BRONX

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Ein Corona-Baby?

Sie als die Retter des Punkrock zu bezeichnen, wäre wahrscheinlich leicht untertrieben. Vielleicht liegt sogar die Zukunft des Rock’n’Roll in den Händen der Band aus Los Angeles, die nun ihr sechstes Album auf die gierigen Hörer:innen loslässt. Das Ganze klingt so, als würde während einer Hardcore-Show von THE HIVES und VAN HALEN ein Baby gezeugt, das schon mit zwei gereckten Mittelfingern und einem Augenzwinkern auf die Welt kommt. Und dabei spielt es noch Beer-Pong gegen eine Gruppe mexikanischer Wrestler. Verwirrt? Ja, dann viel Spaß mit dem Interview mit Sänger Matt über die Lust auf Konzerte, ein bisschen Wrestling und eine Platte, die schon längst hätte erscheinen sollen.

Es ist heiß, die Sonne brennt und Hitze liegt in der Luft. Soweit zur Situation hier in Deutschland. Hört sich an wie das Wetter, das ihr das ganze Jahr über in Los Angeles habt, oder?

Im Moment ist es mal wieder zu heiß. Die letzten Tage war es hier sehr trübe und es fühlte sich so als, ob die Sonne irgendetwas ausbrüten würde.

Apropos ausbrüten, meine Vermutung, dass der Lockdown dazu führen würde, dass mehr Babys gezeugt werden würden, hat sich bestätigt. Im März 2021 sind weit mehr Kinder geboren worden als in den Jahren zuvor. Ein paar Monate später kommt mit „VI“ eurer sechstes Album heraus. Ist das euer „Corona-Baby“?
Das kann man jetzt so sagen. Eigentlich hätte es den Titel jedoch gar nicht verdient. Schließlich waren wir bereits 2019 mit der Platte fertig. Hätte es die Pandemie nicht gegeben, würden wir uns jetzt über die vielen tollen Shows unterhalten, die wir im Zuge des Albums gespielt hätten, und wie wild es dabei zuging. Wir haben also gewartet, bis sich ein Ende des Lockdowns abzeichnet, weil wir gesehen haben, dass eine Veröffentlichung während der Pandemie nicht wirklich funktioniert. Auf der anderen Seite hatten wir deshalb aber auch mehr Zeit, um uns mit „VI“ auseinanderzusetzen. Vielleicht wäre die Kollaboration, die wir jetzt mit mehreren fantastischen Künstlern an den Start gebracht haben, gar nicht zustande gekommen. Wir konnten uns darüber Gedanken machen, wie wir zeigen können, dass wir richtig Bock auf die neuen Songs haben. Unter anderem veröffentlichen wir alle Tracks als 7“-Singles, in Designs, die Freunde von uns erarbeitet haben. Und dennoch ist es irgendwie seltsam, sich erst nach zwei Jahren über „neue“ Songs zu unterhalten und diese auch noch nie live gespielt zu haben. Vielleicht trifft es das auch besser: „VI“ ist nicht wirklich unser „Corona-Baby“, es hat in den letzten zwei Jahren schon laufen gelernt.

Wenn wir schon dabei sind: „VI“ klingt stellenweise so, als hätten THE HIVES mit VAN HALEN ein Baby gemacht und TURBONEGRO hätten dabei zugeschaut.
Witzig, dass du das sagst. Der Prozess, in dem das Album entstanden ist, hat unheimlich viel Spaß gemacht. Ken, unser Gitarrist, hat diesen VAN HALEN-Touch eingebracht, den man ja offenbar an manchen Stellen heraushören kann. Er ist ein Rock’n’Roller und schreibt echt großartige Sachen. Dann ist da noch unser Bassist Brad, der unter anderem „Superbloom“ für diese Platte geschrieben hat. Zum ersten Mal haben wir drei Leute, die mit Songideen angekommen sind. Das beeinflusst den gesamten Sound der Platte natürlich total. Gleichzeitig ist „VI“ dadurch auch ein sehr wichtiges Album, da ja hier theoretisch eine neue Zeitrechnung für unsere Band begonnen hat. Es öffnet die Tür in eine Zukunft, in der wir mit drei Songwritern die Geschichte von THE BRONX bestimmen werden. Alles in allem bin ich, auch knapp zwei Jahre nach der Produktion, immer noch sehr begeistert von den neuen Songs und freue mich, dass die positive Energie gut rüberkommt.

An manchen Stellen meine ich auch den Einfluss, den Los Angeles auf euch hat, heraushören zu können. Sagen wir so, die Platte klingt definitiv nicht nach New York oder Seattle.
Für uns war es immer wichtig, dass wir unser Herz auf der Zunge tragen. Das wirkt sich bei mir natürlich auf die Inhalte der Lyrics aus. Grundsätzlich sind wir uns unserer Umgebung sehr bewusst und saugen die immense Energie auf, die wir hier spüren können. Deshalb stimme ich dir schon zu, dass man unsere Herkunft auf dieser Platte hören kann. Ein anderer entscheidender Punkt, der großen Einfluss auf den Sound von „VI“ hatte, war, dass Joe Barresi sein Studio in Pasadena hat, also im Herzen von Los Angeles. Ähnlich wie bei „They will kill us all“ auf „I“ gibt es auch dieses Mal direkte Referenzen zu dieser Stadt und zu dem, was in ihr vorgeht.

Mit eurem Projekt MARIACHI EL BRONX seid ihr vor ein paar Jahren mal in der Wrestling-Show „Lucha Underground“ als Showband aufgetreten. Wenn THE BRONX ein Wrestler wäre, wäre er dann einer von den Guten oder eher ein Fiesling?
Wir würden ihn „Knifeman“ nennen und sein Finishing-Move wäre „Heart attack American“, benannt nach dem Opener unserer ersten Platte. Er wäre einer der Guten, der aber eine dunkle Vergangenheit hat, die ab und zu aufblitzt. Er hätte sich aus der Gosse hochgearbeitet, hat viele Fehler gemacht, aber im Herzen war er immer ein guter Mensch, der es sich jetzt zur Aufgabe gemacht hat, anderen zu helfen.

Zwar steht mit „VI“ ein neues THE BRONX-Album an, doch ihr seid dafür bekannt, bisweilen gleichzeitig an Songs für MARIACHI EL BRONX zu arbeiten. Gibt es da vielleicht auch schon neues Material?
Wir arbeiten mittlerweile schon an einem großen MARIACHI EL BRONX-Comeback-Album. Es ist ein langsamer Prozess, der aber immer mehr in Fahrt kommt. Wir haben so viele Songs geschrieben, von denen einer sogar Platz auf „VI“ gefunden hat. „Mexican summer“ klingt eigentlich wie ein typischer MARIACHI EL BRONX-Song, den wir einfach mit THE BRONX eingespielt haben. Einen großen Anteil daran, dass dieser Song auf dieser Platte zu finden ist, hatte Alfredo Ortiz, einer unserer guten Freunde, der viel Percussion für die Mariachi-Alben gemacht hat. Dieser Song ist der erste Versuch gewesen, die Schnittmenge zwischen den beiden Projekten auch auf unseren Alben zu verdeutlichen. Richtig gemerkt, dass das überhaupt funktionieren könnte, haben wir in einem Livestream, den wir im letzten Oktober aufgenommen haben. Das war vielleicht auch ein Vorteil der Pandemie. Wir haben sowohl MARIACHI EL BRONX-Songs als auch THE BRONX-Songs gespielt, was total Spaß gemacht hat. Es wurde für uns noch klarer, dass wir das eine nicht mehr ohne das andere haben könnten, und es ist sehr schön, immer zwischen diesen beiden Welten hin und her zu switchen. Jetzt steht erst mal „VI“ in den Startlöchern und wir werden jeden Winkel der Welt damit bespielen, sobald es wieder geht. Unterschwellig und gleichzeitig haben wir aber das Ziel im Kopf, an einer großen und neuen Mariachi-Platte zu arbeiten. Wahrscheinlich müssen wir alle aber noch bis 2023 warten, bis wir sie in den Händen halten können.

Lass uns über deinen Anteil an „VI“ reden und was hinter einigen deiner Texte steckt. Der Song „Breaking news“ mutet ein wenig wie ein Vorbote auf all das an, was sich im letzten Jahr ereignet hat. Sowohl die „Black Lives Matter“-Bewegung als auch die Pandemie waren extreme Ereignisse, die unbedingt popkulturell aufgearbeitet werden müssen und deren Ursachen schon weit zurück liegen.
Soziale Ungerechtigkeit, Rassismus und die längst überfällige Polizeireform sind Themen, die seit mehreren Jahren schwelen. Der Song, den du ansprichst, arbeitet auch noch die schiere Menge an Informationen und Stimmungsmache in den Medien auf. Es fühlt sich so an, als würdest du permanent mit Nachrichten bombardiert, die dich auf eine sehr seltsame Art beeinflussen wollen. Ausgerechnet „Breaking news“ hat im letzten Jahr eine enorme Eigendynamik entwickelt. Der Mord an Georg Floyd war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Es ist erschreckend zu sehen, dass sich ein Song, den wir 2019 geschrieben haben, ein Jahr später noch mal so bestätigt und ein Thema behandelt, das wahrscheinlich noch längere Zeit aktuell sein wird.

Kannst du den Moment beschreiben, wenn du das Gefühl hast, dass deine Lyrics sich zusammengefügt haben und du fertig mit einem Song bist?
Es ist grundsätzlich ein faszinierender Prozess, den wahrscheinlich jede Musikerin und jeder Musiker liebt. Natürlich kann es manchmal auch frustrierend sein, wenn es sich unheimlich lange hinzieht, bis ein Song fertig ist. Auf der anderen Seite gibt es aber auch immer solche Momente wie bei „Superbloom“, als sich auf einmal alles von allein ergeben hat. Ich war zu der Zeit in der Wüste, als die Mohnblumenfelder richtig heftig geblüht haben. Ich schrieb zuerst nur ein Gedicht über das, was ich da gesehen habe, und das einfach diesen abgefahrenen Titel hat. Das Wort „Superbloom“ allein ist wirklich spannend. Brad hat dann seine Songideen vorgestellt, zu denen ausgerechnet dieses Gedicht super passte. Sobald ich die Gitarrenmelodie höre, habe ich meistens eine Vorstellung davon, in welche Richtung sich der Stück bewegen könnte. Und das war auch bei sehr vielen Tracks von „VI“ der Fall. Es hat verdammt viel Spaß gemacht, daran zu arbeiten, und ich denke, dass man das der Platte auch anhört.

Wie persönlich wirst du in deinen Texten?
Sobald ich merke, dass ich zu viel von mir preisgebe, versuche ich, die Message etwas zu verschlüsseln. Ich übertreibe dann mit der Darstellung oder schreibe etwas Verwirrendes. So kann es manchmal sein, dass ein Song sehr ernst beginnt und dann total in die witzige Richtung abdreht. Etwa bei „Curb feeders“, wenn ich darüber singe, dass ein Haufen alter ausgebrannter Punks bei McDonald’s arbeitet. Sie tragen immer noch ihre Mohawks und benehmen sich so, als wären sie nie älter geworden. An manchen Stellen besinge ich da mein Verhalten oder das meiner Freunde.

Als Sänger beeinflusst du automatisch auch die Attitüde der Band.
Ich liebe es, unsere Demo-Songs zu hören und dazu dann meine Texte zu schreiben. Dabei ist es vor allem diese rohe Energie, die etwas bei mir auslöst. Klar, die Aufnahmen klingen am Ende auch enorm mächtig und kraftvoll. Aber dieser Moment, etwas komplett Neues zu haben, und dann zu bestimmen, in welche Richtung wir inhaltlich gehen wollen, ist cool und macht Spaß.

Wenn wir schon beim Spaß sind, „VI“ macht so enorm Lust auf Live-Musik. Habt ihr euch schon Gedanken über die ersten Momente bei eurer ersten Show nach der Pandemie gemacht?
Oh ja, ich kann es kaum abwarten! Wir haben in den letzten Monaten so viel geprobt und uns mit dem ganzen Drumherum beschäftigt. Es fühlt sich so verdammt gut an, die Sachen live zu spielen. Wahrscheinlich werden alle komplett durchdrehen. Alles wird explodieren. Es wird wunderbar chaotisch. Die Frage ist tatsächlich nur noch, mit welchem Song wir anfangen werden.

Du hast vorhin von den vielen Sachen gesprochen, die ihr euch zur Veröffentlichung von „VI“ überlegt habt. Ich habe das Gefühl, dass ihr der Inbegriff einer DIY-Band seid. Woher kommt eure Motivation, jeden Song der Platte aufwändig als Single zu veröffentlichen oder zum Beispiel einen Beer-Pong-Tisch im Bronx-Design anzubieten?
Es fühlt sich einfach nur gut an, Sachen zu erschaffen. Wir sprudeln vor Kreativität geradezu über und wollen sowieso immer bei allem, was die Band betrifft, unsere Finger mit im Spiel haben. Und das beschränkt sich dann auch nicht nur auf die Musik. Als es sich abzeichnete, dass wir wahrscheinlich nicht direkt zur Veröffentlichung von „VI“ auf Tour gehen können, haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, was wir an Drumherum noch entwickeln könnten. Unser Buddy Bo besitzt eine Werkstatt, in der wir unter anderem auch unsere Shirts selbst bedrucken können oder zum Beispiel an einer der 200 Boxen für die Single-Veröffentlichungen arbeiten.

Lass uns zum Abschluss noch über eine Sache sprechen, die so gar nicht punkrockig ist. Ihr habt eines eurer Logos als NFT, ein Non-Fungible-Token also ein kryptografisches Token zum Kauf angeboten. Kryptowährung und alles, was damit zu tun hat, genießt ja nicht gerade den besten Ruf. Magst du erklären, warum ihr trotzdem auf den Zug aufgesprungen seid?
Wir wollten jeden Weg nutzen, um auf unsere Musik aufmerksam zu machen. Und es war uns wichtig, dabei auch neue Sachen auszuprobieren. Uns ist klar, dass es Leute geben wird, die das ganze Vorhaben sehr kritisch sehen. Wir wollten als Punkrock-Band jedoch dem Stigma entkommen, die Dinge nur traditionell anzugehen. Wir wollten keine Band sein, die zum Beispiel die Möglichkeiten von Streaming ausblendet und nur dagegen wettert, obwohl man alle Platten bei Spotify findet. Als Künstler haben wir den Ansatz, cooles, neues Zeug auszuprobieren und dabei mit Leuten zusammenzuarbeiten, die tolle Sachen machen. Wenn die Leute es dann kaufen, spitze. Wenn die Leute sich darüber aufregen wollen, können sie das auch gerne tun.