SPANISH LOVE SONGS

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Ein Working-Class-Album

Musik machen ist das eine. Sich mit seiner Musik selber zu therapieren, ist jedoch etwas ganz anderes. Nachdem SPANISH LOVE SONGS von der wohl am schwersten zu googlenden Band durch unermüdliches Touren und ihr bemerkenswert ehrliches sowie zeitgemäßes Album „Schmaltz“ zur Lieblingsband gewachsen sind, legen sie nun mit „Brave Faces Everyone“ nach. Es ist mehr eine Verneigung vor Bruce Springsteen als ein wildes Punkrock-Album geworden, womit die Band zum Sprachrohr der Working Class in Amerika werden könnte. Sänger Dylan erklärt uns, wie wichtig es ihm ist, trotz der ganzen Frustration, nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Egal wie oft uns das Leben bis dahin gefickt hat.

Dylan, was hältst du von der Aussage, dass sich die Leute auf euren Konzerten viel mehr in den Armen liegen sollten, anstatt für sich alleine zu feiern?


Solange sie das machen, worauf sie Lust haben, würde ich den Leuten niemals etwas vorschreiben. Es ist wichtig, dass alle ein bisschen mehr auf sich achtgeben und einander nicht den Abend versauen. Dafür sind wir schon da, haha. Unsere Konzerte leben von der Emotion eines jeden Einzelnen.

Ist es für dich nicht irgendwie seltsam, dass die Leute deine durch und durch traurigen Songs mit einem Lächeln im Gesicht mitsingen?

Für uns ist es das Wichtigste, den Leuten zu zeigen, dass sie mit ihren Gefühlen nicht allein sind. Schließlich haben traurige Songs auch eine kathartische Wirkung. Bei mir selbst ist es ja auch so, dass ich grundsätzlich eine positive Ausstrahlung habe und trotzdem diese traurigen Gedanken entwickle. Irgendwie ist das auch das, wofür unsere Band steht. Das Leben ist hart, selbst wenn es nicht immer danach aussieht.

Der Einfluss von SPANISH LOVE SONGS auf dein Leben wird seit der Veröffentlichung von „Schmaltz“ doch gewachsen sein. Schließlich habt in den letzten anderthalb, knapp zwei Jahren allein in Deutschland unzählige Konzerte gespielt.

Wir haben „Schmaltz“ damals ohne jegliche Erwartungen veröffentlicht. Als wir es aufgenommen haben, hatten wir ja nicht mal ein Label. Wir waren einfach ein Haufen Freunde, die das gemacht haben, worauf sie Bock hatten. Von da an war es eine verhältnismäßig langsame Entwicklung bis hin zu den Konzerten, die wir Ende 2019, zusammen mit HOT WATER MUSIC spielen konnten. Als „Schmaltz“ veröffentlicht wurde, waren wir nicht diese hippe, coole Band, von der man Hits am Fließband erwartet. Im Gegenteil! Vielleicht lag es ja ausgerechnet am Bandnamen, aber irgendwie wirkt es für mich, als wären wir für viele Leute viel schwerer zu finden gewesen. Die vielen Konzerte und vor allem auch die Unterstützung seitens unseres Labels Uncle M in Deutschland haben dies jedoch grundlegend geändert. Es scheint, als gehen die Menschen mit unserer Musik anders um. Vielleicht weil sie uns suchen mussten und sie feststellen, dass wir ihnen etwas zurückgeben können. Sollte sich die Entwicklung, die „Schmaltz“ für uns losgetreten hat, mit „Brave Faces Everyone“ fortsetzen, wäre ich damit auf jeden Fall sehr zufrieden.

Kannst du dir erklären, warum eure Musik hierzulande so gut zu funktionieren scheint?

Das hat, wie gesagt, sehr viel mit der Arbeit von Uncle M zu tun, die wirklich keine Gelegenheit ausgelassen haben, „Schmaltz“ zu promoten. Hier in Amerika halten die Leute die Deutschen oft für gefühllos und die Engländer für eher distanziert. Es hat sich herausgestellt, dass in diesen beiden Ländern unsere Musik jedoch am besten angekommen ist. Das ist für uns als emotionale Band sehr kurios und zeigt auf eine Art auch, wie oberflächlich manche Menschen über andere denken. Ich habe den Eindruck, dass es auf der ganzen Welt Menschen gibt, die sehr traurig sind und die schlussendlich einfach nur klarkommen wollen. SPANISH LOVE SONGS können dabei der Ort sein, an dem sich alle treffen und ihre Sorgen abladen.

Ist es nicht genau das, was Musik so besonders macht?

Ja, irgendwie schafft es ja auch der beschissenste Popsong, dass du dich für eine Weile gut fühlst. Es geht darum, den Alltag hinter sich zu lassen und sich abzulenken. Manchmal funktioniert Musik wie eine Droge.

Wie unterscheidet sich die Wirkung von „Schmaltz“ und „Brave Faces Everyone“ voneinander?

Auf „Schmaltz“ ging es hauptsächlich um mich und all das, worüber ich mich zu der Zeit aufgeregt habe. Seitdem haben wir viele unterschiedliche Städte auf der ganzen Welt gesehen und dabei Leute getroffen, die mit ihren eigenen Problemen umzugehen hatten. Daraus sollte meiner Intention nach eine Art Road-Album entstehen, das Geschichten beschreibt, die uns alle auf eine Art betreffen. Mir war es wichtig, durch unsere Musik Empathie auszudrücken. Das haben wir zwar schon immer gemacht, aber dieses Mal sollte sie im Mittelpunkt stehen. Das Leben kann manchmal sehr hart sein. Es tut gut, jemanden zu haben, der dir zuhört und Verständnis zeigt.

Hast du beim Schreiben der neuen Platte zu irgendeiner Zeit auch so etwas wie Erwartungsdruck verspürt? Unter anderem vielleicht auch, weil du die Geschichten der Leute richtig erzählen wolltest?

Um ehrlich zu sein, habe ich darüber nie wirklich nachgedacht, als ich mich nach Beendigung unserer Tour im Juni in meinem Keller ans Schreiben der neuen Songs gemacht habe. Die Ideen, die ich mir im Vorfeld notiert hatte, habe ich alle wieder verworfen und quasi noch mal von vorne angefangen. Irgendwie war mir klar, dass es dieses Mal mehr Leute mitbekommen würden, wenn wir neue Songs veröffentlichen. Das hatte jedoch keinen Effekt auf unsere Arbeit. Und auch wenn wir die größte Rockband aller Zeiten sein wollen, schreiben wir dennoch nur Songs, die wir gerne hören würden. Es geht schließlich in erster Linie darum, dass wir selber mit unserer Musik zufrieden sind. Umso besser, wenn es dann noch ein paar weitere Leute interessiert. Ich habe in der Zeit, als wir enorm viel getourt haben, meinen Job verloren und wollte meine Energie komplett in SPANISH LOVE SONGS stecken. Hoffentlich hat sich die Investition am Ende gelohnt. Für mich fühlt es sich auf jeden Fall so an.

Kommt daher auch der Albumtitel „Brave Faces Everyone“? Egal wie kompliziert die Situation gerade sein mag, irgendwie muss es immer weitergehen.

Die Ursache für viele Probleme ist fast immer Geld. Besser gesagt, ist es unsere kapitalistische Gesellschaft, die mit ihren Werten unser Leben bestimmt. Ich möchte hier nicht zu anarchistisch klingen, aber die Tatsache, dass wir jeden Tag aufstehen und zur Arbeit gehen müssen, um Geld zu verdienen, mit dem wir Dinge kaufen müssen, die uns als bedeutsam verkauft werden, ist komisch für mich. Unser Wohlstand basiert auf Ungerechtigkeit beziehungsweise der Ungleichheit zwischen uns und setzt kapitalistische Werte über das Wohl von Menschen. Es gibt eine Songzeile, da singe ich darüber, dass meine Eltern von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck gearbeitet und sich hauptsächlich darum gekümmert haben, dass wir als Kinder etwas zu essen hatten. Daraus entstand die Sorge um den eigenen Job oder noch krasser: um die eigene Gesundheit. Ich habe große Angst davor, krank zu werden, da es in diesem System für mich schon fast unbezahlbar ist, zum Arzt zu gehen oder mir Medikamente zu leisten. Am Ende bleibt nur die Hoffnung, dass alles nach Plan läuft und wir nicht in schwierige Lebenslagen geraten. Auch davon handeln die Songs auf „Brave Faces Everyone“.

Also ist das Album eine Art Anklage?

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns durch unser Handeln oftmals selbst in unbequeme Situationen bringen. Vieles baut aufeinander auf, bis wir merken, dass wir ein echtes Problem haben. Vielleicht ist „Brave Faces Everyone“ auch der Anstoß, die eigene Situation häufiger mal zu reflektieren und sich bewusst zu werden, dass wir unser Leben grundsätzlich eigentlich selbst in der Hand haben. Und selbst, wenn die Lage doch ausweglos erscheint, sollten wir nicht nur in Selbstmitleid zerfließen, sondern Verantwortung für uns übernehmen und wenigstens mit dem Problem leben. Ansonsten würde es uns nur noch mehr fertigmachen.

Genau in solchen Momenten kann eine Gemeinschaft wie die Punkrock-Szene doch fast schon Wunder wirken. Meinst du nicht?

Auf jeden Fall. Ich wünsche mir, dass Kunst nicht mehr dazu gebraucht werden muss, um uns davon abzulenken, wie abgefuckt das Leben sein kann. Dieses Gemeinschaftsgefühl, von dem ich schon zu Beginn gesprochen habe, entwickelt sich aber vor allem dann, wenn du etwas mit anderen teilst. Und wenn es, wie bei uns, nur die Verzweiflung oder die Wut über die eigene Situation ist, es ist wichtig zu spüren, dass man nicht allein bist. Darum geht es auch irgendwie auf „Brave Faces Everyone“. Das Leben spielt einem manchmal einfach nicht gut mit. Wenn wir es aber akzeptieren, können wir etwas daran ändern.

Auf der neuen Platte singst du in „Self-destruction“: „I know I can’t eat off this paycheck“. Überhaupt haben viele der zehn Songs eine gewisse Working-Class-Attitüde, ähnlich wie bei Bruce Springsteen. Was kannst du mir dazu sagen?

Ich denke, „Brave Faces Everyone“ ist ein Working-Class-Album geworden. Schließlich komme ich selber aus einer Arbeiterfamilie und gehöre immer noch dieser Schicht an, Musiker hin oder her. In diesem speziellen Song geht es um all diejenigen, die in großen finanziellen Schwierigkeiten stecken, obwohl sie einen Job haben. Diese Leute fragen sich dann, wie sie es sich überhaupt noch leisten können, am Leben zu bleiben. Die Mieten steigen, aber deine Bezahlung für einen Job, der dich vielleicht nicht mal glücklich macht, stagniert. Du stellst dir permanent die Frage, was passiert, wenn du gekündigt wirst. Dazu kommt, dass der amtierende Präsident von Amerika vor allem im sozialen Sektor Kürzungen vorgenommen hat. Das erzeugt noch zusätzlichen Druck, den in so einer Situation niemand gebrauchen kann.

Das führt mich direkt zu einer weiteren Songzeile, diesmal aus „Kick“. Kannst du dich noch an die Situation erinnern als dir „The world’s gonna kick you either way“ eingefallen ist?

Der ganze Song dreht sich um diese Zeile. Dabei geht es darum, dass die Welt ein skrupelloser Ort ist, wo niemand Rücksicht auf dich oder dein Befinden nimmt. Es ist ein sehr pessimistischer Song, voller Resignation angesichts von Dingen, die ich nicht ändern kann. Manchmal scheint es, als müssten wir uns angesichts der schlechten Nachrichten, die wir bekommen, geschlagen geben.

Wie autobiografisch sind Songs wie „Beach front property“, in dem es etwa heißt: „Play us some nostalgia songs, cause no one really wants to hear about you anymore“. Das wäre, ehrlich gesagt, doch eine sehr pessimistische Einschätzung eurer momentanen Situation.

Wenn ich das auf die gesamte Welt beziehen würde, träfe das zu. Schließlich sind wir eine unbedeutende Band, die gerade erst ihr drittes Album aufgenommen hat und für die sich kaum jemand interessiert, weil unsere Songs nicht gerade vor Lebensfreude strotzen. Ich gebe dir noch ein anderes Beispiel, mit dem ich unsere Band meiner Meinung nach ganz gut einordnen kann: Wenn wir eine Show spielen, während zur gleichen Zeit eine Emo-Party stattfindet, auf der Songs von TAKING BACK SUNDAY oder MY CHEMICAL ROMANCE gespielt werden, würden sich mehr Leute für diese Party entscheiden.Und das nur, weil es sie an ihre Jugend erinnert. Ich habe es aber satt, bloß in Nostalgie zu schwelgen und von den guten alten Zeiten zu sprechen. Es nervt mich, dass die Leute ein TAKING BACK SUNDAY-Cover von uns mehr abfeiern als unsere eigenen Songs. Diese Songzeile soll auf jeden Fall meine Frustration ausdrücken. Ich bin gerade dabei, Los Angeles zu verlassen, um mich an einem anderen Ort niederzulassen, wo die Mieten nicht so unverhältnismäßig hoch sind und das Leben noch irgendwie bezahlbar ist. In Metropolen wie L.A. hat das Geld mehr Wert als die Menschen, die dort leben. Mir ist aufgefallen, dass eine Menge Leute von diesen Zuständen sehr frustriert sind und sich schlicht übergangen fühlen. Da stellst sich die Frage, warum du überhaupt noch hier bist und ob eine Stadt es wert ist, dass du eine viel zu hohe Miete für deine Wohnung bezahlst. Dazu kommt noch das Problem, dass du dir über die Finanzierung deiner Gesundheitsversorgung Gedanken machen musst, bevor du überhaupt an die schönen Dinge des Lebens denken kannst. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich tot billiger wegkomme, als wenn ich am Leben bleibe.