MANTAR

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Einmal in die Neunziger und zurück

Ein gutes Cover zu spielen ist eine Kunst. Allzu häufig wird ein Stück eins zu eins nachgespielt, was die Frage nach der Sinnhaftigkeit aufwirft. Niemand braucht eine weitere Version eines Liedes, das bereits in dieser Form existiert. Ein weiterer Ansatz ist, komplett gegensätzlich, ein Lied bis zur Unkenntlichkeit zu verfremden, bis einzelne Teile des Originals kaum noch erkannt werden. Die beste Methode und gleichzeitig die Königsdisziplin ist es aber, den Kern eines Songs in den eigenen Sound zu verpacken und wiederzugeben. Johnny Cash konnte das nahezu perfekt. Ein weiteres gelungenes Beispiel ist die NOFX/RANCID-Split-12“ auf BYO Records. Und ganz bestimmt gehört zur letzteren Sorte nun auch MANTARs „Grungetown Hooligans II“. Ein Minialbum voller Coversongs.

Wir haben uns, gerade weil der Begriff Grunge schon früher so megaalbern war, für den völlig beschissenen Titel entschieden, um das Klischee noch mal zu unterstreichen. Deshalb auch der Teil II. Da es keinen ersten gibt. Das ist nicht ernst gemeint. Es wäre ja auch bekloppt einem Coveralbum einen ernsthaft guten Namen geben zu wollen.“ Erklärt Hanno von MANTAR.

Es scheint nur konsequent, den einmal eingeschlagenen Weg der maximalen Unabhängigkeit nach drei Studio-Alben, Livealbum und einer EP weiter zu gehen. Da ist es der nächste logische Schritt, diese EP auf dem neugegründeten bandeigenen und gleichnamigen Label zu veröffentlichen. „Der DIY Gedanke ist uns eben gut vertraut“, sagt Sänger Hanno und führt weiter aus: „Wir dachten, bei diesem Release ist keine große Welle nötig. So entstand der Plan, es selber zu machen. Was wir übrigens mit 7“ und Tapes schon immer so gehandhabt haben.“ Der Inhalt dieses Werkes dürfte allerdings für diejenigen, die die Band vornehmlich als Metal-Band wahrnehmen, etwas überraschen. Es werden eben nicht METALLICA, SLAYER, noch nicht mal die MELVINS, denen MANTAR soundmäßig vielleicht am nächsten stehen, oder Hannos Lieblingsband AC/DC gecovert, sondern die Helden des Duos aus der eigenen Jugend.

Dazu gehören MUDHONEY, L7, die gleich mit zwei Songs vertreten sind – „Weil die einfach geil sind und „Hungry For Stink“ eine unglaubliche Hitdichte hat.“ –, BABES IN TOYLAND, THE JESUS LIZARD, MAZZY STAR und SONIC YOUTH. Allesamt Einflüsse, die bereits auf dem Debüt „Death By Burning“ ein wichtiger Teil von MANTAR waren. Der Ursprung reicht weit zurück in die Vergangenheit. MANTAR-Drummer Erinc drückte eines Tages dem deutlich jüngeren Hanno, das war Mitte der Neunziger im Wehrschloss, einem Jugendclub in Bremen und das Zentrum einer lebendigen Musikszene, wo die beiden Mitglieder von MANTAR sich zum ersten Mal begegneten, ein Mixtape in die Hand, das offensichtlich nachhaltig Eindruck hinterlassen hat.

Gerade deswegen nähert sich „Grungetown Hooligans II“ mit großen Respekt den größtenteils knapp 30 Jahren alten Songs, von denen übrigens mehr als die Hälfte im Original von Frauen gesungen werden. „Das war absolut Absicht“, beteuert Hanno, „ich hatte, bevor ich besagte Bands auf Kassette von Erinc bekam, überhaupt keine Berührungspunkte mit wirklich harten Bands, die aus Frauen bestanden. Das hat mich enorm beeindruckt. Die Aggression, Message und Kompromisslosigkeit von Bands wie BIKINI KILL, BABES IN TOYLAND, 7 YEAR BITCH und L7 ist bis heute unerreicht.“

Dieser kompromisslose Kern, den Hanno beschreibt, ich nenne es – in Ermangelung eines besseren Wortes – das „Gefühl“ dieser Zeit, bleibt auf dem Mini-Album durchgängig erhalten. „Ghost Highway“ von MAZZY STAR behält zum Beispiel das markante, immer wiederkehrende Picking, wird ansonsten aber deutlich härter gespielt. Ähnlich verhält es sich mit „100%“ von SONIC YOUTH, das man im Gegensatz zu MAZZY STAR nicht gleich beim ersten Hören erkennt. Die Produktionstechnik war zu dieser Zeit längst nicht auf dem heutigen Stand und häufig klangen die Bands nach den Garagen, in denen sie entstanden waren. Da ist es nur konsequent, dass Hanno die Songs dieser EP im heimischen Wohnzimmer alleine aufgenommen hat. „Ich verfüge in meinem Haus in Florida über einiges an Equipment, somit war die EP ein guter Testballon, um noch einen Schritt Richtung Unabhängigkeit zu gehen. Die Drums haben wir dann aber sicherheitshalber in Hamburg im Studio aufgenommen und den Rest bei mir zuhause. Ich finde, Homerecording fördert die Kreativität und bringt Platten hervor, die eben nicht nach Stangenware, sondern oft besonders klingen.

Das Genre Grunge, auf das der Albumtitel offen angespielt wird, bewegte sich anfangs im Spannungsfeld zwischen Punk und Metal, mit einem Schuss Pop und hin und wieder einem ruhigen Stück. Kleingeister mögen sagen, L7 waren nie Grunge, sondern eine Punkrockband. Und SONIC YOUTH nichts von beidem. THE JESUS LIZZARD fanden, außer auf einer Split-Single mit NIRVANA, nie im Grunge-Kontext statt. Das mag alles stimmen, bringt uns aber nicht weiter. Was alle Bands eint, ist die Zeit, aus der die Originalsongs stammen, und der Klang, zwischen rotzigem, schnellem Punk und der Härte von Metalbands, ohne jemals Metal zu sein. Vielleicht bewegten sich die Originale stilistisch eher in Richtung Punkrock und MANTARs Versionen gehen aufgrund der Härte einen Tick mehr Richtung Metal. Hanno weiß um diesen Umstand und behauptet: „Natürlich ist das alles Punkrock. Das wissen wir und werten es auch als eben das.“

In der Musik der damaligen Zeit schwang stets eine Haltung mit, und selbst wenn diese nicht explizit ausgesprochen wurde, so wurden doch bestimmte Werte als allgemeingültig anerkannt. Das manifestierte sich im durch eine ordentliche Portion Wut getragenen Sound. Im Jahr 1990 schien sich diese Allgemeingültigkeit allerdings langsam zu verflüchtigen. Nicht nur waren NEW KIDS ON THE BLOCK angesagt, in den USA teilten sich von Juli bis Dezember tatsächlich nur die jeweiligen Alben von VANILLA ICE und MC HAMMER den ersten Platz der Billboard Charts. Zwei Künstler, die Hanno durchaus zu schätzen weiß: „Skateboards, Pepsi, Michael Jordan, Parker Lewis, ... – die frühen Neunziger waren eine tolle Zeit, um Kind zu sein. Ich vermisse all das sehr.“ Im gesamten Jahr erreichte kein Album, das auch nur ansatzweise zum Genre Rock gezählt werden könnte, die Spitze der Charts. Das bestverkaufte Album kam von Janet Jackson. Wer also Anfang der Neunziger, zumindest in Amerika, auf dreckigen Rock’n’Roll stand, war ein Außenseiter und grenzte sich vom Mainstream und dessen Verhaltensweisen ab. Hip Hop und Rap, selbst noch nicht vollständig im Mainstream angekommen, begannen ihren Siegeszug, selbst wenn sich die Wahrnehmung bereits ein Jahr später zu ändern schien, wie Hanno anmerkt. „Ich gebe zu bedenken, dass bereits 1991 VAN HALEN, GUNS N ROSES, METALLICA, SKID ROW und so weiter megadick in den Charts waren. Im Januar 1992 kam dann auch bereits „Nevermind“. Eigentlich ging es Rock in Amerika nie besser als Anfang der 90er Jahre.“

Nichtsdestotrotz hatte der Siegeszug von Hip Hop und anderer schwarzer Musik begonnen. Die frühen Neunziger waren ein letztes Aufbegehren von Punk und Garagenrock, gespielt von Kids, die nicht zum Rest passten oder passen wollten. Eine eruptionsartige Gegenreaktion, die sich auf den Schulhöfen, im Radioprogramm und in den Charts abspielte. Der aggressive, teilweise nihilistische Sound dieser Bands traf den kollektiven Nerv jener Jugendlichen, die sich abgrenzen wollten.

„Grungetown Hooligangs II“, das Ende Juni erscheint, klingt für mein Empfinden aufgrund der Direktheit und Ehrlichkeit der Aufnahme, frischer und jedenfalls aktueller als die Originale. MANTAR gehen mit dem Release dieses Minialbums einen Schritt zurück, weil sie ihr eigenes Schaffen offiziell in einen anderen Kontext stellen, und gleichzeitig ist es der nächste Schritt nach vorne, weil sie sich aus einer Szene befreien, die die Band zwar willkommen geheißen und aufgenommen hat, aber nicht (mehr) alleine für sich beanspruchen kann. MANTAR sind damit so frei wie nie zuvor.