D.O.A.

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Older, not wiser

Kanadas älteste Punkcombo ist schon seit 26 Jahren dabei, und ihre rohen, politischen, antiautoritären Songs reißen einen noch immer mit, was man ja heute in Zeiten nichts sagender MTV Designer-Rebellen als einigermaßen bewundernswert bezeichnen kann. Jetzt fragt ihr euch sicher, was einen so kompromisslosen Mann wie Joey Shithead dazu antreibt, es immer wieder mit dieser von Großkonzernen beherrschten, kriegstreiberischen Welt aufzunehmen. Na dann lest mal schön weiter, denn Onkel Joey plauderte mit uns über Politik, Tom Jones, Eishockey, sein jüngst erschienenes autobiographisches Buch „I, Shithead“ und noch so einiges mehr ...

Während sich bei den DEAD KENNEDYS und den MISFITS das lustige Klage-Karussel scheinbar unaufhörlich dreht, scheinen D.O.A. als eine der wenigen Punkbands der alten Garde den Schlüssel zu jahrelanger Kontinuität gefunden zu haben - zumindest was deine Person anbelangt. Worin liegt das Geheimnis?


„Man muss sich und seinen Idealen eben treu bleiben. Ich habe meine Ansichten über die Jahre hinweg nicht wirklich geändert. Ich vertrete immer noch die Einstellung ‚Sei dein eigener Boss‘, arbeite daran, aus der Welt einen angenehmeren Ort zu machen und hab vor allem jede Menge Spaß dabei!“

Eine Menge dazu erfährt man auch in deinem Buch „I, Shithead“.

„Das Buch ist sozusagen die Geschichte von D.O.A. aus meiner Sicht. Es fängt damit an, wie ich als Teenager politisiert wurde und anfing, mich für Rock‘n‘Roll zu interessieren. Es deckt die gesamte Karriere von D.O.A. von 1978 bis zum Jahr 1990 ab. Das war das Jahr, in dem wir uns für 18 Monate trennten. Ich habe versucht, so viel Witziges, Aktivistisches und so viel über die Steine, die uns in den Weg gelegt wurden, reinzupacken, wie ich auf 250 Seiten unterkriegen konnte. Deshalb geht das Buch auch nur bis 1990. Zu wenig Seiten ...“

Wenn du von deinem Einstieg in die Musikszene sprichst, hört sich das manchmal schon fast romantisch an. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass das damals gar nicht so ein Zuckerschlecken war. Denkst du die neuen, jungen Bands haben es da heute einfacher?

„Na ja, für die jungen Punkbands heutzutage gibt es eben durch Bands wie uns eine Vorlage, an der sie sich mehr oder minder orientieren können. Als wir anfingen, gab es da nichts. Vieles hat sich halt entweder so oder eben anders ergeben, ohne dass wir es hätten vorhersehen können. Allerdings ist es für neue Bands schwieriger originell zu sein, was auch sehr wichtig ist. Don‘t follow the fucking trend!“

In welchem Punkt unterscheidet sich deine heutige Denkweise am gravierendsten von der von vor 25 Jahren?

„Man kann eigentlich nicht direkt sagen, dass ich an einem bestimmten Punkt in meinem Leben plötzlich meine Ansichten geändert habe. Als ich ein junger Mann war, dachte ich, die Welt sei total am Arsch – natürlich hatte ich damit Recht. Heute, als Mann im mittleren Alter, weiß ich, dass die Welt eigentlich noch viel mehr am Arsch ist, als ich das als junger Mann vermutet hatte. Mit den Jahren habe ich also dazu gelernt, und das ist sehr hilfreich. Anstatt mich von den Wänden, die sich vor mir auftun, noch mehr entmutigen zu lassen, habe ich heute das nötige Wissen um sie einzureißen.“

Worauf, denkst du, ist es zurückzuführen, dass es heute scheinbar weniger politische Punkbands gibt als in der 80ern?

„Damals war Punkrock eine Bedrohung für die Masse der Gesellschaft, heute ist Punk massenkompatibel geworden. Nicht in jedem Fall allerdings. Es gibt immer noch einen Haufen Bands, die ganz simpel Arsch treten, und die ihr DIY-Ding unbeirrt durchziehen. Es sind halt einfach zwei unterschiedliche Musikgenres, von denen eben das eine nur auf Kohle scheffeln ausgerichtet ist.“

Als politisch interessierter Mensch hast du dich im Gegensatz zu vielen anderen Punks entschlossen, dich aktiv in die Politik einzumischen. Die meisten ziehen es vor, in ihren Texten nur rumzujammern oder zwar gute Songs zu schreiben, aber darin irgendwelche unrealistischen Sachen zu fordern. Sie sehen aktuelle Politik als etwas per se „Schmutziges“ an und träumen lieber von Anarchie. Wie stehst du dazu?

„Nun, ich glaube schon an einige großartige anarchistische Theorien darüber, wie man sich nur von sich selbst leiten lässt. Es geht doch eigentlich hauptsächlich darum, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, sein eigener Boss zu sein und durch kleine Veränderungen in seinem direkten Umfeld die Welt zu verändern. ‚Peoplepower‘, also sozusagen die Macht, die von der Bevölkerung ausgeht, ist eine großartige Sache. Wenn du es schaffst, eine große Anzahl von Leuten für ein bestimmtes Thema zu sensibilisieren und gegen eine bestimmte Ungerechtigkeit auch anzukämpfen, dann werden sie auch aufstehen und handeln. Das sieht man zum Beispiel am Sturz Milosevics, der Wahl von Nelson Mandela oder dem Ende des Vietnamkriegs. Die drei Mal, die ich mich für die Grünen hier bei uns zur Wahl gestellt habe, habe ich nie erwartet, dass ich tatsächlich gewählt werde. Es ging mir nur darum, dazu beizutragen, einige wichtige Themen zur Sprache zu bringen, so zum Beispiel das zu erhalten, was noch von dieser Welt übrig geblieben ist. Für heutige und zukünftige Generationen. Außerdem hatten die Grünen hier noch nie einen Wahlerfolg, ich hatte somit auch nichts zu verlieren, da ich ohnehin als Außenseiter galt. Trotzdem habe ich mich mittlerweile von dem Wunsch, ein politisches Amt zu bekleiden, gelöst, denn ich musste leider feststellen, dass viele Leute zwar ‚Shitheads‘ wählen, aber nicht Joey Shithead, sondern einfach Politiker mit Scheiße im Hirn!“

Hattest du eigentlich schon mal Gelegenheit, dir die Seite www.conservativepunk.com anzuschauen? Was hältst du von so was?

„Nein, nie davon gehört. Hört sich allerdings für mich an wie ein Oxymoron. Zum Punksein gehört es, zu rebellieren und dem Establishment gepflegt in die Eier zu treten. Konservative Punks sind für mich genauso lächerlich wie christliche Punks.“

Was hältst du von Michael Moore, der ja geradezu einen Lobgesang auf Kanada abhält? Wahrscheinlich ist es tatsächlich angenehmer, in Kanada zu leben, als in den USA, aber du kennst da sicher auch die Schattenseiten, oder?

„Lustigerweise ist der Titel einer seiner frühen Filme ‚Canadian Bacon‘. Darin versucht der amtierende US-Präsident, einen Krieg mit Kanada anzufangen. Er ist also schon lange ein Kanada-Fan. Ich liebe übrigens seine Arbeit. Kanada ist definitiv ein angenehmeres Land zum Leben als die USA, aber es ist mit Sicherheit nicht perfekt. Das Verhältnis ist in etwa so wie das von Schweden zu Deutschland. Außerdem haben wir wie so viele Länder auch keine lupenreine Vergangenheit; es gab da einiges an Ungerechtigkeit, speziell im Bezug auf die Ureinwohner Kanadas.“

Ist D.O.A. eigentlich noch immer eine „Hockey-Punkband“?

„Bedingt durch Verletzungen und fortschreitendes Alter haben wir uns mittlerweile aus dem ‚Murder Squad‘ zurückgezogen. Allerdings erst, nachdem wir all die Grünschnäbel wie BAD RELIGION und SNFU ordentlich auseinander genommen haben.“

Was würdest du sagen, ist der wesentlichste Unterschied zwischen dem nordamerikanischen Publikum und dem europäischen?

„Nun ja, früher war das europäische Publikum mal politisierter als das nordamerikanische, aber ich denke, dass hat sich im Laufe der Jahre angeglichen. Zum Beispiel haben sich auch die Köpfe der Hausbesetzerszene in Europa weiterentwickelt – übrigens ein interessantes Kapitel in meinem Buch. Jetzt setzen sich überall auf der Welt eine Menge Leute für die Anti-Globalisierungsbewegung und für Umweltbelange ein. Wie gesagt, das wird auch in meinem Buch thematisiert.“

Wie sieht bei dir zu Hause ein normaler Tag aus?

„Ich fange an mit Kaffee trinken, dann schmeiß ich den Computer an, arbeite mich durch ein paar Zeitungen, um über alles Neue in der Welt auf dem Laufenden zu sein, und natürlich schaue ich mir die aktuellen Eishockey-Ergebnisse an. Nein, warte, eigentlich mache ich das immer zuerst. Danach versuche ich vergeblich meine Tochter zu wecken. Sie hasst die Schule nämlich. Wenn meine Kinder dann doch endlich mal auf dem Weg zur Schule sind, kümmern meine Frau und ich uns um das Label, denn das machen wir von zu Hause aus. Um drei Uhr hole ich dann die Kinder von der Schule ab und packe und verschicke noch ein paar Sachen fürs Label. Essen gibt‘s um sechs. Mit etwas Glück schaue ich mir abends noch ein Spiel der Vancouver Canucks an, spiele Gitarre oder probe mit der Band. Dann gehe ich noch mit dem Hund spazieren und hoffe, dass er meinen Nachbarn nicht auf den Rasen scheißt.“

Was halten deine Kinder eigentlich davon, dass ihr Daddy ein professioneller Punkrocker ist?

„Jake ist 16, Georgia 14 und Clayton sieben. Es ist schon witzig, wenn man bedenkt, dass sie bis vor fünf Jahren nicht mal wussten, dass mein Spitzname ‚Shithead‘ ist. Dann kam Jake einmal aus der Schule nach Hause und fragte: ‚Daddy, wie ist eigentlich dein Künstlername? Einer von meinen Lehrern hat gesagt es wäre ein komischer Name.‘ Ich sagte ihm daraufhin, mein Künstlername sei ‚Razor‘, weil ich so rasiermesserscharf Gitarre spiele. Da sagte er nur: ‚Stimmt ja gar nicht!‘ Das zeigt wie aufmerksam sich meine Kinder die D.O.A.-Platten im Haus angesehen bzw. angehört haben. Aber sie kommen alle gerne mit zu den Konzerten hier in der Nähe. Wir haben erst vor kurzem bei einer Friedenskundgebung anlässlich des Irakkriegs gespielt, wo wir uns vor 20.000 Leuten unter anderem die Bühne mit Noam Chomsky geteilt haben. Das fanden die total klasse.“

Mögen deine Kinder Punkrock? Was würdest du machen, wenn eines von ihnen mit einem frisch gestylten, neonfarbigen Iro nach Hause käme und mit seiner Band in eurem Keller zu proben anfinge, wobei alle Pot rauchen und Daddys Biervorrat alle machen?

„Na ja, also Jake hat neulich erst in der Schule einen Jazz-Preis gewonnen. Er spielt Trompete. Georgia steht eher auf neuen ‚Punk‘, so Sachen wie BLINK 182, und sie spielt außerdem Gitarre. Clayton spielt Klavier. Da wir einen Proberaum im Haus haben, wo jeder hingehen und Musik machen kann, ist das also schon mal kein Thema, und meinen Biervorrat haben sie auch noch nicht geplündert.“

Wie sehen die Pläne für dein Label Sudden Death Records aus? Und was gibt es ansonsten Neues aus dem D.O.A.-Lager?

„Wir haben gerade eine ‚Best Of‘ von RAW POWER mit dem Titel ‚Hit List‘ rausgebracht. Wir haben mit den Aufnahmen für ein neues Studioalbum, das wahrscheinlich im September rauskommen wird, schon begonnen. Es sind wirklich eine Menge guter Anti-Kriegs-Songs drauf. Diesen Sommer fangen wir dann mit den Arbeiten zu einem Quasi-Solo/Reggae/Ska-Album für nächstes Jahr an. Außerdem habe ich schon angefangen, ein neues Buch zu schreiben. Darin geht es darum, wie man heutzutage in dieser beschissenen Welt als Aktivist überlebt. Dann werden wir uns mal verstärkt mit DVDs beschäftigen. Eine ‚Greatest Shits‘ von D.O.A. gibt es bereits, und von den REAL McKENZIES kommt bald ‚Pissed Tae Th‘ Gills‘ auf DVD raus.“