MANTAR

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Keine Kompromisse

Es stellte sich ziemlich früh heraus, dass aus mir kein passabler Musiker werden würde, nicht mal ein mittelmäßiger Gitarrist. Trotzdem blieb Musik ein wichtiger Teil meines Lebens, auch nachdem der Rockstartraum mit Anfang zwanzig ausgeträumt war. Stattdessen konzentrierte ich mich auf Radiomoderation, Labelarbeit, DJ-Abende, DIY-Konzertveranstaltungen und später aufs Schreiben. In diesem Zusammenhang lernte ich Hanno, Sänger und Gitarrist von MANTAR, vor Jahren kennen. Seltsamerweise lief mir Drummer Erinc nie über den Weg, obwohl das in einer Stadt wie Bremen kaum möglich ist. Erst viel später, im Zuge der ersten MANTAR-Veröffentlichungen, lernten wir uns kennen. Vielleicht lag es daran, dass er bis heute von den beiden Bandmitgliedern der ruhigere ist.

Es war von Anfang an klar, wenn es jemand aus dem Bremer Punkrock-Dunstkreis schaffen sollte, von der Musik zu leben, dann war es Hanno. Ich weiß nicht, in wie vielen Bands er als Kopf oder „angestellter“ Musiker spielte. Doch stets hatten sein Gitarrenspiel und seine Art zu texten etwas Direktes und Drängendes. Zwei Attribute, die heute die Musik von MANTAR ausmachen. „Hinter dieser Band stecken in den letzten vier Jahren mehr Arbeit, Fleiß und Leidenschaft, als den meisten bewusst sein mag“, stellt Hanno selbstbewusst fest und fügt nachdenklich hinzu: „Die Leute denken gern, MANTAR sei ein Zufallserfolg, ein Glückstreffer.“ Aber der Erfolg von MANTAR ist das Ergebnis von harter Arbeit und ich kenne niemanden, der mehr in seine Musik investiert hat als Hanno und Erinc.

Von Bremen führte der damalige Brotjob Hanno zunächst nach Hamburg, später die Liebe nach Gainesville, Florida, der Heimat von Tom Petty, HOT WATER MUSIC und AGAINST ME!, No Idea Records und der Veranstaltung The Fest. Mit all dem haben MANTAR wenig gemeinsam, außer dass sie bereits auf dem Festival gespielt haben. Bei genaueren Hinschauen ergeben sich aber doch Parallelen. MANTAR pflegen einen ähnlichen DIY-Style wie das Plattenlabel aus Florida, sind mehr Punkrock, als man ihnen im ersten Moment anhört, und sind trotzdem interessiert an versteckten Melodien. Wie sie sich auch auf dem neuen Album „The Modern Art Of Setting Ablaze“ erst nach mehrmaligem Hören herauskristallisieren. Mit dieser Meinung stehe ich laut Hanno allerdings alleine da. „Ich persönlich finde die Melodien deutlich prägnanter als auf den Vorgängeralben. Das ist aber nur meine Feststellung. Insgesamt höre ich von vielen Seiten, dass die Songs eingängiger und das Songwriting besser geworden ist. Die Härte ist vielleicht gebündelter und ufert nicht mehr so krass aus, sondern ist eben eher in Drei- bis Vier-Minuten Portionen direkt auf die Fresse. Ich bemühe mich stets, gute Songs zu schreiben, und ich denke, es ist uns mit der neuen Platte wirklich gelungen, endlich konsequent nur unsere Stärken auszuarbeiten und uns alles andere komplett zu sparen.“

Es ist nicht abzustreiten, dass MANTAR früh von der Metal-Szene vereinnahmt wurden. Dabei wäre der Sound des Debüts „Death By Burning“ in den frühen Neunziger Jahren noch mit „Alternative“ beschrieben worden, als dieses Genre eine unvermeidliche Heavyness aufwies, bevor die Musik aufgeweicht und massenkompatibler wurde. Im MANTAR-Sound steckte anfangs eine gute Portion Seattle. Mit „Ode To The Flame“ folgte ein eher (US-)Punkrock-beeinflusstes Werk. Nicht nur, aber auch wegen der an DEAD KENNEDYS angelehnte Textzeile in einem der Songs: „Death über alles“. Nun liegt das dritte Album vor. Gemeinhin das Schwerste, welches die Richtung für das weitere Schaffen vorgibt, bei dem der Sound sich festigt und auf Ideen einer stürmischen Anfangszeit nicht mehr zurückgegriffen werden kann. Auffallend ist zudem, dass MANTAR zum dritten Mal in Folge für den Titel ihres Albums eine Referenz zu Feuer benutzten. „Feuer ist ein geiles Element. Konsequent, kompromisslos, kein Platz für andere Elemente daneben. Nach einem ordentlichen Feuer ist erst mal Schicht. Der Gedanke gefällt mir gut. Eben auch im philosophischen Sinne ... Die Macht alles zu resetten und auf Null zu setzen. Ein Feuer hat ja nun mal eine unbestreitbare reinigende Kraft. Katharsis. Neubeginn. Leben. Tod. Außerdem hatte ich den Albumtitel schon eine Weile im Kopf, bezogen auf den künstlerischen Überbau der Platte. Der Titel ist eine Bestandsaufnahme der heutigen Zeit, vergangener Zeiten und der Unbelehrbarkeit der Menschen.“

Zu behaupten, MANTAR erfinden sich mit diesem Album komplett neu, wäre eine Übertreibung. Wohl aber wurde weiter am Gesamtgerüst gefeilt. „The Modern Art Of Setting Ablaze“ ist vielleicht das bisher härteste Album des Duos. Die Musiker sind endgültig in der Szene angekommen, von der sie bisher die meiste Aufmerksamkeit erhalten haben. Zu Beginn vermieden MANTAR es, ihre Musik einem Genre zuzuordnen. Sie ließ lediglich verlauten: Don’t call it Sludge. Obwohl wahrscheinlich dieses Wort die Musik am besten beschrieb. Mittlerweile bezeichnet sich die Band, was die Ausrichtung angeht, als Extreme-Metal-Band, will aber „einfach nur so hart und intensiv, wie möglich spielen“.

Als ich Hanno kennen lernte, hatte er keine Ruhe in sich, war immer auf dem Sprung und hatte alle paar Monate ein neues Projekt gestartet oder zumindest eine Idee, was er als Nächstes machen wollte. Mit jeder Band, bis hin zu MANTAR, wurde seine Musik rauher und härter. Gleichzeitig fing er an, mehr in sich selber zu ruhen, differenzierter zu wirken und an einen Punkt zu kommen, an dem ihm vieles gefiel. Dem stimmt Hanno nur zur Hälfte zu: „Ich weiß nicht, ob ich ruhiger und ausgeglichener bin. Ich bin ein stressiger und nervöser Typ. Grundsätzlich. Allerdings kämpfe ich nicht mehr so viele Kämpfe wie früher. Ich nehme mich nicht mehr allem und jedem an. Ich verweigere mich mehr. Ich bin keinesfalls ein Misanthrop, aber ich entferne mich doch immer deutlicher vom Konzept ,Stadt‘ und von vielen Menschen, die auf engem Raum miteinander zu leben versuchen.“ Etwas von seiner Rastlosigkeit ist tatsächlich geblieben. Zwei Tage nachdem er mir das neue Album schickte, meldete er sich und wollte wissen, was ich dazu sage. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich erst ein paar Durchläufe hinter mir, wunderte mich über das ruhige Intro mit der Akustikgitarre, fühlte mich von der darauffolgenden Wucht aber zu überfordert, um eine vorschnelle Bewertung vorzunehmen. Sobald es um die Band geht, brennt Hanno weiterhin, will alles unter Kontrolle behalten und ist ständig bereit Kritik auszudiskutieren.

Ein paar Tage später schickte er mir das zukünftige Coverfoto. Ein Bild mit dem Titel „Der Lichtbringer“. Mein erster Gedanke war: Wahnsinn. Was für eine geniale Idee, ein Relief aus der Bremer Innenstadt zu nehmen. Wie passend für eine Band, die ihr Bremersein immer betont und aktiv nach außen trägt. Wie die meisten Bremer sind Erinc, Hanno und ich hunderte Male an diesem Kunstwerk vorbeigegangen. Nie habe ich mir Gedanken über den Ursprung oder die Bedeutung gemacht. Da ging es mir nicht anders als Hanno, der sich irgendwann fragte, woher das Bild überhaupt stammte. „Das Motiv läuft einem in Bremen dauernd über den Weg und ich war schon immer davon fasziniert. Ich habe mich gefragt, was hat das mit der Stadt zu tun. Ganz abgesehen davon, dass das Bild total Metal ist. Ich meine, ein Typ, der mit einem Schwert gegen ein Monster kämpft! Mehr Metal geht ja kaum. Erst danach habe ich den historischen Kontext recherchiert, wie den meisten war mir der Ursprung des Kunstwerkes nicht bekannt. Das Bild hängt mitten in der Stadt und blieb achtzig Jahre lang unkommentiert. Warum hat dagegen keiner interveniert? Stattdessen wurde der historische Kontext irgendwann umgedeutet, weil die Menschen sich nicht mit der ursprünglichen Bedeutung auseinandersetzten wollten.“ Für diesen Text nahm ich mir vor, darüber mit Hanno zu sprechen, recherchierte und war schnell erschrocken. Das Kunstwerk von Bernhard Hoetger sollte den Sieg des Führers über die Mächte der Finsternis darstellen. Die Nazis werteten Hoetgers Schaffen allerdings als entartet und schlossen den Künstler aus der NSDAP aus. Nach dem Krieg wurde der Sinn umgedeutet und in der Gestalt der Engel Michael gesehen. „Na ja, die Menschen wollten wohl eher etwas anderes darin sehen. Sie wussten nach dem Krieg ganz genau, was Sache ist.“

Um langwierigen Diskussionen vorzubeugen, ließen MANTAR auf den sozialen Plattformen, nachdem das Coverfoto öffentlich gemacht wurde, ein langes Statement folgen, um die künstlerische Intention dahinter zu verdeutlichen. Sicherlich machen es sich MANTAR mit der Entscheidung, ausgerechnet dieses Bild als Cover zu verwenden, nicht leicht. „Der ,Lichtbringer‘, der für genau die menschliche Fehlprogrammierung steht, immer wieder auf falsche Führer und Propheten reinzufallen, ist sicher als Coverartwork vergleichsweise unkomfortabel und verschreckt im Zweifel mehr Leute, als dass es sie begeistert. Aber egal wie man es dreht, dieses Kunstwerk ist einfach die Verkörperung unserer Zeit. Denn wir werden täglich Zeuge von der ,Modern Art Of Setting Ablaze‘. Den Bränden in den Köpfen, den Herzen und in den Händen. Dass in Deutschland, wie in vielen anderen europäischen Ländern, extreme Hetzer und Brandstifter Reden schwingen und leider auch mitreden können, ist nur Symptom des eigentlichen Problems: Die grundsätzliche Tendenz, sich in eine hysterische Masse zu verwandeln und sich jeglicher persönlicher Verantwortung zu entledigen! Die Wahl des Covers folgte ganz bewusst, denn ich hätte kein besseres Kunstwerk oder Bild finden können, welches die momentane Lage besser zum Ausdruck bringt.“

An diesem Punkt verbinden sich Covermotiv und Albumtitel und die Texte auf dem Album. Wir leben in gefährlichen Zeiten. Die Menschen sind wieder (oder immer noch) bereit, sich Feuer in den Köpfen legen zu lassen und erneut ins Verderben zu gehen. Geschichte kann sich wiederholen. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Das Einzige, was wir dagegen tun können, ist für uns selber zu denken und uns nicht verführen zu lassen, sondern Handlungen und Ereignisse zu hinterfragen.

MANTAR wollen eine Band für alle sein. Für alle, die harte Musik zu schätzen wissen, für jeden, der über den Tellerrand zu schauen fähig ist, für jeden, der die positive Kraft des Destruktiven richtig zu deuten weiß. Wer diesen Weg nicht mitgehen will, ist frei sich etwas anderes anzuhören, andere Bands gut zu finden oder jemand anderem bei Facebook, Twitter oder Instagram zu folgen. MANTAR wollen und können sich damit nicht aufhalten. Sie wollen keiner Szene angehören, keine Kompromisse eingehen, sich nicht vereinnahmen lassen. MANTAR wollen schlichtweg die möglichst härteste und düsterste Rock-Platte aufnehmen, die härtesten und düstersten Konzerte spielen und eine Freude an Radikalität leben, um daraus etwas Neues entstehen zu lassen. „Egal was du tust, Musik muss immer zu einem gewissen Grad simpel bleiben. Sonst funktioniert es nicht und der Song als solcher geht verloren.“ MANTAR sind auf dem richtigen Weg.