KMPFSPRT

Foto

Abkürzung

Als neues KMPFSPRT-Album zehn Songs in zehn Minuten über Köln, die Heimatstadt des Quartetts? Klingt wie eine Schnapsidee, und war es zu Beginn auch. Bis klar wurde, dass man völlig ohne Erwartungshaltung und ungezwungen an diesen Songs arbeiten konnte. Klar, Songs über die Karnevalsstadt gibt es Tausende. Aber über die Nazis in der Stadt, Gentrifizierung der Veedel, Personenkontrollen und Schwarzfahren in der KVB nicht ganz so viele. Und dass kurze Songs nicht zwingend schlecht oder unvollständig sein müssen, beweist Gitarrist David Schumann mit seiner Playlist voller kurzer Songs.

NEANDERTHAL „Fluids“

Der erste kurze Song, den ich je mein eigenen nennen durfte, befand sich auf der Split-7“ von RORSCHACH und NEANDERTHAL, die ich im zarten Alter von 15 in einem kleinen Bonner Plattenladen erstand, dessen Namen ich leider vergessen habe. Auf jeden Fall kannte ich weder die Bands noch wusste ich, was mich erwarten würde – mir gefiel einfach das Cover mit dem abgeschlagenen Kopf, den der vermutliche Vietcong-Soldat in die Kamera hielt. Zum Glück entsprach dieses ziemlich genau den auf der 7“ enthaltenen Songs. Und gerade „Fluids“ von NEANDERTHAL hatte so ziemlich alles, was mein Teenage-Angst-Hirn damals brauchte: Atemberaubendes Tempo, kaum distinguierbare Gitarrensalven und ein grunzender Sänger, bei dem man nie wusste, ob er Mensch, Bulldogge oder Schwein war. Und das alles in fünfzig fantastischen Sekunden.

NAPALM DEATH „You suffer“
Auf meiner frühen Suche nach immer schnellerer und extremerer Musik begegneten mir irgendwann NAPALM DEATH, deren „Scum“-Album von 1987 wohl als moderner Klassiker der Popmusik eingeordnet werden muss – immerhin beinhaltet es das im Guinness-Buch der Rekorde als kürzestes je aufgenommenes Musikstück geführte „You suffer“. In etwas über einer Sekunde stellen NAPALM DEATH darin eine der essentiellen Fragen der Menschheitsgeschichte: „You suffer, but why?“. Eine Antwort habe ich bis heute nicht gefunden.

NOFX „Fuck the kids“
Es sollte nicht lange dauern, da öffnete ich mich melodischeren Formen zeitgenössischer Gitarrenmusik. Auch wenn NOFX sich auf den Kopf stellten, sie würden in Teilen der Szene vermutlich ewiglich als poserhafte Fun-Punk-Band gelten. Dabei wird oft vergessen, dass NOFX das Game der fürs Radio zu kurzen Songs immer schon meisterhaft beherrschten. Hits wie „Murder the government“ mögen wohl zu den öfter gespielten Beiträgen des Genres gehören, doch der Titelsong der gleichnamigen 7“ ist für mich ein Musterbeispiel an Effizienz und musikalischer Ökonomie: „Fuck the kids, fuck the kids, fuck the kids.“ Sechs Sekunden, Song-Ende.

THE MISFITS „Braineaters“
Eine der ersten true Punkbands, die je ihren Weg auf meinen Plattenteller fanden, waren die MISFITS aus Lodi, New Jersey. Welcher Teenage-Punkrocker könnte zu der Horror-Optik, Glenn Danzigs düsterer Elvis-Stimme und Songs wie „Last caress“ oder „Where eagles dare“ nein sagen? Fast schon merkwürdig mutete dagegen das im Hooligan-Chorus gesungene, nahezu als Karnevalslied durchgehen könnende „Braineaters“ an, das in seinen knapp fünfzig Sekunden wertvolle Ernährungstipps aus der Gruft enthielt: „Brains for dinner, brains for lunch, brains for breakfast, brains for brunch“. Beruhigend zu wissen auch, dass selbst Spätsiebziger Horrorpunks schon gebruncht haben, so fühlt man sich heute weniger bourgeois dabei.

DESCENDENTS „I like food/Coffee mug“
Wenn man an dieser Stelle schon kurze Lieder über diverse Formen der Nahrungsaufnahme erwähnt, darf natürlich der Beitrag der DESCENDENTS nicht verschwiegen werden, die mit „I like food“, 1981, und „Coffee mug“, 1996, eindrucksvoll beweisen, dass man als Band auch gerne mehr als einen musikalischen Ernährungsratgeber von unter dreißig Sekunden veröffentlichen darf.

GORILLA BISCUITS „Good intentions“
Nach der nihilistischen Punk-Phase wurde das Leben irgendwann ernster, was auch daran gelegen haben könnte, dass ich die Bierdose gegen den Edding zum Xe auf die Hand malen eintauschte und vorübergehend einem puritanischeren Lebenswandel frönte. Ein Glück, dass mich dabei Bands wie GORILLA BISCUITS begleiteten, die mit „Good intentions“ einen der besten Dreißigsekünder aller Zeiten verfassten. Genauso fühlte ich als 18-jähriger Straight Edger: „I’ll just try my best. And you? Nothing.“

MINOR THREAT „Straight edge“
Man kann über kurze Songs sagen, was man will – Wirkung kann man ihnen nicht absprechen. So gelang es MINOR THREAT, innerhalb von 46 handgestoppten Sekunden mit dem Song „Straight edge“ eine Jugendbewegung zu schaffen, die auch heute, vierzig Jahre später, Kids wie mein damaliges Ich aus den Klauen des Hedonismus reißt und auf einen sexlosen Pfad der Selbstgeißlung schickt, aus dem man erst an der Uni wieder rauskommt und dann auf Hardcore-Shows vollkommen betrunken ungefragt drogenfreien Freunden auf die Pelle rückt, ihnen seinen Alkoholatem ins Gesicht spuckt und etwas in der Art von „Straight Edge war die beeeeste Zeit in meinem Leben“ sabbelt.

LIFETIME „The boy’s no good“
Glücklicherweise geht das Leben immer weiter, und wenn man kein vollkommener Idiot ist, kann man auch mit zwanzig, dreißig, vierzig und wahrscheinlich fünfzig noch Hardcore hören und sich an dementsprechend kurzen Songs erfreuen. Man hat ja auch nicht mehr so viel Lebenszeit übrig, da müssen sich die Bands eben auch etwas beeilen. Einen dieser für alle Altersklassen geschriebenen Hits veröffentlichten LIFETIME auf ihrem 1997er Epos „Jersey’s Best Dancers“. Und auch wenn „The boy’s no good“ die magische Ein-Minuten-Schallmauer knapp durchbricht – was vermutlich am Alter des Schlagzeugers lag –, ist der Song ein weiteres Beispiel dafür, dass echte Klassiker keine Länge brauchen.