SPANISH LOVE SONGS

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No fun at all?

Wahrscheinlich werden SPANISH LOVE SONGS irgendwann mal als die Band in die Geschichte eingehen, die Emo in seinen Grundzügen verändert hat. Dabei ist es nicht nur Sänger Dylan Slocum mit seinen unfassbar traurigen, aber dennoch nie hoffnungslosen Texten, sondern das Gefühl, das diese fünfköpfige Melancholie mit ihrem vierten Album „No Joy“ verbreitet. Es geht darum, Frieden mit sich selbst zu finden, in einer Welt, die einem immer wieder Steine in den Weg legt. Wie gehen wir mit der Tatsache um, dass wir uns immer niedergeschlagen fühlen, es aber eigentlich gar nicht sein müssten? Wie wir trotzdem über die Runden kommen, und aus welchen Situationen er seine positiven Momente zieht, erzählt Dylan im Interview.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir in diesem Interview mehr über schwierige Themen sprechen werden als über positive Dinge.

Das könnte gut möglich sein. Wer sein Album „No Joy“ betitelt, darf sich hinterher nicht wundern, wenn es mal ernster wird.

Für mich ist es manchmal schwer, euer neues Album zu hören, weil ich mich teilweise stark betroffen fühle. Was glaubst du, welche Gefühle „No Joy“ bei euren Hörer:innen hervorrufen wird?
Das ist eine gute Frage. Ehrlich gesagt hoffe ich, dass es bei ihnen auslöst, was immer sie möchten oder brauchen. Ich bin nicht der Typ von Songwriter, der jemandem sagen will, wie er oder wie sie sich fühlen soll oder worum es in einem Song geht. Also, wenn du das Album hörst und es dir bei etwas hilft, großartig. Wenn du das Album hörst und dich super deprimiert fühlst, weil manche Sachen deprimierend sind, ist das auch okay. Ich hoffe nur, dass die Leute daraus trotzdem etwas Optimismus schöpfen können. Ich denke, es ist ein viel hoffnungsvolleres Album als „Brave Faces Everyone“ geworden. Aber weißt du, sobald die Songs veröffentlicht sind, gehören sie nicht mehr uns. Die Leute können damit machen, was sie wollen.

In der Pressemitteilung steht, dass ihr in ein neues Haus gezogen seid, das ein paar Risse in den Wänden aufweist. Also habt ihr im Scherz gesagt, dass ihr die Geister in dem Haus spüren könnt. Kannst du mir sagen, inwieweit die Geister der Vergangenheit eine Rolle für deine Texte spielen?
Ja, das war irgendwie ein Scherz. Wir sind nach Nashville gezogen, in ein altes Gebäude, in dem es überall knarzt. Also haben wir geunkt, dass dort Geister herumspuken. Ich glaube nicht, dass das Haus tatsächlich verflucht ist. Es wäre ja cool, wenn es so gewesen wäre, aber es gibt einfach unerklärliche Geräusche, die man in stillen alten Häusern hört. Das gilt wahrscheinlich für jedes Haus, in dem ich je gelebt habe. Aber normalerweise bemerkt man das in einer lauten Stadt nicht unbedingt. Doch wenn es ein ruhiger Vorort ist, wirkt ein Geräusch in einem anderen Raum ohrenbetäubend.

Ihr seid aus dem hektischen Los Angeles nach Nashville gezogen. Wie kam es dazu?
Technisch gesehen ist es schon eine Weile her. Wir waren Anfang 2020 auf Tour und haben daher eigentlich nirgendwo gewohnt. Wir hatten alle unsere Wohnungen aufgegeben und dann wurde alles dicht gemacht. Also haben wir einige Zeit in Kalifornien verbracht, waren eine Weile in Iowa und schließlich sind wir im August nach Nashville gezogen. Wir sind es gewohnt, die ganze Zeit auf Tour zu sein, also sind wir ziemlich rastlose Menschen. Deshalb dachten wir uns, okay, lasst uns das mal ausprobieren. Ich werde wahrscheinlich noch acht weitere Male umziehen, bevor ich sterbe. Ich mag es, mobil zu sein.

Die letzten drei Jahre waren für alle, die irgendwie mit Kultur zu tun hatten, ziemlich hart. Beim Hören von „No Joy“ oder auch euren anderen Songs dachte ich, dass Musik wie ein Transportmittel funktioniert, um an verschiedene Orte zu gelangen, anstatt am aktuellen Ort zu sein. Begibst du dich mental an schöne, imaginäre Orte und konzentrierst du dich auf die guten Dinge, um so gesund wie möglich zu bleiben?
Wahrscheinlich nicht. Ich weiß nicht, ob ich diese Fähigkeit habe. Ich habe das Gefühl, dass ich spätestens durch die letzten zwei Jahre gelernt habe, einfach im Moment präsent zu sein und das, was passiert, zu akzeptieren. Und wenn es etwas ist, das mir nicht gefällt, versuche ich, es möglichst zu ändern, mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln. Aber abgesehen davon, dass ich mal ins Kino gehe oder Videospiele spiele, dissoziiere ich nicht oft. Ich bin mir meistens sehr bewusst darüber, was gerade passiert, und manchmal ist das schrecklich, weil ich es lieber nicht wäre. Normalerweise ist es nicht so, dass ich von einer besseren, perfekten Welt träume. Es sind einfach Gedanken.

„No Joy“ enthält einige sehr eingängige oder sogar poppige Elemente, die auf den früheren Alben so noch nicht zu finden waren.
Eingängiger zu werden, ist eine spaßige Aufgabe. Es gibt unzählige Möglichkeiten, ein Lied zu schreiben, aber für mich ist es eine tolle Herausforderung, etwas Einzigartiges und Herzzerreißendes in besonders eingängiger Form zu schreiben. Das war etwas, das ich wirklich ausprobieren wollte.

Während ich die Texte lese, zieht es mich gleichermaßen runter, wie ich dazu tanzen möchte.
Das war das Ziel des gesamten Albums, also freut es mich zu hören, dass es offenbar funktioniert.

Wie sind die Songs zusammengekommen? Hast du die Texte verfasst und dann die Band ins Boot geholt oder hast du alles allein geschrieben?
Es hängt ein wenig vom Song ab. Aber in diesem Fall hatte ich eine Menge Texte aufgeschrieben und eine Menge Songs, mit denen ich herumexperimentiert hatte. Im Dezember 2021 waren wir zu Besuch bei Marias Eltern in Iowa und ich dachte: Oh, wir haben ein neues Album in Arbeit und ich habe noch keinen Song fertig. Also setzte ich mich für eine Woche hin und arrangierte für alle Tracks das Grundgerüst. Ich glaube, es waren so etwa zehn oder elf, die wir dann vor der Tour 2022 ausgearbeitet haben. Ich habe mit Ruben, unserem Schlagzeuger, begonnen, mit einigen Arrangements herumzuspielen, aber sehr grundlegend. Im Studio waren wir schließlich alle zum ersten Mal wieder gemeinsam in einem Raum: „Okay, hier ist das Demo des Songs, an dem Ruben und ich im März gearbeitet haben. Aber wir können ihn auch komplett auseinandernehmen.“ Also hatten wir für zwei Drittel des Albums Demos und haben Dinge gekürzt oder verschiedene Instrumente hinzugefügt. Bei den anderen paar Songs haben wir die Demoversion komplett ignoriert und uns gefragt: Wie kriegen wir das besser hin? Ein Song wie „Pendulum“ war anfangs eine recht fröhliche Rock’n’Roll-Nummer, aber als wir ihn ins Studio mitbrachten, fühlte er sich nicht richtig an. Also wurde er etwas langsamer und nahm eine komplett andere Form an, nicht akustisch, aber der Charakter des Stücks veränderte sich total. Und das geschah einfach dadurch, dass wir alle zusammen im Studio waren und auch mit Collin, unserem Produzenten, zusammengearbeitet haben. Wir haben einfach das Beste herausgeholt aus den Songs, die bereits da waren.

Es scheint, als wärst du immer in deinen Texten präsent. Du beschäftigst dich sehr offen mit deinen Dämonen oder anderen Dingen, die in deinem Leben passiert sind, mit Freunden oder Familienmitgliedern. Ist es manchmal wichtig, ein paar Wunden offen zu lassen und hin und wieder daran zu rühren, um so bessere Texte zu schreiben?
Nein, das ist nichts, was ich absichtlich tue. Ich denke nur, dass die meisten Wunden immer offen sind. Es ist nicht so, dass ich absichtlich darüber nachdenke, wie man etwas auf eine möglichst deprimierende Weise angehen kann. Es ist einfach die Art, wie ich die Welt betrachte oder wie ich bestimmte Sachen wahrnehme, die zu einem Song führen kann. Und wir haben mittlerweile auch herausgefunden, worin wir gut sind. Also geht es darum, sowohl das fortzusetzen, was wir gut können, als auch es auf den Kopf zu stellen. Für mich muss jedes Album einem zentralen Konzept folgen oder eine Aufgabe erfüllen. Bei „Schmaltz“ war das beispielsweise: Ich will kein Monstrum, das sich mit einer gescheiterten Partnerschaft beschäftigt. Also sollten es keine Trennungs- oder Scheidungssongs geben. Damit handelte es von meinen eigenen Problemen. Bei „Brave Faces Everyone“ war die Frage: Wie erzähle ich die Geschichten anderer Menschen auf interessante Weise und decke diese breiteren Themen ab? Und bei diesem Album dachte ich mir: Was wird die Herausforderung sein, die mich zum Schreiben von Texten inspiriert? Und für mich war die große Aufgabe dann, dass alle Songs Liebeslieder sein sollten, das genaue Gegenteil von „Schmaltz“. Also ja, ich denke, vieles davon sind einfach die Dinge, die mich regelmäßig beschäftigen, und ich finde meist einen Ansatz, um sie anzugehen. Also glaube ich nicht, dass ich dabei alte Wunden aufreiße. Ich beschäftige mich einfach mit dem, was mir vorliegt. Die Leute nehmen wahrscheinlich an, dass ich viel trauriger und wütender bin, als es der Fall ist. Das ist das Einzige, was die Leute normalerweise überrascht, denn ich bin meist ein recht fröhlicher Mensch.

Glaubst du, dass Musik das Leben der Menschen wirklich von Grund auf verändern kann? Denn manchmal scheint es mir, dass wir uns in Selbstmitleid suhlen und Musik hören, die uns auf gewisse Weise versteht. Kennst du Bands oder Musikerinnen, die dich wirklich verändert haben? Gibt es Songs, die wie ein Initialfunke waren, der dich zum Umdenken bewegt hat oder dazu, etwas Neues zu beginnen?
Nein, so höre ich keine Musik. Ich weiß auch nicht, ob Menschen sich wirklich verändern können. Ich denke, Menschen geben sich ziemlich viel Mühe und offensichtlich kann man Fortschritte machen. Aber es gibt eine fundamentale Basis dessen, was eine Persönlichkeit ausmacht, und das ist es, wodurch das Individuum sowohl gut als auch schlecht ist. Aber so gehe ich nicht an die Künstler:innen heran, die ich mag. Ich denke, das Größte, das ich von Musik erwarte und wovon ich hoffe, dass die Leute es auch bei unserer Musik finden, ist einfach das Gefühl, nicht allein zu sein. Für mich ist das größte Kompliment, wenn jemand sagt: „Du hast einen Gedanken beschrieben, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn hatte, aber als du ihn ausgesprochen hast, habe ich verstanden, was ich fühle.“ Das ist cool und so nutze ich typischerweise Musik. Ich war nie jemand, der sagt: „Deine Band hat mein Leben verändert.“ Oder:„Danke für deine Musik, sie hat mich gerettet, als ich in einer düsteren Phase war.“ Es ist auch so, dass wir dich nicht unbedingt komplett verändern oder aufheitern können. Wir können dir helfen, durch etwas hindurch zu kommen. Ich vermute nicht, dass Musik etwas Fundamentales oder Greifbares bewirken wird, aber sie sollte dir zumindest dabei helfen, etwas zu fühlen, und vielleicht hilft dir dieses Gefühl dabei, etwas zu bewältigen. Es ist ein eigentümlicher Prozess. Ich wäre sehr überrascht, wenn jemand sagen würde, dass er einen unserer Songs gehört und sich dadurch komplett verändert hat. Auch wenn ich das liebend gerne hören würde.

Was muss passieren, damit wir irgendwann das Album „Love Life“ von SPANISH LOVE SONGS hören?
Das wäre lustig. Sobald ich von mir behaupten kann, dass ich das Leben wirklich lieben würde, stünde dem Album nichts im Wege. Ein Großteil dieses Albums würde davon handeln, dass man lebendig ist und es genießt, weil ich weiß, dass es Zeiten gab, in denen keiner von uns hier sein wollte. Aber wenn ich wirklich zu dem Punkt kommen würde dass ich sage: Ich liebe das Leben, mir ist nichts wichtiger, ich bin super glücklich, alles, was ich je wollte, ist wahr geworden. Dann glaube ich nicht, dass ich noch Musik machen würde. Denn dann würde mir wahrscheinlich der Grund dafür fehlen. Ich weiß nicht einmal, ob ich es überhaupt ansprechen würde, denn ich wäre dann vielleicht wohlhabend und säße in meinem Aufnahmestudio und würde irgendein blödes Lied schreiben, um das sich niemand schert. Oder ich wäre unterwegs und hätte keine Zeit für irgendetwas, weil ich versuchen würde, alles Mögliche zu lernen. Ich weiß es nicht. Ich denke, je länger wir das hier machen, desto unwahrscheinlicher wird ein „Love Life“-Album. Ein Album, auf dem steht: Ich bin glücklich und nichts läuft falsch. Warum erzählst du mir das? Wenn ich ein „Love Life“-Album schreiben wollte, dann wäre es wahrscheinlich einfach House-Musik ohne Texte, nach dem Motto: Los geht’s. Wir sind im Club, wir fühlen es! Ehrlich gesagt würde ich gerne so ein elektronisches Album machen. Das wäre großartig.