DROPKICK MURPHYS

Foto© by Sponge Pix

Faschisten töten

Mit „This Machine Still Kills Fascists“ haben die Bostoner Celtic-Punk-Helden DROPKICK MURPHYS ihr neues Album sehr aussagemächtig betitelt. Sie greifen eine ikonische Gitarren-Aufschrift (Aufkleber im heutigen Sinne gab es damals wohl noch nicht) auf, mit der die US-Folk-Legende Woody Guthrie (1912-1967) schon 1943 klar zum Ausdruck brachte, was er von Hitler hielt – und mit welchen Mitteln er gegen dessen Ideologie vorzugehen gedachte: mit politischen Liedern. DROPKICK MURPHYS haben sich für ihr Album aber nicht einfach des legendären Slogans bemächtigt, sondern auch ein akustisches Album mit Stücken aufgenommen, die zwar keine Woody Guthrie-Coversongs sind, aber auf dessen Texten basieren. Und das in Absprache mit Guthries Tochter. Ken Casey von DROPKICK MURPHYS beantwortet meine Fragen zu diesem Album in einem Videocall, während er in Boston gerade in seinem Auto sitzt – auf einem Polizeiparkplatz ...

Ken, wann ist dir der Satz „This machine kills fascists“ erstmals aufgefallen?

Ich war da noch ein Kind, und in der Schule wurde uns Guthries Lied „This land is your land“ vorgespielt und gesagt, das sei so was wie die Nationalhymne des Volkes, im Gegensatz zur offiziellen Hymne „God bless America“. So wurde uns das erklärt. Ich wusste also schon von klein auf, dass es dieses Lied und diesen Satz gibt, aber erst als Teenager, als ich Joe Strummer und Bruce Springsteen hörte, wurde mir klar, dass Guthrie für die ein Einfluss war, und ich fing an, ihn zu mögen. Man hat seine eigenen musikalischen Einflüsse und dann recherchiert man, was deren musikalische Einflüsse waren – und so bin ich auf Guthrie gestoßen. Wahrscheinlich war dieses Foto von ihm mit seiner Gitarre und diesem Satz das erste, das ich von ihm gesehen habe. Und natürlich ist man sofort fasziniert, denkt sich, was das für ein cooler Typ gewesen sein muss. Das muss in meinen frühen Teenagerjahren gewesen sein.

„This machine kills fascists“ ist eine sehr radikale Aussage. Das ist nicht einfach die Aussage „I don’t like Nazis“, sondern da ist vom Töten von Nazis die Rede. Das ist ein sehr starkes Statement und das macht auch euren Albumtitel sehr deutlich. Wie denkst du, wie denkt ihr in der Band über die Intensität dieser Aussage?
Guthrie bezog diese Aussage ja auf seine Gitarre. Es ist ja nicht so, als ob er eine Schusswaffe in der Hand hielte, und ich habe diese Aussage immer so verstanden: Man kann auch mit seiner Musik einen Kampf führen – keinen Kampf mit Fäusten oder Waffen. Wenn du dich mit deinem Körper in einen Kampf wirfst, kannst du vielleicht gegen ein, zwei, fünf, zehn Leute kämpfen, während Musik und ihre Botschaft eine viel größere Reichweite hat. Wenn du dich also gegen Bedrohungen und das Böse aussprichst mit deiner Musik, kannst du vielleicht nicht die Meinung von allen ändern, aber zumindest einige Leute zum Nachdenken bringen. Und vielleicht gibst du anderen Menschen die Kraft, ihre Stimme zu erheben und sich zu sagen: „Woody Guthrie war ein Mann an vorderster Front. Er kämpfte für das Gute. Das sollte ich vielleicht auch tun.“

Guthrie prägte diesen Satz wohl 1943, in direkter Reaktion auf die Taten und Worte von Hitler. Wie überträgt sich Guthries Message auf das Jahr 2022?
Auch wenn es im Moment keinen Weltkrieg gibt, so muss man traurigerweise doch sagen, dass die Texte, die er damals gesungen hat, heute noch allzu relevant sind. In Amerika stoßen Autoritarismus und fast schon Faschismus bei einigen Leuten auf Sympathie. Wahrscheinlich würden sie nicht so weit gehen und sich selbst als Faschisten bezeichnen, aber auf ihre Handlungen und auf die Leute, für die sie stimmen, trifft es auf jeden Fall zu. Es gibt eine Menge Extremisten, die jetzt ihr hässliches Gesicht zeigen. Hier in Boston marschieren nationalsozialistische Gruppen! Das gab es früher nicht, das gab es hier nie! Es war nicht akzeptabel! Jetzt tauchen die einfach unangekündigt irgendwo auf, und sie schüchtern die Leute ein mit ihrem Auftreten. Ich habe das Gefühl, dass dieser Teil der Gesellschaft, der Sympathien für Autoritarismus hat, es zulässt, dass diese Randgruppen aus ihrem Versteck hervorkommen und ihren Hass öffentlich zeigen können. Deshalb denken wir, dass es in so einer Zeit sehr wichtig ist, diese Lieder zu singen und in Woodys Fußstapfen zu treten.

Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs sind ein paar Songs und Videos bereits vorab erschienen, der Albumtitel ist bekannt. Wie waren die Reaktionen eurer Fans? Ihr seid in Europa, aber mehr noch in den USA eine sehr bekannte Band, und wenn man sich als Punkband mal aus seiner Szene-Nische herausbewegt, hat man unweigerlich auch eine Anhängerschaft, die womöglich nicht mehr so homogen links ist.
Die DROPKICK MURPHYS haben in Amerika mehrheitlich ihre Fans in der weißen Arbeiterklasse. Bei unseren Shows ist schon eine gewisse Diversität feststellbar, aber überwiegend ist es eine weiße Arbeiterklassen-Fanbase. Die meisten dieser Menschen sind in gewerkschaftsfreundlichen, zu den Demokraten tendierenden Elternhäusern aufgewachsen. Sie waren also tendenziell eher links oder mitte-links, aber in den letzten fünf oder sechs Jahren hat Donald Trumps Bewegung die amerikanische Arbeiterklasse in einem Maße belogen, dass viele aus dieser Bevölkerungsschicht nun glauben, dass er ihre Interessen vertritt. So viele Menschen in der Community, in der ich aufgewachsen bin, haben ihre „politische Farbe“ geändert! Die denken jetzt, dass ein Milliardär sich um ihre Bedürfnisse kümmert. Und leider haben viele von den Leuten, die unsere ersten Platten gekauft haben und sich damals mit allem, was wir gesagt haben, identifiziert haben, mittlerweile ihre Meinung geändert. Ich denke also, dass es einen Teil unserer Fangemeinde geben wird, dem die Message des neuen Albums nicht gefällt. Doch das macht es umso wichtiger für uns, diese Lieder zu singen. Ich sage diesen Leuten aber ganz offen: Wenn dich das Wort Faschismus triggert und dich aufregt, dann brauchst du nicht zu einer unserer Shows zu kommen. Einer der schlimmsten Kommentare, die ich gesehen habe, ging ungefähr so: „Ah, ihr singt jetzt über Faschismus. Das heißt wohl, dass ihr die hohen Benzinpreise gut findet oder was?“ Ich dachte mir: Hä? Wenn du gegen Faschismus bist, bist du also auch für die Inflation? So ein Kommentar bringt für mich die aktuelle Lage auf den Punkt. Die Leute geben so im Grunde zu, dass sie einer faschistischen Ideologie anhängen. Ich wette, wenn ich sie fragen würde, ob sie sich als Faschisten betrachten, würden sie das abstreiten. Wir sind nur eine Band, wir können die Welt nicht in Ordnung bringen, aber wir können vielleicht anderen Menschen Kraft geben, ebenfalls ihre Stimme zu erheben und aufzustehen. Und vielleicht können wir einen Teil der amerikanischen Arbeiterschaft dazu bewegen, sich die Texte von Woody Guthrie anzusehen und zu erkennen, dass sie ihre Wurzeln verraten haben.

Irgendwas muss euch doch gereizt haben, dieses Album mit dieser sehr klaren Botschaft im Albumtitel zu machen. Ihr hättet auch etwas machen können, mit dem man niemanden triggert oder gar vor den Kopf stößt.
Was uns dazu bewegt hat, diese Richtung einzuschlagen, ist das, was wir gerade in Amerika um uns herum beobachten. Und das ist beängstigend, und deshalb denke ich, dass es unsere Pflicht als Amerikaner ist, dagegen aufzustehen, sonst verlieren wir unsere Demokratie.

Das ist eine sehr klare und starke Aussage. Ich glaube, manche Leute hier in Europa haben noch nicht so ganz verstanden, dass diese Bürgerkriegsrhetorik aus dem Trump-Lager wirklich real und bedrohlich ist: „Die USA sind eine Demokratie, da wird schon nichts passieren“. Sollten wir diese Entwicklung bei euch in den USA hier in Europa ernster nehmen?
Ich halte die Lage für sehr ernst. Alles, was es braucht, um die Demokratie zu stürzen, ist diese Wahllüge. Damit machen sie den Leuten weis, dass ihre Stimmen nicht zählen, dass sie betrogen werden, dass der wahre Gewinner ein anderer ist. Wenn man sich mal die Wahlen auf den unteren Ebenen anschaut in den USA, in den Bundesstaaten, über die bei euch wohl kaum jemand berichtet, dann muss man sich wirklich Sorgen machen. Wenn etwa über die Position des Generalstaatsanwalts entschieden wird, der wiederum in einem Bundesstaat der Wahlleiter ist, somit über das Wahlergebnis entscheidet beziehungsweise in der Position ist, das Wahlergebnis für gültig erklären. Diese Leute sind eine ganze Wahlperiode lang in einer Schlüsselposition, und wenn da Gestalten sitzen, die für einen Demagogen sind, für einen Lügner, für einen Typen, der nicht die Wahrheit sagt, dann ist das gefährlich. Diese Leute sind zwar eine politische Minderheit, und sie wissen, dass ihre extremistischen Ansichten von der Mehrheit der Amerikaner niemals akzeptiert werden würden. Aber diese Extremisten haben erkannt, dass es einen Weg zum Sieg gibt, und dieser Weg besteht darin, andere zu entrechten, ihre Wahlstimme zu entwerten und Hass zu schüren. Die haben es drauf, Lügen zu erzählen, wieder und wieder, bis zu dem Punkt, an dem die Leute zu zweifeln beginnen: Wenn jemand so nachdrücklich lügt und einem dabei direkt in die Augen schaut, dann beginnt die Öffentlichkeit zu zweifeln. Wenn jemand etwas so oft wiederholt, dann muss es doch wahr sein. Das ist die Welt, in der wir dank den sozialen Medien und allem anderen leben. Ich bin eigentlich nicht der Typ, der mit den Füßen aufstampft und laut rufend vorausgeht, „leading by example“ ist nicht so mein Ding, aber in der aktuellen Situation habe ich das Gefühl, genau das tun zu müssen.

Woody Guthrie ist in den USA eine kulturelle Ikone, aber in Deutschland sagt der Name nur wenigen etwas, da haben wir Dichter wie Brecht und Heine. Wenn man an so eine Ikone „Hand anlegt“, steht man doch sicher unter kritischer Beobachtung.
Es wurde uns leicht gemacht ... oder nein, besser, es war etwas weniger einschüchternd, weil Woodys Tochter Nora, die für sein künstlerisches Vermächtnis zuständig ist und sein Archiv verwaltet, uns so viel Vertrauen entgegengebracht hat in den zwanzig Jahren, die wir sie schon kennen. Sie weiß, dass wir Woodys Ideen teilen und nicht darauf aus sind, uns bloß mit seinem Namen zu schmücken und zu profilieren. Sie weiß, dass wir mit Leidenschaft dabei sind, und deshalb hat sie großes Vertrauen in uns. Und ja, Woody Guthrie ist eine Art Nationalheiligtum, er kam damals aus der der Staubwüste und der Armut in der Mitte der USA, aber er hat auch in New York gelebt und ist in den Dreißiger Jahren viel durch das Land gereist, und er sang Lieder aus all diesen Perspektiven. Seine Botschaft ist so einzigartig, weil er in dieser speziellen Zeit gelebt und so viel gesehen hat. Er konnte also wirklich im Namen vieler Amerikaner sprechen.

Ich finde es auch sehr erstaunlich, wie aktuell, wie zeitlos seine Texte wirken, die ihr auf dem Album vertont habt.
Ich glaube, wenn Woody die heutige Zeit erleben könnte, würde er sich wünschen, seine Texte wären nicht so zeitlos. Aber vieles, worüber er schreibt, liegt in der menschlichen Natur und tritt offensichtlich zyklisch auf. Mir gefallen seine starken gewerkschaftlichen Werte und seine Solidarität mit den Arbeitern. Wir befinden uns aktuell in einer Zeit, in der nicht nur die organisierte Arbeiterschaft und deren Solidarität, auf der die amerikanische Mittelschicht aufgebaut wurde, bekämpft werden, sondern auch in einer Zeit, in der die Gier der Unternehmen schier grenzenlos ist. Die Einkommensschere zwischen dem reichsten einen Prozent und den untersten Einkommensschichten ist so groß wie nie zuvor. Und schau dir die ganze Gig Economy an, all die Leute, die für Uber fahren und so weiter ... Die Front für den Kampf um Arbeiterrechte verläuft heute bei Starbucks. Da gibt es heute Streiks und Ladenschließungen und die Menschen dort brauchen viel Unterstützung, denn Starbucks, Amazon und Co., da ist heutzutage die Mehrheit der Arbeitskräfte beschäftigt. Donald Trump hat diesen Menschen vorgegaukelt, etwas für sie zu tun, und er hat es oft geschafft. In Wirklichkeit aber hat er es zugelassen, dass Jeff Bezos und Co. jede Menge Geld und Gewinnanteile abgreifen können. Warum zum Teufel können Firmen wie Starbucks ihre Gewinne nicht mit den Leuten teilen, die die Läden jeden Tag am Laufen halten? Amerika will keinen Kommunismus, aber Amerika will, dass nicht alle Gewinne nur von wenigen abgeschöpft werden. Die Amerikaner wollen, dass die Arbeiter einen fairen Anteil bekommen. Aber irgendwie hat Donald Trump hat es mit seiner „Make America great again“-Kampagne geschafft, ausgerechnet die Arbeiter zu Schurken zu erklären. Wie zum Teufel konnte das passieren?

Das musikalische Set-up bei diesem Album ist ja anders als gewohnt: Die ganze Band ist zu hören, es ist akustisch, klingt aber nicht „dünn“. Wie seid ihr vorgegangen?
Eigentlich ist das Album komplett akustisch, es gibt keine elektrische Gitarre. Wir haben aber ein paar kleine Tricks angewandt. Wenn man bei einer Akustikgitarre ein Stück Papier zwischen die Saiten klemmt, ergibt das einen surrenden Sound, der fast wie ein elektrischer Overdrive klingt. Aber an sich ist das Album komplett akustisch, wir wollten uns an diesem Punkt unserer Karriere einfach mal selbst herausfordern und mal etwas anderes machen. Wir wollten aber auch nicht, dass es wie ein paar Jungs klingt, die in einer Kneipe auf Hockern sitzen. Wir wollten, dass es kraftvoll ist und wie aus der Zeit von Woody Guthrie klingt. Ich bin zufrieden mit dem, was wir erreicht haben.

Ich habe gehört, dass es noch mehr Aufnahmen dieser Art gibt ...
Ja, wir haben zehn weitere Songs aufgenommen und es ist ein zweiter Teil geplant. Wir haben noch nicht entschieden, ob das im Frühjahr 2023 rauskommt oder erst im nächsten Herbst.

Auf dem Album fehlt eine Person: euer Sänger Al Barr, der derzeit mit der Pflege seiner Mutter beschäftigt ist. Wie geht es ihm und wann kommt er zurück?
Seine Auszeit von der Band war ein weiterer Grund für uns, mal etwas anderes zu machen. Moment mal eben ... da kommt gerade ein Polizist auf mein Auto zu ... Ich mache gerade ein Zoom-Interview, bin aber gleich fertig, okay? Danke. ... Ja, ich stehe gerade auf dem Parkplatz einer Polizeiwache. Ohne die Pandemie hätten wir wahrscheinlich einfach gesagt: Okay, wir nehmen uns auch frei. Wir könnten alle mal eine Pause gebrauchen. Aber nach der langen Pandemieauszeit und angesichts der Möglichkeit, wieder auf Tour zu gehen, war die Band wirklich daran interessiert, neue Musik zu machen. Es war also das perfekte Projekt, ohne Al mal etwas anderes als eine neue, laute DROPKICK MURPHYS-Platte zu machen. Al hat unsere volle Unterstützung, er kann sich so viel Zeit nehmen, wie er braucht. Sein Plan ist, Anfang 2023 zurückzukommen, aber das hängt von der Gesundheit seiner Mutter ab. Wir werden sehen, wie sich alles entwickelt.