KVELERTAK

Foto© by @vollvincent

Nordische Streitkultur

Von einer abgebrochenen Tour über viel beachtete Online-Konzerte bis hin zu einem neuen Ansatz bei der Albumproduktion – über die letzten drei Jahre KVELERTAK zu berichten, ohne die Pandemie zu erwähnen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Trotzdem ist der Weg zum neuen, fünften Album der Norweger nicht ausschließlich von dunklen Momenten geprägt. Nebenbei offenbaren die Gitarristen Vidar Landa und Maciek Ofstad im Gespräch eine Art von Chemie, die wahrscheinlich viele Bands kennen, aber lieber unter den Teppich kehren.

Outro „Splid“

Knüpfen wir dort an, wo wir beim letzten Mal aufgehört haben: Ende 2019 berichtet Vidar Landa im Gespräch mit dem Fuze über das vierte KVELERTAK-Werk, das erste mit Sänger Ivar Nikolaisen. Im Februar erscheint „Splid“ und kurz darauf beginnt die auf einen langen Zeitraum angelegte Tour zum Album. Dann aber legt die Pandemie die ganze Welt still und die Band muss nach nur wenigen Shows wieder heimreisen und mit sich selbst klarkommen, anstatt Abend für Abend auf ein Meer aus Pommesgabeln zu blicken. Die beiden für Norweger geradezu redseligen und bestens aufgelegten Interviewpartner blicken zurück.


Vidar Landa: Die ganze Situation war surreal. Du spielst eine Show und in dem Moment, wenn du abreist, machen sie hinter dir die Stadt dicht. Schließlich wurden wir eingeholt und mussten nach Hause zurückkehren. Zu Beginn waren wir schockiert, wie der Rest der Welt auch. Wir hatten keine Ahnung, was da auf uns zukommt, also fühlte es sich zunächst nicht so wichtig an, dass wir eine Tournee und viel Geld verloren hatten. Nach einer Weile sind wir alle ein bisschen verrückt geworden. Aber zum Glück konnten wir über neue Musik nachdenken. Wir haben sehr schnell mit Proben begonnen. Die Songs entstanden inmitten dieser sich ständig ändernden Regeln, die bestimmten, wo man sein durfte und wie viele zusammentreffen durften.
Maciek Ofstad: Es war ein harter Schlag, als wir nach Hause mussten. Erst dort haben wir so richtig herausgefunden, was los war. Im Jahresverlauf hieß es dann: Nur ein paar Monate. Dann wurden es noch ein paar Monate. „Aber dann sind wir zurück“, dachten wir. Als 2021 kam, fühlte es sich an wie ein Neustart und dass alles wieder gut werden würde – was es natürlich wieder nicht wurde. Die Pandemie kümmerte sich um keinen Kalender. Irgendwann gingen wir wieder in den Proberaum und die Stimmung war gut. Auf der anderen Seite war da aber auch diese Frustration, dass wir so gut wie keine Shows gespielt hatten – es waren vielleicht 12 oder 13 von insgesamt 280 geplanten Terminen gewesen. Das haben wir mit in den Proberaum genommen und uns von Beginn an dazu gedrängt gefühlt zu schreiben. Eine intensive und merkwürdige Zeit.

Ihr seid damals schnell in den Krisenmodus übergegangen und habt ein vielbeachtetes Online-Konzert veranstaltet. Bei dem zweiten machte sich schon Ernüchterung breit. Ich erinnere mich, dass es unter anderem Schwierigkeiten mit dem Internet gab.
Maciek Ofstad: Hast du das mal im Nachhinein gesehen? Es war ein lustiges kleines Programm in einer absurden Zeit.

Es machte den Eindruck, dass ihr nach dem ersten Konzert voller Euphorie wart. Nach dem zweiten hattet ihr mit dem Format schon wieder abgeschlossen.
Vidar Landa: Oh ja, definitiv. Es war einfach das Einzige, was wir zu der Zeit tun konnten. Also haben wir gedacht: Probieren wir es, haben wir ein bisschen Spaß. Aber ja, es war kein großer Erfolg. Danach haben wir versucht, alles hinter uns zu lassen und uns auf ein Album zu konzentrieren. Diese Gigs haben den Prozess sozusagen eingeläutet.

Denkt ihr, dass „Splid“ die Aufmerksamkeit bekommen hat, die das Album verdient hat, oder ist es nun eine dunkle Episode in der Bandgeschichte.
Vidar Landa: Wenn ich es vom heutigen Standpunkt betrachte, habe ich den Eindruck, dass dieses Album sehr weit gekommen ist. Vielleicht weil wir die ganze Presse bereits vorab gemacht hatten und tatsächlich ein paar Shows spielen konnten, bevor alles geschlossen wurde. Außerdem konnten wir letztes Jahr eine lange, sehr umfangreiche Festivalsaison spielen, insbesondere in Europa und Norwegen. Als wir dann zum Beispiel „Crack of doom“ performten, wurde es wie ein Klassiker gefeiert. Seitdem es wieder losgegangen ist, habe ich nicht mehr den Eindruck, dass „Splid“ kein Erfolg war. Dieses Gefühl hatten wir selbstverständlich nicht, als wir nach 13 Shows die Tour abbrechen mussten.
Maciek Ofstad: Ich stimme Vidar zu. Auch wenn es nicht wie geplant gelaufen ist, nimmt dieses Album trotzdem einen wichtigen Platz in unserem Katalog ein. Und sowieso sind wir sehr stolz auf die Musik.

Intro „Endling“

Okay, diesen Part der Krise haben KVELERTAK also ohne bleibende Schäden überstanden. Allerdings konnte das neue Album aufgrund der Pandemie auch nicht unter den üblichen beziehungsweise bevorzugten Bedingungen entstehen. Während man für „Splid“ noch rockstarmäßig in die USA gereist war, musste das norwegische Sextett sich für „Endling“ ein ganz neues Setup suchen, das für sie funktioniert. Hier spielte ihnen allerdings in die Karten, dass sie über mehr Zeit als jemals zuvor verfügten – beinahe zu viel Zeit, wenn man nicht aufpasst.


Vidar Landa: Wir hatten mehr Zeit, um an allen Aspekten des Albums zu arbeiten. Mehr Zeit, um uns mit den Texten auseinanderzusetzen, mehr Zeit für den Mischprozess und auch mehr Zeit im Studio, aufgrund der Art und Weise, wie wir gearbeitet haben. Wir hatten drei Produzenten, die uns unterstützt haben, also konnten wir von früh morgens bis spät in die Nacht arbeiten. Gegen Ende der Produktion waren wir dem Zeitplan sogar voraus. Nach den Aufnahmen sind wir nach Hause gegangen und waren entsprechend erschöpft. Es war eine sehr intensive Erfahrung, danach hätten wir uns im direkten Anschluss nicht vier Monate lang die Rohmixe anhören können. Aber wir hatten eben auch die Zeit, zunächst Abstand zu gewinnen, bevor der Mixing-Prozess losging.
Maciek Ofstad: Trotzdem sind wir aber eine Band, die mit klaren Deadlines arbeitet. Wir haben das Studio gebucht und wussten, in welchem zeitlichen Rahmen das Album fertig sein muss. Sonst läuft man Gefahr, dass es ausufert. Also allein für unsere geistige Gesundheit mussten wir sagen: Das Album muss bis zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig sein, selbst wenn wir eigentlich alle Zeit der Welt haben.

Spätestens beim ersten Refrain vom Opener „Krøterveg te helvete“ ist sicher, dass KVELERTAK sich auch zunehmend mit Gesangsarrangements beschäftigen. Wird es nicht irgendwann ein bisschen verrückt, wenn man erst Gitarre auf Gitarre türmt und dann auch noch dasselbe mit dem Gesang macht?
Maciek Ofstad: Es erfordert definitiv viel Übung. Mit Ivar und seiner Stimme ist es, als hätten wir dieses neue Spielzeug, das man benutzen kann, um den Klang auf interessantere Weise neu zu gestalten. Beim Aufnahmeprozess haben wir alles live in einem Raum aufgenommen, manchmal mit Ivar, manchmal ohne. In dem Fall wurden die Vocals direkt im Anschluss aufgenommen. Normalerweise nimmt jeder seinen Part auf und am Ende kommt der Gesang. Dieses Mal hatten wir einen kompletten Monat Zeit, um mit Ivar zu arbeiten und um mehr Gefühl für die Tracks zu bekommen. Früher hatte jeder seine 72 Stunden im Studio und das war’s.
Vidar Landa: Es war wichtig für uns, als wir am Album gearbeitet haben, dass ein Song nicht fertig ist, bevor die Gesangslinien und die Texte stehen. Denn in der Vergangenheit war es oft anders. Dieses Mal haben wir viel Zeit im Proberaum verbracht und die Vorproduktion verwendet. Aufgenommen haben wir im Studio in Norwegen, mit Produzenten, die Norwegisch sprechen und von denen jeder noch mal einen anderen Ansatz beim Gesang hatte. Ich denke, der Unterschied zwischen „Endling“ und den früheren Werken ist dadurch hörbar.

Nehmt ihr auch eine musikalische Veränderung von „Splid“ zu „Endling“ wahr?
Maciek Ofstad: Ich denke, der Unterschied besteht darin, dass es in gewisser Weise ein roheres Album ist. Die Tatsache, dass „Splid“ Stück für Stück, „Endling“ aber live aufgenommen wurde und es nur wenige Overdubs gibt, beeinflusst den Klang immens. Wenn ich das Album jetzt höre, wirft mich das in die Zeit zurück, als die Songs entstanden sind. Ich kann spüren, dass da eine gewisse Aggression präsent war, die sich im Prozess aufgebaut und den Klang geformt hat.
Vidar Landa: Ich stimme dir zu, Maciek. Aus unterschiedlichen Gründen herrschte im Studio eine gereizte, fast aggressive Stimmung. Bei uns gibt es immer Streitereien, wenn wir zu lange zusammen sind, und dann entsteht diese Energie. Ich denke, das kann man auf dem Album hören. Die Atmosphäre wurde im Sound wirklich großartig eingefangen, weil er ziemlich wild ist, wie bei den Live-Auftritten. Das ist die Stärke dieses Albums und der Grund, warum es sich von den anderen unterscheidet. Es wirkt weniger kontrolliert.

Ihr sprecht von Spannungen im Studio. Im Pressetext zum Album steht, dass drei Produzenten vonnöten waren, weil einer allein es nicht mit euch ausgehalten hätte. Das klingt nach einem coolen Aufhänger, aber welche Wahrheit steckt dahinter? Seid ihr so starke Charaktere? Seid ihr so unterschiedliche Charaktere? Seid ihr Drama-Queens?
Vidar Landa: Ich denke, von allem etwas, haha. Wenn man ein Album aufnimmt, wie wir es jetzt getan haben, und allen Elementen die nötige Aufmerksamkeit zukommen lässt, braucht man eben diese drei Produzenten. Aber vor allem hat es uns ermöglicht, komplette Tage zu arbeiten und uns zu verschiedenen Zeiten auf verschiedene Dinge zu konzentrieren. Das hat uns sehr geholfen. Wir streiten uns in der Regel nicht über grundsätzliche Fragen. Aber es gibt diese Spannung. Ich denke, diese Band bedeutet jedem von uns sehr viel und dadurch gerät man in eine verwundbare Situation, egal ob wir auftreten oder Dinge aufnehmen. Es bedarf sehr wenig, dass wir untereinander einen rustikalen Ton anschlagen. Das ist der Funke, der wichtig für diese Band ist. Würden wir den verlieren, wäre uns die Band wahrscheinlich gleichgültig. Aber natürlich ist das manchmal auch extrem erschöpfend.
Maciek Ofstad: Zumindest im Prozess, in dieser Blase, ist es wichtig für uns reizbar, aber eben auch verletzlich zu sein. Wenn du die Songs abspielst, merkst du, dass die Spannung der Klebstoff ist, der sie zusammenhält. Ohne sie würden wir ein langweiliges Album machen. Es ist wichtig, dass jeder versucht, das Beste zu geben, zu dem er imstande ist. Mit diesem grundlegenden Gefühl sind wir überhaupt erst eine Band.

Ihr streitet euch, diskutiert und es gibt Spannungen, aber wart ihr jemals an dem Punkt, an dem jemand hinschmeißen wollte?
Maciek Ofstad: Ich war definitiv schon an dem Punkt, an dem ich gesagt habe: Ich kann dieses Riff nicht mehr so spielen. Es geht einfach nicht mehr. Aber im Grunde sind wir eine sehr stabile Truppe.

Eine einfachere Frage zum Abschluss: Es gibt ein Logo, fünf Typen in T-Shirts und einer in Lederjacke sowie eine Eule. Hattet ihr jemals das Bedürfnis, das Bild von KVELERTAK neu zu gestalten?
Vidar Landa: Wer weiß, was wir in der Zukunft machen werden. Aber ich denke, wie bei diesem Album alles zusammenkam, war es von Anfang an Teil des Konzepts, einige der visuellen Elemente beizubehalten. Ich mag es, dass eine Band etwas hat, wodurch sie leicht wiedererkannt werden kann. Das ist etwas, das ich bei anderen Bands schätze. Wenn wir eine großartige Idee hätten, würden wir das wahrscheinlich auch umsetzen. Aber ich sehe keinen Grund, nur aus Spaß an der Sache, eine Veränderung herbeizuführen. Es muss von irgendwoher kommen.
Maciek Ofstad: Wir versuchen uns nicht neu zu definieren, sondern alles voranzutreiben und zu sehen, wie weit wir die Dinge bringen können. Der einzige Grund, warum wir das hier tun, besteht darin, die Dinge für uns selbst interessant zu halten, sowohl musikalisch als auch visuell und textlich. Doch mit dem Logo sind wir genauso zufrieden, wie es ist.