D.O.A.

Punk aus der Elterngeneration

Seit 20 Jahren mischen D.O.A. aus dem kanadischen Vancouver mittlerweile in der internationalen Punkszene mit, haben Trends kommen und gehen sehen und sind sich selbst dabei doch die meiste Zeit treu geblieben. Nach einem kurzen, enttäuschenden Ausflug in Majorgefilde – das letzte Album erschien via Virgin – hat sich die Band um das einzig verbliebene Originalmitglied Joey „Shithead“ Keithley wieder auf ihre Wurzeln besonnen, das bandeigene Plattenlabel Sudden Death reaktiviert und die Geschicke selbst in die Hand genommen. „Festival Of Atheists“ heisst das neue, ihr zehntes Album, hierzulande ist es auf Musical Tragedies erschienen, und vor der Show im Zentrum Altenberg in Oberhausen sprach ich mit Joey über Vergangenheit und Gegenwart.

„Eine kurze Zusammenfassung der D.O.A.-Story willst du? Kannst du haben!“ Und schon schießt der Mann, dem man seine 41 Jahre nur begrenzt ansieht, los: „Wir gründeten die Band im Februar 1978 – wir, das waren seinerzeit Chuck Biscuits, der heute bei SOCIAL DISTORTION spielt, Randy Rampage und ich. Tja, und seitdem sind zehn Studioalben entstanden, mit den Singles-Compilations und Livescheiben sind es sogar 15, insgesamt haben wir über 30 Platten gemacht. In den 20 Jahren gab es diverse Besetztungswechsel, aber die ersten acht Jahre blieben wir in der Originalbesetzung zusammen. Heute bin nur noch ich dabei, denn Wimpy, der seinerzeit von der kanadischen Punklegende SUBHUMANS zu uns wechselte und 14 Jahre dabei war, ist kürzlich ausgestiegen und hat sich von der Punkszene verabschiedet.“
Wie viele Amerika-Touren D.O.A. in all diesen Jahren gemacht haben, daran kann sich Joey nicht mehr genau erinnern, aber er weiß, dass es rund 2.000 Konzerte sind, die er bis heute gespielt hat, und allein sieben Mal wagten D.O.A. den Sprung über den Atlantik. „Erstmals ’84, dann ’85, ’90, ’93, ’94, ’96 und jetzt ’98“ – der Mann hat ein gutes Gedächtnis und zögert keine Sekunde bei der Aufzählung der Jahre, in denen seine Band auf europäischen Bühnen stand. Auch in Australien und Neuseeland spielten sie, absolvierten rund 150 Auftritte auf Benefiz-Festivals, und, und, und – die Geschichte einer zu „lebenslänglich“ verurteilten Punkband, die ihre Credibility über all die Jahre nie eingebüsst hat. „Du lachst über die Zahlen“, meint Joey, „Ich weiß, ich klinge wie ein Buchhalter, aber angesichts unseres „Jubiläums“ habe ich mir das alles mal aufgeschrieben. Noch eine gefällig? Wir haben ’95 mal ausgerechnet, dass wir bis dahin mit unseren Tourkilometern ungefähr 15 mal die Welt umrundet haben.“
„Lebenslänglich“ – Joey selbst hat diesen zweischneidigen Begriff gebraucht, der ja zum einen suggeriert, dass man von sich aus keine Chance hat, diesem Schicksal zu entgehen, zum anderen, dass man sich irgendwann damit abgefunden hat. „Als wir die Band gründeten, hätte ich natürlich niemals gedacht, dass ich das so lange machen würde“, erzählt Joey. „Anfangs waren fünf Jahre eine realistische Größe, doch dann merkst du, dass dir die Sache in den Knochen steckt, dass du davon nicht mehr loskommst – und so geht es, das stelle ich in Gesprächen mit Leuten fest, die auch schon seit Jahren dabei sind, auch anderen. Punk ist eben mehr als eine Phase, die man als Fünfzehn- oder Sechzehnjähriger durchmacht. Und überhaupt, dieses Geplapper von „Punk’s dead“, das ist doch Blödsinn. Warum auch? Punk ist heute ein Musikgenre neben vielen, wie Blues oder Jazz auch, und da sagt auch keiner, es sei tot.“
Punk ist nicht tot, das stimmt, doch ist Punk für einen gestandenen Mann mit 41 das gleiche wie für jemanden, der gerade 18 geworden ist und den die Schule ankotzt, der mit seinen Eltern nicht klarkommt und der sich wegen seines Aussehens in der Öffentlichkeit rechtfertigen muss? „Ganz klar, Punk ist eine Musik, ist eine Bewegung, die von der Rebellion der Jugend getragen wird, und das war es damals auch, was mich zu Punk brachte. Natürlich spielte es auch eine Rolle, dass ich ’76, ’77 bei meinen ersten Punkkonzerten das Gefühl hatte, es hier wirklich mit lebendiger Musik zu tun zu haben – als ich die erste RAMONES-Platte hörte, wusste ich, dass das was Besonderes ist. Was mich immer besonders fasziniert hat, ist die nihilistische Seite des Punkrock, wie sie Sid Vicious personifizierte, nicht zu vergessen der politische, rebellische Aspekt von Punk. Der wiederum ist jedoch nichts, was Punk neu erfunden hat, denn Rockmusik hatte schon immer diese Wirkung. Und man kann sogar bis zu den Zeiten der Minnesänger zurück gehen, die im Mittelalter durch Europa zogen und in ihren Texten politische Inhalte transportierten, die oft den Mächtigen nicht passten. Später waren es dann die Surrealisten oder die Jazz-Community der Zwanziger und Dreißiger, durch die sich das Establishment bedroht fühlte – oder der Blues, die Musik der unterdrückten Schwarzen Nordamerikas.“
Und Joey doziert weiter – ich habe keine Chance, aber auch gar nicht das Bedürftnis, den eloquenten D.O.A.-Frontmann zu unterbrechen: „Je größer eine Szene aber wird, desto größer wird die Gefahr, dass von Seiten der Industrie, von Seiten des Establishments der Versuch unternommen wird, die Sache für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Das beste Beispiel hierfür ist Elvis Presley – klar, der hatte Talent, der war gut, aber niemand kann bestreiten, dass er massiv von der Musikindustrie aufgebaut wurde. Aber um auf’s Thema zurück zu kommen: Als Teenager war ich in der Protestbewegung gegen amerikanische Atomtests auf den Inseln vor Alaska aktiv, ich hörte Jimi Hendrix, Bob Dylan und Woody Guthrie, hatte den ganzen Vietnamkrieg im Fernsehen mitbekommen – damals, als der Krieg im Fernsehen noch echt war und nicht durch die Zensurfilter von CNN lief. Und das prägte mich maßgeblich.“
Protest, Auflehnung gegen die Eltern – eine Erfahrung, die Joey auch aus der Perspektive der Autorität nicht mehr unbekannt ist, hat der Mann doch mittlerweile selbst drei Kinder im Alter von zehn, acht und einem Jahr. Joey: „Manchmal ist es schon schwer ruhig zu bleiben, wenn meine achtjährige Tochter mich mit den SPICE GIRLS foltert, aber ich versuche dann nicht den Fehler meines Vaters zu machen, der Punk und Musik allgemein hasste. Wir probten nämlich bei uns im Haus in meinem Zimmer, und mein Vater besaß die Frechheit, unten im Wohnzimmer einen Schalter zu installieren, mit dem er uns den Strom abdrehen konnte, wenn wir zu laut wurden, haha.“
Als politischer Mensch hat Joey schon immer auch textlich und in seinen Ansagen auf der Bühne klar Position bezogen zu den unterschiedlichsten aktuellen Themen, doch wo andere Bands bzw. Musiker es beim verbalen Austeilen belassen, wurde er auch persönlich aktiv. So ließ er sich vor Jahren für die „Grünen“ in seiner Heimatstadt als Kandidat aufstellen, als es darum ging, einen städtischen Wald vor dem Abholzen zu bewahren. „Ich ließ mich dazu überreden, für das Provinzparlament zu kandidieren“, erzählt Joey, „wobei man sehen muss, dass die Grünen in Kanada gerade mal auf dem Stand sind, den die Grünen in Deutschland vor zwanzig Jahren hatten. Das Problem ist einfach, dass Umweltthemen heute in der politischen Diskussion in Kanada kaum noch eine Rolle spielen, da geht es nur um Jobs und den möglichen Austritt Quebecs aus dem Bundesstaat.“ Mit dem „Loggerheads“-Album von ’93 bzw. der Single „The only thing green“ traten D.O.A. seinerzeit vehement gegen die Abholzung des Regenwaldes in der Clayoquot-Sound-Region ein – ein vordergründig durchaus erfolgreiches Engagement, aber mit Folgen, wie Joey erzählt: „Die Holzkonzerne haben schnell kapiert, dass der Erfolg der Anti-Abholzungskampagne auf der Zusammenarbeit von Umweltschützern und Ureinwohnern beruhte – und machten sich das zunutze. Sie schlossen mit einzelnen Ureinwohner-Gemeinden Verträge, versprachen ihnen Geld und Arbeitsplätze und zogen sie so auf ihre Seite. Heute ist die Situation also kein Stück besser als vor fünf Jahren, die Abholzung geht weiter und auch der Protest an der gesamten Küste von British Columbia.“ Die letzte Aktion, an der sich Joey beteiligte, waren die Protestveranstaltungen gegen den pazifisch-asiatischen Wirtschaftsgipfel, der unlängst in Vancouver stattfand und wo, wie sich Joey angewidert erinnert, für Menschenrechtsverbrecher wie den indonesischen Präsidenten Suharto der rote Teppich ausgerollt wurde.
In der restlichen Zeit, die ihm zwischen den Touren bleibt, kümmert sich Joey um das vor einigen Monaten reaktivierte und in den Anfangstagen von D.O.A. gegründete Bandlabel Sudden Death Records – durchaus eine Reaktion auf das missglückte Techtelmechtel mit Virgin Records. Wir erinnern uns: Nach langen Jahren und zig Platten auf Alternative Tentacles waren D.O.A. mit dem vorletzten Album zu Virgin gewechselt, nachdem Bandmanager Laurie Mercer von denen Geld bekommen hatte, um ein eigenes Label namens Essential Noise zu gründen. „Es war ein großer Fehler“, gesteht Joey zerknirscht ein, denn außerhalb Kanadas konnte Virgin kaum eine Platte verkaufen und die Szene reagierte verschnupft auf den späten Sellout der Institution D.O.A. – ebenso Jello Biafra, der jetzt auch keinen Bock mehr hatte. Fat Mike von Fat Wreck Chords war es schließlich, der Joey auf die Idee brachte, Sudden Death zu reaktivieren, und so ist „Festival Of Atheists“ eine durchweg in Eigenregie entstandene Platte, die an verschiedene ausländische Labels lizenziert wurde, und wie Joey strahlend erklärt, scheine jetzt endlich alles wieder zu laufen für D.O.A. Na dann – auf die nächsten zwanzig Jahre ... !