PALE

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Keine reine Trauerplatte

Mit „The Night, The Dawn And What Remains“ haben PALE eine Platte veröffentlicht, die es unter normalen Umständen nicht gegeben hätte. Die 1993 gegründete und 2009 beendete Band aus Aachen wurde in dieser Zeit eine gefeierte Größe irgendwo zwischen Emo, Indie und Pop. Erst der Tod von Gitarrist Christian 2021 und eine niederschmetternde Diagnose für Schlagzeuger Stephan haben dazu geführt, dass man sich noch ein letztes Mal zusammengetan hat, um sich und das Leben zu feiern. Mit Sänger Holger sprechen wir über die neuen Songs, über Christian und Stephan sowie darüber, wie emotional Musik am Ende doch ist.

Ich habe mal gesagt, dass eure Platte „How To Survive Chance“ von 2002 wahrscheinlich die wäre, die ich als Einzige mit auf eine einsame Insel nehmen würde, weil sie mich so glücklich gemacht hat und das auch immer noch schafft.

Interessant, dass du das sagst. „How To Survive Chance“ war auch nach Ansicht der Band die einzige Platte von uns, die losgelöst von allem anderen funktioniert. Es ist das zeitloseste Album von uns. Lange dachte ich, dass das die „Razzmatazz“ sei. Aber deine Meinung teilen tatsächlich einige.

Mit „Teenage heaven“ von der „Razzmatazz“ bin ich auch in den PALE-Kosmos gesogen worden. Aber den vollen Impact hatte erst das Nachfolgealbum. Gerade weil es zu einer Zeit veröffentlich wurde, in der Musik für mich mehr als nur ein Soundtrack zum Leben war. Umso aufregender war es für mich zu hören, dass es neue PALE-Songs geben würde. Leider sind die Umstände, unter denen die definitiv letzten Tracks von euch nun veröffentlicht werden, alles andere als schön.
Es war eine superschwere Aufgabe, die Platte zu veröffentlichen, da wir dabei sehr viele Höhen und Tiefen durchlebt haben. Wobei hier sicher die Tiefen mit dem Tod von Christian sowie der schwerwiegenden Diagnose für Stephan überwiegen. Alles in allem war das es aber wert, festgehalten zu werden. Nach Christians Tod war an Musikmachen erst mal eine ganze Zeit nicht zu denken. Wir haben uns dann aber die Frage gestellt, was Christian wohl wollen würde, was wir mit den Songs anstellen. Ich habe ihn als den Entspanntesten und Optimistischsten von uns in Erinnerung. Auch was das Bandgefüge anging. Deswegen kann ich das für mich etwas trennen. Zum einen steht da die Musik im Bandzusammenhang und die Erinnerung, die ich mit den anderen teile. Das Zusammenkommen nach zehn Jahren, in denen wir uns kaum gesehen haben und nur sporadisch Kontakt zueinander hatten. Zum anderen sind da meine Erinnerungen an die Entstehungsphase von „The Night, The Dawn And What Remains“, die sehr durch die beiden Diagnosen und den Tod von Christian geprägt ist. Das war aber gleichzeitig auch die Triebfeder für mich, mich in den Texten so persönlich zu äußern, wie es im Rahmen von PALE noch nie der Fall gewesen ist. Auf den anderen Platten ging es inhaltlich immer um das, was mich oder uns gerade umtrieben hat. Es ging wie auf „How To Survive Chance“ darum, unglücklich verliebt zu sein oder die große Liebe zu finden, Dieses Mal wollte ich unheimlich viel sagen. Ob mir das geglückt ist, sei mal dahingestellt. Aber es ging vor allem darum, das, was da gerade passiert ist, aufs Papier zu bringen. Für uns ist übrigens auch einiges wieder hochgekommen, als wir das Album dann gehört haben. Das hat uns aber auch noch mal gezeigt, dass die Dinge einfach nicht mehr so entspannt sind wie früher.

Genau davon handelt auch das letzte Stück des neuen Albums, „Someday you will know“. Es klingt wie der finale PALE-Song.
Eigentlich ist der Text sehr selbstreflexiv. So wie ein HipHop-Track, in dem es um den oder die Künstler:in geht. Auf der Platte geht es grundsätzlich um die Erkenntnis, dass wenig von Bestand ist im Leben. Ich habe über die Beziehungen, die ich führen durfte, geschrieben und eine davon ist die Band, und um die geht es im angesprochenen Song. Ich denke übrigens, dass „How To Survive Chance“ mit ihren aufgebrochenen Strukturen, wie zum Beispiel einem reinen Pianostück, für mich als die ultimative PALE-Platte in Erinnerung geblieben ist. Sie hat alles, was ich an anderen Bands auch spannend fand. Wir wollten auch nie so klingen, als würden wir uns darauf ausruhen, dass wir unseren Sound gefunden haben. Wir wollten immer neue Dinge ausprobieren und Sachen zusammenbringen, die zunächst mal nicht zusammenpassen. Deswegen käme „The Night, The Dawn And What Remains“ für mich auch gleich nach „How To Survive Chance“.

Das Album fasst auch noch mal alles zusammen, was euch ausgemacht hat. „Man of 20 lives“ klingt so wie ein „traditioneller“ PALE-Song zu Zeiten von „Razzmatazz“, wohingegen andere Stücke wiederum andere Phasen der Band abbilden. Die einzige Konstante bei euch war, dass eigentlich nichts konstant geblieben ist. Das hat sich gegen Ende der aktiven Zeit ja auch in der Besetzung gezeigt. Umso schöner ist es, dass alle noch mal zusammenkommen, die jemals an der Band beteiligt waren. Ehrensache?
Ja, definitiv. Ich habe das vor kurzem schon in einem Posting erwähnt. Nachdem unser erster Bassist Philipp auf mich zukam und mir noch mal unser erstes Demo vorgespielt hat, und wir uns kurz vor Scham geschüttelt haben, packte uns die Euphorie, doch noch mal etwas zu starten. Wir haben also Christian, meinen Bruder Stephan und unseren Bassisten Hilly angerufen und abgemacht, dass wir es einfach tun werden. Und das, obwohl für mich eigentlich immer alles dagegen gesprochen hat, noch einmal eine Platte rauszubringen, geschweige denn ein Konzert zu spielen. Manche Dinge und die Sichtweisen darauf, ändern sich einfach. Ich habe dann noch Jonas, unseren Keyboarder, kontaktiert und wir haben losgelegt. Logischerweise war das unter den jetzt vorherrschenden Bedingungen viel schwieriger als noch zu Zeiten von „How To Survive Chance“, als wir uns einfach sechs Wochen Urlaub genommen haben. Da konnten wir nachts die Songs schreiben und sie dann tagsüber aufnehmen. Dieses Mal war das eine viel größere Herausforderung, aber eben auch, wie du es schon sagtest, Ehrensache. Gleichzeitig haben wir uns zum ersten Mal Unterstützung ins Boot geholt und mit Leuten zusammengearbeitet, mit denen wir eigentlich schon immer mal was machen wollten. Saskia, eine Arbeitskollegin von mir, singt bei „500 Songs“ mit und hat mir damit einen großen Traum erfüllt. Simon von den KILIANS singt bei „Still you feel“ ein Stück mit. Der Saxophonist von SPANDAU BALLET spielt das Solo bei „Someday you will know“, weil Christian und ich eine besondere Beziehung zu denen hatten, besonders zu ihrem Song „Gold“. Zum Abschluss mit „Someday you will know“ sind dann alle Menschen, dabei, die jemals Teil der Band waren, wie auch Peter von DUCHAMP, und singen die letzten Zeilen. Selbst mein Bruder und Hilly haben da mitgesungen. Das war das wichtige Zeichen: Das war es jetzt und wir waren Teil des Ganzen.

Ich finde „500 Songs“ und das, was in dem Track transportiert wird, auch sehr schön. Alle zehn Songs auf „The Night, The Dawn And What Remains“ sind großartig, vor allem wenn man sich denken kann, um wen es da gerade gehen könnte.
Der Song handelt von den Irrungen und Wirrungen, die in meinem Leben aufgetreten sind und über die ich zum Teil in anderen Liedern bereits gesungen habe, die mich jedoch zu meiner Frau geführt haben. Es ist einer von zwei Tracks, die von der Beziehung zu ihr handeln. Es ist immer schwierig, etwas so Schönes unkitschig rüberzubringen.

Kannst du sagen, was PALE für dich die ganze Zeit über ausgemacht hat?
So abgedroschen das vielleicht klingen mag, aber es war unsere Freundschaft. Wir waren mit dem zufrieden, was wir als Band, als Freunde geschafft haben. Das war die Basis, die uns trotz all der Widrigkeiten zusammengehalten hat.

Das Veröffentlichungsdatum des Albums fällt genau auf das Datum, als Christian und Stephan ihre Diagnosen bekommen haben. Ist das Zufall?
Es wäre schon fast geschmacklos, wenn wir das geplant hätten. Tatsächlich ist es eher ein Produkt aus Pleiten, Pech und Pannen. Wir haben die Songs ja auch nur so nebenbei geschrieben, jeder von uns hat Familie, seinen Job und irgendwann stand im Kalender vom Grand Hotel van Cleef, die die Platte ja rausbringen, dass wir das Album an besagtem Tag veröffentlichen werden. Ich habe dann ein paar Wochen später mal nachgeschaut, an welchem Tag die beiden ihre Diagnose bekommen haben. Das war dann schon etwas gruselig.

Die Frage mag etwas banal klingen, aber warum gab es seit eurem eigentlichen Abschiedskonzert und vor allem seit der letzten Platte „Brother.Sister.Bores!“ von 2006 keine Musik mehr von PALE?
Ich würde sagen, dass die Dinge einfach auserzählt waren. Es gab total schöne Zeiten, vor allem um „Razzmatazz“ und „How To Survive Chance“ herum, aber gegen Ende wurde es schon etwas schwerfälliger, weil dann das Leben passierte und unsere Ressourcen anderweitig beansprucht wurden. Es war nicht mehr so einfach, alles unter einen Hut zu bringen, und man konnte spüren, dass die Luft einfach raus war, vor allem nach „Brother.Sister.Bores!“, das auch nicht ganz so geworden ist, wie wir es uns gedacht hatten. Im Endeffekt war diese Abschiedstour, in die schon alle, die mit uns mal etwas zu tun hatten, involviert waren, ein guter Abschluss. Danach war Christian der Einzige, der noch weiter Musik gemacht hat. Deswegen dachten wir auch, dass es ein guter Teil der Therapie oder Ablenkung nach der Diagnose sein könnte, wenn wir wieder zusammen Musik machen würden.

Für mich waren PALE immer die zwei Brüder, die nicht unterschiedlicher sein könnten, Christian an der Gitarre und Hilly am Bass.
Ich habe immer gesagt, wenn Hilly unser Frontmann gewesen wäre, hätten wir mindestens so groß werden können wie die BEATSTEAKS, haha. Um die Beziehung, beziehungsweise die Gegensätzlichkeit zwischen Stephan und mir geht es in „Man of 20 lives“. Ich gehe, er bleibt und ich hoffe, dass er noch da ist, wenn ich zurückkomme. Wenn ich mich quasi ausgelebt habe. Er ist ja damals auch in Aachen geblieben, während ich weggezogen bin. Ich hatte viele wirre Ideen, die es umzusetzen galt. Während ich es im Affekt für eine gute Idee hielt, auf der Bühne meine Gitarre zu zertrümmern, war er immer der, der mich darauf hinwies, dass ich sie vielleicht doch noch mal brauchen könnte. Ein paar Gitarren habe ich dennoch kaputtgehauen – im Endeffekt aber gar nicht so viele. Der Song ist eine nachträgliche Entschuldigung, weil mein Bruder eine Menge mit mir durchmachen musste. Wir hatten ein sehr ambivalentes Verhältnis zueinander. Ich habe uns in dem Rahmen gerne als die Gallagher-Brüder von Aachen gesehen, zumindest was das Aggressionspotenzial untereinander anging. Ich bin ihm für eine Menge Dinge wirklich dankbar. Etwa, wenn ich ihn in den Wahnsinn getrieben habe und er trotzdem zu mir gehalten hat.

Kannst du mir etwas zu den Plänen für die letzte PALE-Show erzählen, die 2023 stattfinden soll?
Eigentlich haben wir unsere allerletzte Show ja bereits vor Jahren gespielt. Aber an dem Abend im kommenden Jahr werden wir auch Christian gedenken. Irgendwie sind die Songs, das anstehende Konzert größer als wir selbst, wenn du verstehst, was ich damit meine. Wir wollen feiern! Wie du gerade schon angemerkt hast, waren wir vier auch für mich die Urbesetzung von PALE. Jedoch werden alle, die mal mit der Band zu tun hatten, an dem Abend vorbeikommen. Vielleicht setzt sich Stephan ja auch noch mal ans Schlagzeug? Dass Christian nicht dabei sein wird, wird einen riesigen Unterschied machen.

„The Night, The Dawn And What Remains“ ist eine außergewöhnliche Platte. Würdest du sagen, dass es am Ende dennoch etwas Positives gibt, das du in dem Rahmen besonders mitnimmst?
Am Ende muss das jeder von uns mit sich selbst ausmachen und herausfinden, was für ihn der beste Umgang mit der Sache ist. Ich kenne die anderen zwar ziemlich gut, kann aber nicht deuten, wie es sich auf sie auswirkt. Für mich war es schon sehr hilfreich. Vor allem das Texten und die damit verbundene Auseinandersetzung mit dem, was passiert ist, war wichtig für mich. Zu anderen Zeiten in meinem Leben hätte ich das Ganze wahrscheinlich ausgesessen, statt es zu verarbeiten. Aber vermutlich hätte mich das so oder so eingeholt. Jedenfalls hat das mit uns sehr viel gemacht.Und jetzt ist diese Urzelle der Band nie mehr so da, wie sie mal war. Christian kennen wir alle ewig. Wir haben schon in einer Schülerband zusammen Musik gemacht. Er war mein Trauzeuge, ich war seiner. Sein Sohn ist mein Patenkind. Wir hatten einfach so viel miteinander zu tun, dass er mehr war als nur ein Bandmitglied. Das gilt für uns alle. Deswegen war es eine unheimlich schwere Zeit. Andererseits war es uns wichtig, dass wir die Euphorie, die wir zu „How To Survive Chance“ ausgestrahlt haben, auch wieder transportieren wollten. Es sollte einfach keine reine Trauerplatte werden. Das hätte der ganzen Sache auch gar nicht entsprochen.