DROPKICK MURPHYS

Punk as folk

Irgendwie habe ich bei Konzerten der Bostoner Streetpunk-goes-Folk-Heroen DROPKICK MURPHYS immer das Gefühl, sie finden am falschen Ort statt: Statt Hallen für ein paar hundert Leute, wären verrauchte Landgaststätten und familiäre Atmosphäre das passendere Ambiente, wenn die Band mit ihrem Hang zur irischen Folklore nebst Gitarre, Bass und Schlagzeug auch Dudelsack und Flöte auspackt.

So geschehen auf der Tour Ende letzten Jahres, als das neue Album „Sing Loud, Sing Proud!“ zwar noch nicht veröffentlicht war, man das Publikum hierzulande aber schon mal heiß machte auf das, was da kommen sollte – etwa mit „The wild rover“, das dem deutschen Publikum unter dem Titel „An der Nordseeküste“ von KLAUS & KLAUS bekannt sein dürfte. Logisch, dass ich Frontmann Al Barr und Basser Ken Casey als allererstes dazu befragte.

Al: Jaja, das haben wir schon gehört, aber wir wussten das nicht. Vielleicht ist das ja unsere Chance, endlich unseren ersten Hit in Deutschland zu landen.
Ken: Im Original ist das ein traditionelles irisches Volkslied. In den USA ist das ziemlich bekannt, das wird viel gesungen und wurde schon von unzähligen Bands gespielt.

Apropos Volkslied. Mein Eindruck des neuen Albums ist generell, dass es „folkiger„ ausgefallen ist als der Vorgänger. Eine Aussage, der die beiden zustimmen können?
Ken: Durchaus! Wir haben ja auch neue Leute in der Band, die sowohl auf der Platte wie auch live mit den entsprechend „folkigen“ Instrumenten dabei sind. Früher waren die Folk-Einflüsse eher verhalten, jetzt sind sie stärker und auch live deutlich zu hören, und das liegt eben daran, dass die Leute jetzt zur festen Besetzung zählen. Ich würde sagen, wir haben unseren Sound nicht geändert, sondern vielmehr ein neues Element hinzugefügt. Wir hatten immer das Problem, dass wir zwar Freunde, die sonst Folkmusik spielen, überreden konnten, mit uns ins Studio zu gehen, aber da die alle „richtige“ Jobs hatten, konnten die natürlich nie mit auf Tour gehen, geschweige denn überhaupt jemals einen Fuß in einen Punk-Club setzen. Joe Delaney, der Dudelsackspieler von den ersten beiden Platten etwa, ist ein sehr netter Kerl, aber mit Punk hat der nichts am Hut. Mit unseren „Neuen“ haben wir jetzt Leute gefunden, die sowohl im Punk wie im Folk zuhause sind, und das funktioniert jetzt sehr gut, sowohl live, als auch auf Platte.

Von den „alten“ DROPKICK MURPHYS sind übrigens gerade noch das Kerntrio Ken, Al und Matt übrig, abgerundet wird das aktuelle Line-Up durch vier neue Musiker.
Ken: Das aktuelle Line-Up? Das ist Al, dann ich, ich spiele Bass und singe, Matt Kelly spielt Schlagzeug, Ryan Foltz spielt Mandoline und Tin Whistle, James Lynch an der Gitarre, Spicy McHaggis mit dem Dudelsack, und schließlich noch Marc Orrell, der gestern erst 18 geworden ist, an der zweiten Gitarre.

Mit der verstärkten Hinzunahme von Folk-Elementen setzen sich die DROPKICK MURPHYS erneut ein gutes Stück vom Streetpunk-Mainstream ab, ohne jedoch ihre Wurzeln zu vernachlässigen. Und so ist „Sing Loud ... “ ein Spagat zwischen konventionell gröligem Oi!-Punk einerseits und mehr und mehr folkig instrumentierten Songs. Der Versuch, ein neues Publikum zu erschließen?
Ken: Als wir anfingen mit Dudelsack und so aufzutreten, war unser Stammpublikum begeistert und ermutigte uns, noch mehr in diese Richtung zu gehen. Von daher denke ich nicht mal, dass wir jetzt bewusst ein neues Publikum ansprechen, sondern unseren bisherigen Fans mehr von dem geben, was sie an uns mögen. Gleichzeitig sind wir damit vielleicht auch für ein „normales“ Publikum hörbarer geworden. Ein Beispiel, das zwar blöd klingen mag, aber als Beweis taugt: Als Vater und meine Mutter haben sich früher nie unsere Platten angehört, aber die neue finden sie plötzlich „hörbar“. Das ist jetzt kein Argument für oder gegen die neue Platte, sondern einfach unsere Entwicklung. Wir haben unseren Stil auch nicht von heute auf morgen verändert, sondern ganz allmählich. Andererseits nehmen die Leute auch eher das wahr, was außergewöhnlich ist und nicht die Normalität. Die Normalität ist, das sieben oder acht der Songs auf dem Album straighte Punk-Songs sind. Und so können auch die Leute, die mit Folk nichts anfangen können, zufrieden sein.

Wer „Sing Loud, Sing Proud!“ ganz bis zum Ende durchhört, stößt auf einen Ausschnitt aus einer Fußball-Reportage zu hören. Was es damit auf sich habe, will ich von Ken wissen.
Ken: Das ist eine Aufnahme von Johnny Most, einem Radio-Reporter, der alle Spiele der Boston Celtics kommentiert hat. Er hat so ungefähr 70 Päckchen Zigaretten am Tag geraucht, daher auch seine seltsame Stimme. Er war eine Bostoner Legende, und wir haben irgendwo ein Tape mit dieser Aufnahme gefunden, so dass wir uns entschlossen, ihn auf unserer Platte zu verewigen. In Boston wurde er wie ein Held verehrt, und wir haben früher zuhause immer den Ton des Fernsehers runtergedreht und stattdessen seine Reportage im Radio verfolgt. Er starb in den späten Achtzigern.

Boston – immer wieder ein Thema bei den DROPKICK MURPHYS, denen ihre Heimatstadt wichtig ist. Aber wie wichtig sind sie ihrer Heimatstadt, wie werden sie zuhause wahrgenommen?
Ken: Also die Medien nehmen uns schon wahr und wir sind eine beliebte Band, aber die Punkszene in Boston nimmt uns nicht übermäßig wahr. Boston ist eine Universitätsstadt, viele der Leute kommen von außerhalb zum Studieren und haben keinen Bezug zur Stadt, und die wissen mit uns nicht unbedingt was anzufangen. Ich kenne eine Menge Leute, die keinerlei Wurzeln haben, die so oft umgezogen sind, dass sie zu keinem Ort einen Bezug haben. Ich selbst dagegen habe Wurzeln, derer ich mir bewusst bin und das finde ich gut.