ILLEGALE FARBEN

Foto© by Chris Mock

Ein Corona-Blues-Album

Eigentlich ist es ja das zweite Album, das als große Herausforderung für eine Band gilt, wenn das erste wohlwollend aufgenommen wurde. Diese kleine Weisheit können die Kölner ILLEGALE FARBEN wohl nur müde belächeln. Bei ihrer dritten Platte haben sie sich nicht nur den Hindernissen der Pandemie-Zeiten gegenübergesehen, sondern sich auch selbst eigene aufgestellt. „unbedeutend ungenau“ wurde ein schwieriges, aber sehr stimmiges Album. Kaum zu glauben, dass es aus der Not geboren ist und in dieser Form nie geplant war. ILLEGALE FARBEN, in Gestalt von Thomas Kempkes (Gitarre und Gesang), Chris Mock (Bass), berichten von dem Weg, der zum Gesamtkunstwerk „Unbedeutend ungenau“ geführt hat.

Ihr habt euch für ein recht ungewöhnliches Konzept entschieden. Wie sah der Weg aus, der zu einer Platte ohne einzelne Tracks, aber dafür mit beiliegendem Film, Fotosammlung und Kurzgeschichte führte?

Thomas: Es war nicht ganz leicht zu entscheiden, wie wir nach zwei relativ schnell aufeinanderfolgenden Platten weitermachen wollen. Eigentlich sollte es dann schließlich doch ein ganz reguläres drittes Album werden. Das Artwork stand, die erste Single war geplant, das Release-Datum war für den Herbst festgelegt und es hat eigentlich nur noch eine letzte Aufnahmesession gefehlt. Die letzte Session, die wir tatsächlich wahrnehmen konnten, war an Karneval letzten Jahres, also zu der Zeit, in der man schon Corona kommen sehen konnte. Am 13. März fiel dann der Lockdown-Hammer. Chris hat von heute auf morgen seinen Job verloren und ihn auch immer noch nicht wieder. Alle anderen mussten natürlich auch massive Einschränkungen in ihren Berufen hinnehmen und ich musste mich zum Beispiel fragen, wie das nun mit der Kinderbetreuung laufen soll. Jeder von uns hat sich zurückgezogen, um in dieser Extremsituation erst mal anzukommen.

Und so sind die Termine bei dem Album einfach verstrichen?
Thomas: Wir haben sogar ganz bescheuert noch einen Single-Veröffentlichungstermin eingehalten, obwohl keiner von uns Zeit hatte, sich wirklich darum zu kümmern. Völlig banane. Es war im Sommer klar, dass wir unseren Plan nicht aufrechterhalten können. Es gab hitzige Diskussionen, ob und wie wir dieses Album jetzt noch rausbringen können und wollen. Der Herbst stand bald vor der Tür, die Infektionszahlen gingen hoch und wir mussten uns fragen, was wir machen sollen. Wir haben eine Planänderung vollzogen und beschlossen, dass wir eben mit dem arbeiten, was da ist. Ein düsterer Monolith ohne Uptempo-Nummern schien uns der logische Schritt zu sein. Die ruhigen Songs waren schon fertig und wir haben entschieden, uns darauf zu fokussieren.

Trauert ihr der ursprünglich geplanten Platte noch nach?
Thomas: Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Für mich stand die Platte schon im Regal. Entsprechend war ich traurig, dass es nicht so kommen wird. Es ist jetzt ziemlich abgefahren, was sich aus diesem Prozess herausgeschält hat. Etwas ganz Neues, das in dieser Form unplanbar war. Es ist kein Corona-Album, aber ein Corona-Blues-Album geworden, weil es eben aus der Zeit geboren ist.
Chris: Ich glaube, ich finde das Ergebnis jetzt noch geiler als das, was ursprünglich angedacht war. Die Songs, die jetzt auf dem Album gelandet sind, sind meine Favoriten. Es ist aber dennoch schwer, das zu sagen. Die anderen Tracks waren ja nicht schlecht. Wenn ich mir die Platte jetzt anhöre, passen sie aber gar nicht zum Rest. Ich glaube der Film, der Text und die Zwischenräume sorgen dafür, dass man für eine halbe Stunde ganz vereinnahmt wird. In meinen Augen passt das perfekt in diesen Winter und diese Zeit überhaupt. Es trifft den Nagel auf den Kopf.

Wie ist denn der Film zum Album entstanden?
Thomas: Die visuelle Komponente, die bei einer Band sonst über die Konzerte kommt, wollten wir irgendwie ersetzen. So kam die Idee mit diesem Film auf. Wir fanden mit Ines Rehberger eine Videokünstlerin und ließen ihr die maximale künstlerische Freiheit. Wir haben mit ihr nur darüber gesprochen, was wir für Gefühle bei den Songs haben und was wir vermitteln wollen. Das Ergebnis haben wir so nicht erwartet. Als ich die Platte das erste Mal gehört habe, bin ich mit Kopfhörern im Dunkeln über ein Feld gelaufen. Ich hatte dabei das Gefühl, ich sitze in einem schwarzen Loch. Ines, der Produzentin dieses Films, wollten wir, wie bereits gesagt, möglichst wenig vorschreiben. Dennoch ist sie mit einem Film zu uns gekommen, der genau diesen Eindruck, den ich hatte, aufgreift. Ich habe wirklich eine Gänsehaut bekommen.

Ines hat also genau deine Hörsituation auch im Kopf gehabt.
Chris: Im Film gibt es Momente, in denen ich auch das Gefühl habe, sie hätte mir in den Kopf geguckt. Wir hatten aber wirklich nichts mit der Umsetzung zu tun, das war alles Ines. Bei ILLEGALE FARBEN gab es immer das Motiv des Laufens durch eine dunkle, einsame Straße. Genau dieses Motiv hat sie eingefangen, wenn auch nicht im urbanen Umfeld. Der Vibe ist da.

Ihr habt bereits angesprochen, dass es eine ungewöhnliche Entscheidung ist, die Songs im Streaming-Zeitalter in einem Stück zu veröffentlichen, zumal die Leute zu zufälliger Wiedergabe neigen. Wolltet ihr das Hörverhalten der Leute ein bisschen unter Kontrolle bringen?
Thomas: Wir erziehen niemanden um und wollen das auch gar nicht, zumal wir das ja selbst alles nutzen. Es ist aber schön, mal was Anachronistisches zu machen und die Leute dazu einzuladen, sich das anzuhören. Wir hatten eine Telefonsession, in der Chris die Idee eingebracht hat, dass man die Songs als einen Track rausbringen muss. Unser aller spontane Reaktion war: Ja, genau so müssen wir es machen! Das Label hat uns allerdings gefragt, ob wir wahnsinnig sind.
Chris: Es war auf jeden Fall nicht unsere Absicht, das Hörverhalten umzukrempeln. Der Impuls kam aus dem Konzept, das ja auch den Film beinhaltet, den wir zeigen und dazu spielen wollen. Weil es eben ein Gesamtkunstwerk ist, kam die Idee auf, dass wir die Songs dann auch wie ein einziges Stück behandeln müssen.

Ihr habt zwar keine einzelnen Tracks, zwischen denen man wechseln kann, es gibt aber die so genannten „Zwischenräume“, die extra benannt werden und die die Songs voneinander trennen. Was genau ist der Zweck dieser Zwischenräume? Ihr hättet ja theoretisch auch einfach Übergänge gestalten können.
Chris: Sie haben eigentlich ganz praktische Gründe. Die Songs sind nicht unbedingt kurz und recht intensiv. Wenn du einfach von einem zum nächsten Song gehst, hast du gar keine Zeit, ihn richtig zu verarbeiten. Die Zwischenräume sind so, wie man zwischen der Vorspeise und der Suppe ein Glas Wasser trinkt, um den Gaumen zu neutralisieren. Wir wollten Pausen entstehen lassen, um die Hörer:innen zum einen bei der Stange zu halten und zu signalisieren, dass wir noch da sind, und eben auch damit der Raum da ist, um die Songs kurz sacken zu lassen.
Thomas: Was wir alles erzählen, klingt total verkopft und überkandidelt, es ist aber wirklich ganz ad hoc und intuitiv entstanden. Wahrscheinlich intuitiver als die meisten Songs, die wir sonst geschrieben haben.

Man kann sich die Frage stellen, ob ILLEGALE FARBEN jetzt noch eine Punkband sind oder sich nicht längst zu einem Kunstprojekt entwickelt haben.
Thomas: Ein bisschen ist es ein Kunstprojekt geworden. Die Musik ist ja auch recht ungewöhnlich geraten. Ich glaube nicht, dass Jürgen von Rookie Records mal zu träumen gewagt hat, dass er auf seinem Punk-Label so was rausbringt. Man muss es Jürgen und Anne wirklich hoch anrechnen, dass sie da mitmachen. Auch an der Stelle gab es natürlich Diskussionen und wir mussten erst mal erklären, warum es eine gute Idee ist, im Streaming-Zeitalter eine Platte mit nur einem langen Track rauszubringen. Das macht vielleicht Brian fucking Eno, aber doch nicht wir. Eigentlich ist es unklug und der komplette Wahnsinn. Wir können nicht touren, keine Platten verkaufen und auch keinen Merch. Der ganze Plan ist verrückt, aber auch dadurch passt das Album sehr gut in diese Zeit.

Ist das ein Weg, den ihr so auch gern weiter beschreiten möchtet?
Chris: Wir sind, um unseren eigenen Text zu zitieren, in einer Zwischenwelt zu diesem Punkt gekommen. Wir wissen gar nicht, wo es hingeht, wir sind durch verschiedene Umstände nun hier gelandet. Wie es weitergeht, müssen wir sehen. Ich glaube nicht, dass wir ausschließen, auch mal wieder schnelle Songs zu schreiben. Wenn wir mal wieder tanzen und in die Instrumente hauen wollen, wird auch wieder andere Musik entstehen.