und viele Leute nannten ihn den härtesten Mann von Großbritannien, weil er ein Irrer war. Ein super gewalttätiger Typ, aber mit einem guten Herzen. Er kam aus einer zerrütteten Familie und es waren damals sehr schwierige Zeiten in England. Er war ein illegaler Boxer, weil ihm niemand aufgrund seiner Vergangenheit eine professionelle Lizenz geben wollte und viele professionelle Boxer hatten Angst vor ihm. Ich habe seine Biografie gelesen, und obwohl er verrückt war, mag ich ihn irgendwie, da er im Innersten ein guter Mensch war, nur umgeben von den falschen Leuten.

„My heart is burning“ ...

Das ist einer meiner Lieblingssongs auf dem neuen Album. Es geht um leere Versprechungen, die uns unsere Regierungen machen. Wir normalen Menschen zahlen immer den höchsten Preis. In diesem Song geht es darum, sich seinen eigenen Platz in der Welt zu suchen, Entscheidungen zu treffen und Risiken einzugehen.