DROPKICK MURPHYS

Foto© by Ken Susi

Alles auf zehn!

Bei den DROPKICK MURPHYS gibt es dieses Jahr viel zu feiern. Mit „Turn Up That Dial“ veröffentlichten die Celtic Punks aus Boston, Massachusetts ihr zehntes Studioalbum, zeitgleich steht das 25-jährige Bühnenjubiläum der Veteranen an. Und das in einer Zeit, in der überall auf der Welt Kontaktsperren und Auftrittsverbote gelten. Shit happens. Trotzdem bleiben DROPKICK MURPHYS positiv und zeigen den widrigen Umständen einfach mal den Mittelfinger. Wie das geht, erklärt uns der langjährige Bassist und Sänger Ken Casey.

Das neue Album war eine schwere Geburt. Die Hälfte der Songs war schon geschrieben, bevor der Lockdown kam. Wie war es, den Rest zu ergänzen und das Album aufzunehmen?

Normalerweise kommen wir natürlich am liebsten persönlich zusammen und arbeiten gemeinsam an den Songs. Durch den Lockdown waren wir aber gezwungen, moderne Technologien zu verwenden. Wir haben Demos aufgenommen und sie hin- und hergeschickt. Auf eine gewisse Weise hat es das Songwriting aber auch einfacher gemacht. Wir mussten nicht mehr alle zu einem bestimmten Termin zusammentrommeln. Keiner musste sich ins Auto setzen und zum Proberaum fahren. Das hat den ganzen kreativen Prozess beschleunigt. Es war also anders, schwieriger, bot aber auch neue Chancen. An Musik zu arbeiten, hat uns im vergangenen Jahr auf jeden Fall bei Laune gehalten. Es war gut für unsere geistige Gesundheit, etwas zu haben, worauf wir uns konzentrieren konnten. Ich bin sehr dankbar, dass wir uns nicht jeden Tag nur mit der Situation im Lockdown beschäftigen mussten.

Ihr habt das Album wieder eurem langjährigen Produzenten Ted Hutt anvertraut. Was macht ihn so wertvoll für euch?
Wir sprechen einfach die gleiche Sprache, wenn es um Musik geht. Das heißt nicht, dass wir immer einer Meinung sind, aber ich habe noch nie jemanden getroffen, dessen Perspektive näher an meiner war. Ich sage immer, du findest keinen, der härter für deine Band arbeitet, als einer aus der Band selbst. Aber Ted arbeitet so hart, als ob er einer von uns wäre. Er sitzt jeden Abend bis in die Puppen im Studio und investiert viel Herzblut in DROPKICK MURPHYS. Deshalb betrachten wir ihn als achtes Bandmitglied. Ich habe gar kein Verlangen nach einem anderen Produzenten. Jeder gute Produzent sollte wie er einen Ehrentitel in Psychologie haben. Es spielt so eine wichtige Rolle, andere zu inspirieren und die Zusammenarbeit zu stärken. Das ist mindestens genauso wichtig wie Knöpfe zu drücken oder gute Ideen zu haben.

Vor den Aufnahmen habt ihr verlauten lassen, dass ihr auf jeden Fall eine „really fun and upbeat record“ aufnehmen wollt. Hat das mit „Turn Up That Dial“ geklappt?
Nach unserem letzten Album „11 Short Stories Of Pain & Glory“ haben wir einige Leute aus unserem Umfeld durch eine Überdosis Heroin verloren. Das war eine ziemlich traurige Zeit, deshalb wollten wir die Richtung ändern. Den Plan, ein fröhliches Album aufzunehmen, gab es also schon vor Corona. Das passte aber natürlich wie die Faust aufs Auge. Keiner will Songs darüber hören, wie niederschmetternd das Jahr 2020 war. Wir wollen Hymnen für die besseren Zeiten singen, die vor uns liegen. Das gilt auch für die politische Ebene. Wir haben vier Jahre Alpträume in den Nachrichten und auf Twitter hinter uns. Wir wollten einfach mal nach vorne schauen.

Du konntest diesmal im Studio nicht Bass spielen, weil du dich einer Operation unterziehen musstest. Was war los?
Das hängt mit einem Unfall zusammen, den ich schon vor drei Jahren hatte. Deshalb wurde ich noch mal am Genick operiert, weil meine Hand immer wieder taub wurde. Also hat unser langjähriges Crew-Mitglied Kevin Rheault irgendwann den Bass übernommen. Dadurch konnte ich mich gemeinsam mit Al auf den Gesang konzentrieren. Al machte zuletzt eine schwere Zeit durch, weil sein Vater gestorben ist. Deshalb war es ganz gut, ihn am vorderen Bühnenrand zu unterstützen und ein Lachen auf sein Gesicht zu zaubern. Außerdem liebe ich die Interaktion mit dem Publikum, wenn ich den Leuten in der ersten Reihe das Mikro hinstrecke oder sie zum Mitsingen animiere. Ich könnte inzwischen wieder Bass spielen, aber wir wollen unserem Freund Kevin den Job nicht wieder wegnehmen. Deshalb zupft er weiter die vier Saiten und ich mache mich regelmäßig zum Narren.

Ist die Bassgitarre damit endgültig für dich gestorben?
Der Plan ist, dass ich ab und zu bei ein paar Songs den Bass übernehme und Kevin macht dann was anderes. Zum Beispiel bei Akustiknummern. Ich will ja nicht völlig verlernen, wie man spielt, haha. Aber Kevin soll schon der etatmäßige Bassist bleiben.

Also haben DROPKICK MURPHYS jetzt zwei Sänger. Ändert sich damit der Sound?
Das glaube ich nicht, ich habe ja schon gesungen, als ich noch Bass gespielt habe. Aber die Live-Show wird sich ändern. Vor allem wenn wir auf großen Bühnen spielen. Dann können wir uns die Crowd aufteilen und die Leute von zwei Seiten bespaßen. Viele Bands kümmern sich während ihrer Konzerte nicht so intensiv um den Kontakt zum Publikum. Uns ist das echt wichtig. Wir wollen auf Tuchfühlung gehen, egal ob am Bühnenrand oder unten an der Absperrung. Jetzt können wir unsere Bemühungen quasi verdoppeln.

Das Album und der Titeltrack heißen „Turn Up That Dial“. Wofür steht das?
Das ist eine Aufforderung, alles leidenschaftlicher zu machen. Mach deine Musik lauter, arbeite härter, feiere wilder und protestiere entschlossener. Dreh einfach die Lautstärke des Lebens wieder auf. Nachdem so lange Monate alles so still und unbewegt war. Let’s go!

Der erste Song, den ihr veröffentlicht habt, war „Middle finger“. Wem gilt dieses „Fuck you“?
Der ist nicht an eine konkrete Person gerichtet. Es geht eher um die Unfähigkeit, nicht den Mittelfinger zu zeigen. Wenn das in deinem Blut ist, kannst du einfach nicht anders. Dann setzen sich die rebellischen Gene einfach durch. Manchmal ist das eine wirklich gute Eigenschaft und manchmal musste ich schon einen hohen Preis dafür bezahlen. Es geht darum, immer weiter zu kämpfen und sich nicht herumschubsen zu lassen.

Du hast auch einen Song über den Gitarristen von THE CLASH geschrieben. „Mick Jones nicked my pudding“ klingt nach einer lustigen Story.
Das beruht auf einer wahren Geschichte, die uns Ted Hutt bei der Vorproduktion fürs Album erzählt hat. Ted hat damals in einem großen Studiokomplex in England gearbeitet, in dem mehrere Studios untergebracht waren. Da gab es einen Kühlschrank in einer Art Gemeinschaftsraum, in dem Ted seinen Pudding deponiert hatte. Als er in einer Pause zurückkam, saß dort Mick Jones und futterte seinen Pudding. Ted hatte offensichtlich vergessen, seinen Namen drauf zu schreiben. Wir haben alle schallend gelacht, als er uns die Story erzählt hat. Inzwischen ist „Mick Jones nicked my pudding“ bei uns zum geflügelten Wort geworden. Ich selbst habe mal Joe Strummer getroffen und er war unheimlich nett zu uns. Aber wir haben auch schon einige Musiker getroffen, zu denen wir bis dahin aufgeschaut hatten, die mit ihrem Verhalten unsere Herzen gebrochen haben. Der Song ist also auch eine Warnung davor, seine Idole persönlich zu treffen. Für Mick Jones gilt das allerdings nicht, er hat ja einfach nur einen Pudding gegessen, ohne zu wissen, dass er Ted gehört.

Welche Rolle haben THE CLASH in deiner musikalischen Sozialisation gespielt?
Ich bin jetzt 51 Jahre alt. Nenn mir einen Punkrocker in meinem Alter, für den THE CLASH nicht wichtig waren. THE CLASH waren mein Schlüssel in die Punkrock-Welt, als ich 12 oder 13 Jahre alt war. Ein 15-Jähriger aus meinem Baseballteam hat mir ein Mixtape in die Hand gedrückt und der Rest ist Geschichte. THE CLASH haben vielen Bands gezeigt, wie man gleichzeitig eine Botschaft haben und verschiedene Musikstile in seiner Musik vereinen kann – ohne sich selbst dabei zu verbiegen. Das haben wir von THE CLASH gelernt. Wir können unterschiedliche Sachen machen und trotzdem DROPKICK MURPHYS sein. So können wir seit jetzt schon 25 Jahren eine relevante Band bleiben.

Mit „City by the sea“ habt ihr auch einen Song über eure Heimatstadt geschrieben. Wie ist euer Verhältnis zu Boston?
Weil wir so viel unterwegs sind, lieben wir diese Stadt vielleicht mehr als andere Einwohner. Wenn also unsere Freunde fluchen, wie scheiße alles in Boston ist, haben wir die Erfahrung gemacht, dass man etwas verlassen muss, um es richtig zu vermissen. In dem Song geht es um den Zwiespalt zwischen all dem Negativen und der Liebe zu deiner Heimat. Die Leute können sehr sarkastisch und pessimistisch sein, aber es ist und bleibt die Stadt, aus der du kommst.

Zum Abschluss des Albums wird es ziemlich emotional: „I wish you were here“ thematisiert den Tod von Als Vater Woody. Ein sehr bewegender Song.
Als Vater ist gestorben, als wir auf Tour waren. Ich habe also seine Trauer hautnah miterlebt und wir waren alle traurig, weil Woody immer ein großer Fan von DROPKICK MURPHYS und immer gut zu uns war. Diese Zeit war sehr hart für Al und es war nicht schön für uns, ihn so zu sehen. Darüber einen Song zu schreiben, war Teil der Verarbeitung seines Schmerzes. Der Song ist aber nicht nur ein Tribut an Als Vater, sondern auch an die 500.000 Amerikaner und die Millionen Menschen, die 2020 an COVID-19 gestorben sind. Wir wollten zwar eine aufmunternde Platte machen, hielten es aber für unverantwortlich, die Toten nicht zu würdigen. Deshalb dachten wir, diesen Song als Abschluss zu setzen, ist eine sehr respektvolle Art, damit umzugehen. Keine unserer Platten hatte bisher als letzten Song eine Ballade. Diesmal hat es sich einfach richtig angefühlt.

2020 war für jeden von uns ein richtiges Scheißjahr. Egal, woher er kommt. Anfang 2021 gab es dann die ersten Lichtblicke. Zum Beispiel, dass die USA einen neuen Präsidenten haben. Wie denkst du darüber?
Man spürt schon deutlich, wie es besser wird. Wir haben jetzt einen Präsidenten, der versucht, allen Amerikanern zu helfen. Jemand, der Empathie und ein Herz für die kleinen Leute besitzt. Der Blutdruck von Amerika hat sich spürbar gesenkt, seit Donald Trump nicht mehr twittert. Er hat jeden Tag Leute beleidigt und falsch beschuldigt und die Hälfte der Landes ist ihm dabei gefolgt. Das hat die USA tief gespalten. Ich fühle mich jetzt richtig erleichtert und entspannt. Natürlich traue ich keinem Politiker über den Weg, aber es ist ja jetzt schon so viel besser als vorher. Und ich hoffe, dass sich auch das Ansehen von Amerika in der Welt wieder bessert. Darum geht es in dem Song „Chosen few“. Wie viel an Wertschätzung wir Amerikaner im Ausland verloren haben. Wir als Band haben damit einige Erfahrungen gemacht. Viele Amerikaner merken das nicht einmal, weil sie das Land nie verlassen. Über all die Jahre hatten wir immer den Eindruck, als Amerikaner willkommen zu sein, das hatte sich in den vergangenen vier Jahren drastisch verändert. Inzwischen denkt jeder hier in den Staaten, die Welt hält uns alle für eine Horde von Idioten. Hoffentlich können wir unsere frühere Integrität bald wiederherstellen.

Vor 25 Jahren habt ihr mit den DROPKICK MURPHYS angefangen. Inzwischen geht ihr weltweit auf Tour und habt zehn Platten veröffentlicht. Hättet ihr mit so einem Erfolg gerechnet, als es losging?
Niemals. Die Band ist ja aus einer Wette entstanden. Ich war damals Booker und habe Konzerte im Rathskeller gebucht, den alle The Rat nennen. Das ist gewissermaßen das CBGB’s von Boston. Ich habe damals immer nachmittags jede Menge Bands aus England angeschleppt. Aber ich selbst habe damals noch keine Musik gemacht, deshalb habe ich immer davon geredet, eine Band zu gründen, die CLASH-Songs covert. Just for fun. Ein Kumpel von mir hat 30 Dollar gewettet, dass ich es nicht schaffe, binnen drei Wochen eine Truppe zusammenzubekommen und im Vorprogramm seiner Band aufzutreten. Aber wir haben es geschafft. Ich hatte dazu fünfzig von meinen Freunden mitgebracht, die sich nur über uns lustig gemacht haben. Ich denke der Schlüssel zu unserem Erfolg ist, dass wir immer sehr niedrige Erwartungen hatten. Am Anfang dachten alle, das mit uns wäre nur ein Witz. Ich hätte also nie gedacht, dass wir so weit kommen würden mit den DROPKICK MURPHYS.

Ein besonderer Tag für euch ist ja immer der St. Patrick’s Day am 17. März. Vergangenes Jahr gab es zum ersten Mal ein Streaming-Konzert, bei dem sich 13 Millionen Zuschauer reinklickten. So war es dieses Jahr auch.
Normalerweise spielen wir rund um den St. Patrick’s Day eine ganze Woche lang Shows in Boston. Das ist immer eine Art Reset für uns, nach all den vielen Reisen. Mit unzähligen Freunden und Verwandten im Publikum. Das war schon letztes Jahr wegen des Lockdowns nicht möglich. 2020 mussten wir die Idee für den Livestream binnen 48 Stunden umsetzen, das war alles extrem kurzfristig. Dieses Jahr hatten wir etwas mehr Vorbereitungszeit. Deshalb haben wir vor allem am visuellen Konzept gefeilt. Normalerweise schaust du als Band ja einfach nach vorne ins Publikum. Wenn es kein Publikum gibt, bist du nicht an den vorderen Bühnenrand gebunden. Deshalb haben wir einen Weg gefunden, mit allen Perspektiven zu arbeiten. Wir konnten dadurch einige Dinge machen, die mit Publikum vor Ort so nicht möglich gewesen wären.

FLOGGING MOLLY haben ja am gleichen Abend in Dublin eine Streaming-Show gespielt. Wusstet ihr das?
Wir haben vorher darüber gesprochen und uns abgestimmt, damit deren und unser Konzert sich nicht überlappen. FLOGGING MOLLY waren zeitlich ein bisschen vor uns dran, also gab es an diesem Tag jede Menge Entertainment im Netz. Sie sind alte Freunde von uns.

Ihr habt wieder jede Menge Geld eingesammelt. Vergangenes Jahr waren es satte 60.000 Dollar, die ihr für soziale Zwecke gespendet habt.
Wir supporten mit dem Geld Menschen, die abhängig oder süchtig sind. Gerade während der Corona-Pandemie sind soziale Netze und Unterstützergruppen für diese Menschen weggebrochen. Außerdem haben viele Leute wegen Corona ihre Jobs verloren und konnten ihre Miete nicht mehr bezahlen. Wir haben letztes Jahr im Mai noch ein weiteres Streaming-Konzert aus dem leeren Bostoner Baseballstadion Fenway Park übertragen. Für diese Show haben wir einen Weg gefunden, wie man viel direkter am Bildschirm spenden kann. Dabei sind über YouTube sogar 750.000 Dollar zusammengekommen.

Bei diesem Konzert kam Bruce Springsteen für zwei Songs zu euch auf die Bühne.
Wir sind schon eine Weile Freunde, ich war auch schon ein paar Mal bei ihm auf der Bühne. Als wir 2013 nach dem Boston Marathon eine Charity-Single aufgenommen haben, hat er auch mitgesungen. Bruce ist so ein normaler, sympathischer Typ, er ist einfach großartig.

Dieses Jahr feiert ihr euer 25-jähriges Bühnenjubiläum und den Release eures zehnten Studioalbums. Was ist da geplant?
Ende April soll es ein weiteres Livestream-Konzert geben, wie eine Art Record-Release-Party. Der Rest hängt dann von der Entwicklung der Corona-Pandemie ab. Ich wäre wirklich sauer, wenn wir unser Jubiläum nicht auf Tour feiern könnten. Aber wenn 2021 keine Konzerte möglich sind, dann werden wir unsere Jubiläumstour einfach 2022 nachholen.