SINNER AND THE SAINT

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A Tattooshop In The Heart Of Aachen

Hardcore, Punk und viele andere Abarten des Rock'n'Roll sind seit jeher mit Tätowierungen in Verbindung gebracht worden. Was liegt da näher, als Andreas, den Sänger der Streetpunk-Band URBAN REJECTS, der auch bereits in mehreren Hardcore-Bands am Mikro stand, und seit nunmehr zehn Jahren sein eigenes Studio, The Sinner And The Saint, in Aachen betreibt, über eben diesen Job zu befragen?

Wie bist du denn überhaupt zum Tätowieren gekommen?

Mit 19 habe ich mich von meinem ersten Zivildienstsold tätowieren lassen. Zu dem Zeitpunkt fand ich das natürlich schon super, habe aber da auch noch nicht wirklich daran gedacht, das zum Beruf zu machen. Ich habe aber auch vorher schon immer viel gezeichnet, und bei meiner zweiten Tätowierung dachte ich dann: "Das ist echt cool, das will ich gerne machen". Außerdem wollte ich auch schon immer etwas im künstlerischen Bereich machen. Dazu kommt natürlich, dass Tätowieren auch einen gewissen subkulturellen Bezug hat. Grafikdesign ist zum Beispiel ja auch etwas Schönes, interessiert mich aber nicht wirklich. Beim Tätowieren kannst du halt viele Dinge verbinden: Du kannst kreativ sein, du kannst zeichnen und es hat immer noch diesen handwerklichen Aspekt, gleichzeitig ist es ja immer noch auf gewisse Art und Weise etwas Besonderes. Irgendwann hab ich mir dann Maschinen gekauft und Freunde tätowiert, aber das Problem dabei ist ja, dass man das Ganze nicht einfach so lernen kann, wenn man keinen hat, der einem alles erklärt. Deshalb habe ich es jahrelang ruhen lassen. 1995 hat ein Freund, der einen Tattoo-Laden in Mönchengladbach hat, mir gesagt, dass er mich ausbilden will.

Und wann hast du den Shop hier eröffnet?

Den Laden habe ich am 1. November 1997 aufgemacht, damals noch alleine. Ich habe zwar lange in Mönchengladbach gewohnt, wollte aber meinem Ausbilder keine Konkurrenz vor die Tür setzen. Das ist halt in der Branche auch so üblich. Als ich mich dann nach einem passenden Ort umgeguckt habe, habe ich mir gedacht, dass ich Aachen ja auch schon lange mochte, und bin dann mit dem Laden hierher gegangen. Das war natürlich auch anfangs sehr schwierig, da ich ja neu in der Stadt war, aber in den letzten zehn Jahren hat es sich sehr gut entwickelt.

Und mittlerweile seid ihr zu dritt ...

Fest sind jetzt Stephan, Imme und ich in dem Laden, dazu dann noch Gast-Tätowierer aus verschiedenen Studios Nordrhein-Westfalens, die einen Tag pro Woche hier sind. Wie zum Beispiel Pete, ehemals bei BLACK FRIDAY '29, und Eckel von Times Of Grace-Tattoos, Kevin und Gordon von Nine Lives-Tattoos aus Bottrop. Außerdem habe ich noch regelmäßig andere Freunde aus den USA oder Deutschland hier zum Tätowieren.

Und du selbst warst ja auch das eine oder andere Mal als Gast-Tätowierer unterwegs.

Im Herbst war ich bei Freunden von Chinatown-Tattoo in Philadelphia, die auch hier schon gearbeitet haben. Das Gute dabei war, dass ich bei meinem Freund Tim, der dort seit ein paar Jahren lebt, wohnen konnte. Leider habe ich hier so viel zu tun, dass ich nicht die Zeit habe, so oft wegzukommen, wie ich es gerne würde.



Apropos Zeit: Wie weit sind deine Termine durchschnittlich im voraus ausgebucht?

Das ist immer so eine Sache, mit drei bis vier Monaten muss man da immer rechnen, bei den anderen beiden sieht das aber auch wieder anders aus. Wir versuchen natürlich auch, dass die Wartezeit im Verhältnis zu der Tätowierung steht. Wenn jemand ein chinesisches Schriftzeichen will, muss er nicht drei Monate auf einen Termin warten. Wer dann aber ein Custom-Tattoo will, das komplett vorbereitet, in Ruhe besprochen und gezeichnet werden muss, ist es auch durchaus nicht schlecht, dass man ein paar Monate warten muss, da der Tätowierer diese Arbeiten dann in Ruhe durchführen kann, und man sich vorher den Entwurf angucken und auch noch mal besprechen kann. Bei einem kompletten Sleeve zum Beispiel sollte es verständlich sein, dass man das nicht nach zwei Wochen fertig haben kann. Mit der Zeit hatte ich immer mehr Termine und habe ich mir dann gedacht, dass ich jetzt auch wen zur Unterstützung brauche. So habe ich dann auch Leute ausgebildet, die mit mir arbeiten. Wenn man so ausgebucht ist, überlegt man sich halt, ob man Leute, die Tattoos haben wollen, die man nicht wirklich gerne sticht, wieder wegschickt, oder ob man sich jemanden in den Laden holt, der die Arbeit auffängt, das muss jeder Tätowierer für sich selbst entscheiden. Ich finde es halt doof, Leute wegzuschicken. Diese Einstellung "Chinesische Schriftzeichen find ich doof, das mache ich nicht" finde ich dumm. Wir sind halt ein Tattoo-Studio, wer hier reinkommt, und den ganzen Rücken voll haben will, bekommt das, und wer ein kleines Schriftzeichen will, bekommt auch das. Für mich ist eine Tätowierung eine Tätowierung, und ich versuche, jede gleich gut zu machen.

Und was würdest du nicht machen?

Rechtsradikale Tattoos natürlich. Ich schicke auch Leute weg, wenn ich das Gefühl habe, dass die Tätowierung nicht wirklich gut für sie ist. Wenn da jetzt ein 18-jähriges Kid ankommt und unbedingt die Tätowierung von Bushido am Hals haben will, dann fragt man den, was er sich beruflich so vorstellt. Wenn dann kommt, dass er das nicht weiß und noch zur Schule geht, dann sage ich ihm, dass er das Tattoo nicht bekommt. Es ist eigentlich nicht meine Verantwortung, ob derjenige sich jetzt sein Leben versaut oder nicht, aber wenn ich merke, dass da jemand gar nicht nicht über sein weiteres Leben nachdenkt und nur mal in der Disco der Härteste sein will, finde ich das einfach nur blöd. Wenn jemand, der Ende 20, Anfang 30 ist, im Berufsleben steht und einen coolen Chef hat, und sich den Hals tätowieren lassen will, ist das eine andere Sache.

Anscheinend stand es ja nicht gleich fest für dich, Tätowierer zu werden. Nach dem Zivildienst bist du ja auch erst einmal in eine andere Richtung gegangen, oder?

Nachdem ich mich habe tätowieren lassen, stand es eigentlich schon fest. Zu der Zeit habe ich auch Musik gemacht, als Tourmanager gearbeitet und auch mal in Fabriken gearbeitet, halt eine Menge verschiedener Jobs. Musik war mir zwar super wichtig, aber das war nie eine Sache, wo ich dachte, ich könne damit meinen Lebensunterhalt verdienen. Ich würde auch nie mit Musik Geld verdienen wollen, dafür war mir die Sache irgendwie zu wichtig. Nachdem der Wunsch, Tätowierer zu werden, feststand, bin ich die anderen Sachen nicht ganz so ernst angegangen. Ich habe auch mal, mehr oder weniger als Alibi, angefangen zu studieren, damit mein Vater nicht meckern kann. Musik zum Beispiel ist auch eher ein Hobby, das mir zwar sehr wichtig ist, aber niemals den Status des Tätowierens haben wird.



Gibt es denn im Moment Trends, was die Motive anbelangt? Vor ein paar Jahren waren Arschgeweihe anscheinend sehr angesagt, davor Tribals ...

Trends gibt es eigentlich immer, aber momentan finde ich es sehr positiv, dass Trends zwar aufkommen, sich dann aber auch festigen. Es gibt zum Beispiel immer noch Leute, die auf Tribals stehen. Die traditionellen Tattoos sind ja auch wieder groß geworden, und ich habe bei beidem nicht das Gefühl, dass das wieder abflacht. Bei den Tribals gab es zur Hochphase natürlich auch Leute, die sich das stechen lassen haben, und dann zwei bis drei Jahre später wieder etwas anderes bekommen haben. Das Schöne ist, dass ich nicht sagen kann, was dieses Jahr oder nächstes Jahr hip ist. Gerade bei einer Tätowierung sollte man ja nicht irgendwelchen Modetrends hinterherlaufen, was ja jeglichem Prinzip von Tattoos widerspricht.

Hast du schon mal aufgrund negativer Vorurteile hier Probleme in der Nachbarschaft gehabt?

Eigentlich nicht. Anfangs, als ich den Laden hier eröffnet habe, haben die Leute das natürlich schon ein bisschen komisch beäugt, aber das hat sich inzwischen sehr gewandelt. Hier auf der Straße gibt es Ladenlokale, wo inzwischen der dritte oder vierte Mieter drin ist. Und ich habe halt einen Laden, der schon seit zehn Jahren existiert, was heutzutage, egal in welcher Branche, nicht mehr so üblich ist. Mittlerweile haben die Leute hier kapiert, dass der Laden etwas Vernünftiges ist und kein Hirngespinst und akzeptieren es jetzt auch. Ich kenne die Leute hier und mit den meisten komme ich sehr gut klar, auch wenn sie sich bestimmt anfangs gefragt haben: Was ist das denn für ein Typ? Mit Vorurteilen habe ich auch generell selten zu tun. Wahrscheinlich liegt das auch am Auftreten, denn wenn du nachmittags als Tätowierter besoffen durch die Stadt läufst, entspricht das dem Bild, was die Leute haben wollen. Wenn du aber ganz normal mit ihnen umgehst, werden sie sehr schnell merken, das du kein Idiot oder Asozialer bist.



Meinst du, dass du dadurch, dass du schon lange in der Punk- und Hardcore-Szene unterwegs bist, auch einen Großteil der Kundschaft daher ziehst?

Ein großer Teil meiner Kundschaft kommt auf jeden Fall aus diesem Bereich. Und durch so eine Verbundenheit zu einer Szene fühlen sich eben diese Leute hier auch besser aufgehoben. Wer jetzt Punkrock hört und zu einem 50-jährigen SANTANA-Fan geht, wird vielleicht Probleme haben zu kommunizieren, was er genau will. Beim Tätowieren ist es natürlich super, wenn der Tätowierer auch einen Bezug zum Motiv hat. Es gibt ja auch viele Tattoos, in die zum Beispiel ein Songtitel eingebunden wird, und wenn man weiß, was damit gemeint ist, ist das schon ein großer Unterschied. Und natürlich auch, wenn man beim Tätowieren BAD BRAINS statt SANTANA hört, ist das für viele angenehmer. Ich mag es ja auch, wenn ich mit meinem Tätowierer über etwas reden kann, was einen verbindet.

Wie siehst du denn generell die Entwicklung von Tätowierungen?

Es ist auf jeden Fall deutlich akzeptierter als früher, was so weit geht, dass sogar 20-Jährige die ganzen Arme voll haben, was früher eine Menge Überwindung gekostet hat. Heute machen die das mit einer großen Selbstverständlichkeit, was ja auch cool ist. Es geht meiner Meinung nach dahin, dass die Leute sich einfach das tätowieren lassen, wo sie Bock drauf haben und auch mehr Ideen einfließen lassen. Der Stil wird dementsprechend ausgesucht, es wird einfach immer individueller. Die Tätowierer sind ja auch künstlerisch auf einem höheren Niveau, und das wird dann genutzt, indem wirklich eigene Ideen umgesetzt werden.