DROPKICK MURPHYS

London, Garage

Die Bostoner DROPKICK MURPHYS haben sowas wie eine Blitzkarriere hingelegt, die sich liest, wie die geraffte Geschichte einer „normalen“ Punkband: Ende ’96 gegründet, Anfang ’97 das erste Album auf Hellcat, bis heute zwei handvoll Singles auf ungefähr genauso vielen Labels veröffentlicht, sich vom ersten Sänger getrennt, begeisterte Fans allenthalben – und seit dem 17. März, dem St. Patrick’s Day, ist das zweite Album „The Gang’s All Here“ raus, auf dem Al Barr als neuer Sänger seinen Album-Einstand gibt. Ende Februar spielten die Murphys zum Abschluss ihrer Europatour in der einstigen Kapitale des Punkrocks, und Joachim Hiller war vor Ort, um sich auf geschichtsträchtigem Londoner Boden von den Qualitäten der DROPKICK MURPHYS zu überzeugen.

London, Ende Februar – und die Sonne scheint! Ich kann mein Glück kaum fassen, als ich nach einer Stunde in der Tube an der Station Highbury & Islington im Londoner Nordosten ans Tageslicht gespuckt werde. Kurzes Blinzeln im grellen Sonnenlicht, auf der anderen Straßenseite das Venue „Garage“ erspäht und ab in die Seitenstraße, wo der Nightliner des aus US BOMBS, BOMBSHELL ROCKS und DROPKICK MURPHYS bestehenden Tourzirkus geparkt ist. Bis auf Dropkick-Sänger Al Barr und dem Fahrer ist keiner da, verständlich, denn die Shopping-Qualitäten Londons lassen sich auch weitgereiste Punkrocker mit Tourerfahrung nicht entgehen. Ich werfe Al ein „Hi, how are you?“ entgegen, der erwidert „Gut, setz dich doch“ – auf Deutsch! Wie, was, ich bin verwirrt: „Du sprichst deutsch?“ „Ja, aber nur ein bisschen ... “ Ja, von wegen – wie sich im Laufe des Nachmittags erweist, ist Alexander Barr, seines Zeichens Ex-Sänger der Bostoner Oi!/Streetpunk-Legende THE BRUISERS und seit einem Jahr neuer Frontmann der DROPKICK MURPHYS, der deutschen Sprache mehr als nur ein bisschen mächtig. Hungerbedingt machen wir uns erstmal auf, um uns in einem italienischen Restaurant ein paar Meter weiter zu beschnuppern – und wie das manchmal so ist, hängt man schon nach zwei Minuten mitten im Interview, freilich ohne, dass das Diktiergerät läuft. Also flott zwischen Gläsern, Tassen und Teller den Rekorder platziert, um die Basic Facts zu den DROPKICKS auf Band zu bannen:
Die DROPKICK MURPHYS wurden im Dezember ’96 in Boston, im Keller unter einem Friseurladen gegründet, eigentlich nur als Spaßprojekt von Ken Casey am Bass und Rick Barton an der Gitarre. Schlagzeug spielte anfangs ein gewisser Jeff Urner, Sänger war Mike McColgan. Das heißt, zuerst spielte Bill Close von THE FREEZE Schlagzeug, und die Jungs spielten nur Coverversionen von THE CLASH und so. Sie spielten dann als Vorband von THE FREEZE und die Kids waren begeistert. Später kam dann Matt Kelly dazu, der bis heute Schlagzeug spielt. Rick Barton spielt seit 1979 in Bands, war unter anderem bei THE OUTLETS, die in Boston jeder kennt. Für Ken dagegen war es die erste Band. „Ballroom hero“ war dann der erste eigene Song, den die Jungs schrieben, und bei dem Song verwendeten sie bereits einen Dudelsack. Ken und Rick fragten sich damals noch, ob die Leute diese Irland-Connection kapieren bzw. überhaupt bemerken würden, doch wie sich gezeigt hat, ist das mittlerweile zum Markenzeichen der Band geworden.
Nun dachte ich immer, der Dudelsack sei ein schottisches Instrument, doch Al kann’s erklären: „Nun, wir haben zum einen diese schottischen, zum anderen diese irischen Einflüsse. Das Intro von „Do or die“ ist „Scotland the brave“, und ich bin schottisch-deutscher Abstammung. Aber so ist das halt, wenn eine Band was macht, was sie von anderen unterscheidet: da passt Manches nicht ins gewohnte Raster. Abgesehen davon hören Ken, Matt und Rick seit frühester Kindheit Irish Music, sie kommen eben aus irischstämmigen Familien. Dieser irische Einfluss ist also allgegenwärtig, denn das sind einfach die familiären Wurzeln der Band, die sind damit – auch musikalisch – aufgewachsen, bei Hochzeiten, Geburtstagen, Taufen, Begräbnissen und so weiter. Was nun die Band anbelangt, so unterscheiden wir uns von anderen Punkbands dadurch, dass wir außer der üblichen Punk- und Rock’n’Roll-Roots auch noch diese irischen Wurzeln einbringen. Aber wir wissen natürlich, dass wir nicht die Ersten sind, die das gemacht haben, schließlich gibt es die POGUES und noch einige andere mehr.“
Tags zuvor spielte der Dreier-Pack in Dublin, da interessiert mich natürlich, wie die Murphys von den Leuten dort aufgenommen wurden. Al ist immer noch begeistert: „Es war eine phantastische Show. Der Laden war ziemlich klein, ich stand fast die ganze Zeit auf einer Monitor-Box und hielt mich an einer Stange an der Decke fest, weil es so eng und voll war. Und ehrlich, die Leute haben uns abgefeiert. Für uns war das eine echt wichtige Erfahrung, denn es gibt ja doch immer wieder ein paar Leute, die uns vorwerfen, dieses Irische an unserer Musik sei ein Fake. Nach der Show wurden wir bestürmt, doch bald wieder in Dublin zu spielen. Für uns war es beinahe ein religiöses Erlebnis, ehrlich: ich war richtig high, als ich von der Bühne ging. Es war äußerst ermutigend für uns, von waschechten Iren, die seit Ewigkeiten traditionelle irische Musik spielen, gelobt zu werden. Ein größeres Kompliment kann man gar nicht bekommen, denke ich.“
Was das Artwork des neuen Albums anbelangt, so muss man doch sagen, das selbiges etwas militaristisch ausgefallen ist. Al lacht: „Hätte mich ja auch gewundert, wenn du nicht danach gefragt hättest. Ich habe zu den anderen vorher gesagt, dass gerade von den Deutschen Fragen dazu kommen werden. Es soll gar nicht militaristisch wirken, aber ich weiß schon, was du meinst: der Titel „The Gang’s All Here“, die Soldaten, das sieht für Unbeteiligte vielleicht etwas komisch aus. Ken hatte ursprünglich die Idee, eines dieser Werbeplakate für Kriegsanleihen aus dem Zweiten Weltkrieg zu verwenden, aber dann ergab sich die Möglichkeit, dass Almera was für uns macht, dieser mexikanische Grafiker, der viel für Epitaph arbeitet. Was den Titel anbelangt, so ist das ein umgangssprachlicher Ausdruck, den meine Großmutter immer bei Familienfeiern verwendet – eben wenn die ganze Band mal wieder versammelt ist. Aber ich sehe schon, dass das vielleicht nur in Amerika funktioniert, in Europa aber womöglich etwas irritiert. Jedenfalls lag es uns fern, militaristisch wirken zu wollen – und textlich kann man uns da sowieso nichts vorwerfen.“
Lost & Found Records – zwar haben die DROPKICK MURPHYS mit dieser exquisiten Firma aus Hannover nichts zu tun, aber dafür konnte Al mit seiner alten Band THE BRUISERS einschlägige Erfahrungen sammeln, die er auch nicht verschweigen möchte: „Bevor wir ’94 mit MADBALL auf Europatour gingen, bekam ich einen Anruf von einem Typen namens Bernd Granz. Der bot uns an, innerhalb eines Monats unser Album in Europa zu veröffentlichen und Anzeigen zu schalten und der Deal klang gut, sodass wir das am Telefon klarmachten, obwohl mich schon zu diesem Zeitpunkt einige Leute vor Lost & Found gewarnt hatten. Aber es dauerte dann nicht lange, bis ich dieses „Getting fucked before getting kissed“-Gefühl bekam. Irgendwie lief der Kontakt zwischen uns dann sehr schleppend – sie gaben uns Kohle für die Aufnahmen zu „Up In Flames“, alle anderen Aufnahmen bezahlten wir selbst – und wir waren froh, dass sich überhaupt jemand im fernen Europa um uns kümmerte. Tja, ich hatte ja keine Ahnung, dass sich unsere Sachen ganz gut verkauften in Europa, denn am Telefon waren Bernd und Uwe nicht gerade gesprächig. So dauerte es bis ’97, als wir wieder auf Tour kamen und ich persönlich bei ihnen in Wedemark vorbeischaute. Und siehe, es stellte sich heraus, dass sie von uns rund 10.000 Platten verkauft hatten. Ich fragte dann, wo unser Geld sei, worauf sie keine überzeugende Antwort geben konnten. Mir war klar, dass die beiden Typen Arschlöcher sind, und seitdem befinden wir uns im Krieg.“
Die Show am Abend konnte sich dann sehen lassen: das „Garage“, dessen Programm der nächsten Monate sich wie ein Who-Is-Who des Labelprogramms von Epitaph und Fat Wreck liest, war mit rund 500 Leuten ausverkauft, und so gab’s in einem proppevollen Laden, gegen dessen Bierpreise sich die des Düsseldorfer Stahlwerks wie die einer Happy Hour ausnehmen, den Re-Import von ’77er Punkrock durch Schweden und Amerikaner. Den lokalen Opener verpasste ich dann allerdings, denn das Taxi brauchte vom Hotel zum Club dann doch länger als erwartet, so dass ich gerade noch ein paar Takte von BOMBSHELL ROCKS mitbekam. Wie eine knappe Woche zuvor auch schon in Essen gab’s gröligen Streetpunk von vier jungen Schweden, die zum Teil 1977 noch gar nicht geboren waren, was andererseits aber auch kein Stück zur Sache tut. Dann die US BOMBS mit Gesichtsbarracke Duane Peters am Mikro: der Kerl ist sowas von Punkrock, da fällt mir echt gar nichts mehr dazu ein. Die DROPKICK MURPHYS schließlich wurden vom erstaunlich jungen Londoner Punk-Publikum, darunter auch die weniger jungen Leute von THE BUSINESS, von Anfang an abgefeiert. Der Vierer lief mit seiner Mischung aus gröligem Punk und dezent folkigen Einsprengseln, die live allerdings kaum zum Vorschein kommen, trotz nur mäßiger Soundqualität zu Höchstform auf: Schweiß, Pogo, Bier in der Luft, in den Kehlen und auf dem Boden – ja, hier stimmte alles, die perfekte Punkrock-Party, die mit einem seltsamen Medley abgeschlossen wurde, bei dem unter anderem auch AC/DCs „TNT“ verwurstet wurde.