BAD COP/BAD COP

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Just a simple positive girl

Eigentlich hatte ich die Band Mitte März in Berlin zum Interview treffen sollen. Doch wenige Tage zuvor mussten die vier Musikerinnen aus Kalifornien ihre Europatour aufgrund der Corona-Pandemie abbrechen. Einen Monat später setze ich mich mit einer der Sängerinnen, Stacey Dee, per Skype zusammen und befragte sie über den holprigen Weg, den sie bis dahin im Leben gegangen war. Stacey hat mittlerweile ihre heftige Drogensucht besiegt, doch vor dem neuen Album wurde bei ihr noch Krebs diagnostiziert. Diese Erfahrungen finden sich sowohl musikalisch als auch textlich auf „The Ride“ wieder, das nach drei Singles und den Alben „Not Sorry“ (2015) und „Warriors“ (2017) wieder auf Fat Wreck Chords, dem Label von NOFX-Sänger Fat Mike, erscheint.

Im Promotext zu eurer letzten LP sagte deine Bandkollegin Jennie Cotterill über dich: „Stacey hatte am Ende der Tournee den Tiefpunkt erreicht und wir mussten abbrechen. Zum Glück half Fat Wreck und schickte sie in die Entgiftung. Sie kam als völlig neuer Mensch wieder. Davor benahm sie sich wie eine Besessene. Sie zerstörte alles um sich herum.“ Du selbst singst im neuen Song „Simple girl“ davon, dass du öfter fast gestorben wärst. Wie geht es dir heute?

Ich bin mittlerweile total gesund, haha, endlich. Ich hatte Krebs und habe deshalb zum Beispiel meine Ernährung radikal umgestellt, ich esse mittlerweile viel Obst und Gemüse. Ich mache dazu noch Yoga und meditiere und habe auch gelernt zu verzichten. Das war tatsächlich schwer und es hat eine sehr lange Zeit gedauert, bis ich das verstanden habe.

Drei Jahre später gehst du wieder sehr offen mit intimen Dingen um, wie auch gerade jetzt. Noch mal zu „Simple girl“ – du warst mit einem Mann zusammen, der sagte, er würde sich als Nächstes eine Frau suchen, die keine Probleme hätte. Was war los?
Das Knackpunkt war, dass wir beide Musiker sind und so jeweils ein kompliziertes Leben haben. Bei der nächsten wollte er es mal einfach haben. Das war erst mal ein Schlag ins Gesicht und hat mir sehr wehgetan. Die Wahrheit ist doch, dass niemand „simple“ ist, alle Menschen sind komplexe Wesen mit einer unterschiedlichen Persönlichkeit. Ich wusste, wie waren gut füreinander, und fand es schade, dass genau die Dinge, für die ich so hart arbeite, das sein sollte, was uns trennt. Und darauf basierend ist der Song „Simple girl“ entstanden. Ich schrieb den Text, hatte etwas an Musik und passte es an – als ein Statement, das an mich selbst gerichtet ist.

Wärst du nicht auch gerne mal eine „Simple girl“, das es einfacher hat im Leben?
Nein, ich finde mich nämlich ziemlich einfach. Ich muss nicht versuchen, anders oder besser zu werden, als ich es bin. Ich bin gesellig, gehe gerne raus, kümmere mich um meine Band. Gleichzeitig bin ich ganz einfach gerne zu Hause und schaue einen Film mit jemandem, den ich mag. Für mich bedeutet, ein gesunder und ausgeglichener Mensch zu sein, gemeinsam an den Strand zu gehen, den Sand unter den Füßen zu spüren und zu schwimmen. Oder einfach an einer Blume zu riechen und mich mit den Füßen ins Gras zu stellen. Diese Einfachheit ist durchaus ein Teil meines Lebens und macht mein Leben gut.

Sehr offen ist auch dein Umgang mit deinem Brustkrebs im Song „Breastless“. Erfreulicherweise geht es dir ja wieder gut. Wenn wir den Blick mal auf euer Gesundheitssystem richten – für uns in Deutschland ist völlig unverständlich, wieso ein Tag im Krankenhaus, der 3.500 Dollar kostet, privat aus eigener Tasche bezahlt werden muss. Schließlich wurde die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland vor über 130 Jahren eingeführt.
Ganz einfach: Die Leute, die bei uns im Gesundheitssystem finanziell profitieren, wollen da keine Änderung. Ärzte gehören zu den bestbezahlten Leuten in Amerika und für sie ist das Gesundheitswesen eine Geldmaschine. In einer kapitalistischen Gesellschaft interessiert es diese Leute einen Scheiß, ob sich andere das leisten können oder nicht. Für meine eigene Krebsbehandlung musste ich allerdings nichts zahlen. Aber nur weil ich echt das große Glück hatte, richtig arm zu sein und einfach nichts hatte, um es selbst übernehmen zu können.

Wenn du jetzt beispielsweise 10.000 Dollar bekommen würdest, müsstest du dann nachzahlen?
Nein. Nach der ersten Einkommensprüfung zu Beginn bekommst du nach zwei Jahren Post und das Einkommen wird wieder geprüft über einen Fragebogen. Du gibst an, ob du mehr verdient hast als vor zwei Jahren. Wenn es mehr ist als vorher und dann noch über einer Grenze liegt, fliegst du aus dem System raus und musst privat zahlen.

Zu diesem Thema passt leider auch die Corona-Krise derzeit. Ihr wart in Europa, als es in Italien schon eskalierte. Als ihr in Zürich gespielt habt, waren im Nachbarland bereits über 10.000 infiziert und 640 Menschen gestorben. Habt ihr das nicht mitbekommen oder war es zu weit weg oder warum habt ihr vor eurem Konzert „Let’s sweat with us!“ gepostet?
Von den Zahlen haben wir nichts mitbekommen. Als wir nach Europa kamen, waren wir auch für Italien angekündigt und da erfuhren wir, dass das eventuell flachfallen würde. Es war aber noch nicht diese Pandemie, die noch kommen sollte. Nach Zürich hörten wir, dass das Konzert in Paris wohl nicht stattfinden könne, da sie nur noch 100 Personen reinlassen würden. Dann entschieden die Niederlande und Deutschland, dass keine Veranstaltungen mehr stattfinden sollten. An einem Morgen bin ich aufgewacht und hatte 18 Textnachrichten, die aussagten, wir sollten schnellstmöglich nach Hause kommen, da die Grenzen schon zu waren und die Angst bestand, dass wir gar nicht mehr reingelassen würden. In Paris wurden wir zum Flughafen gefahren und die Tour wurde abgebrochen, es ging in Europa alles Schlag auf Schlag. Als wir in den USA ankamen, wurden wir sofort getestet und zwei Wochen in Selbstquarantäne geschickt, nachdem wir einen Fragebogen ausfüllen mussten. Und genau in diesen zwei Wochen wurde der ganzen Welt plötzlich bewusst, dass es wirklich eine krasse Pandemie ist und mehr oder weniger alle in Quarantäne müssen.

Thema USA. Erschreckend finde ich den Text von „Pursuit of liberty“ von eurer Bassistin Linh Lee, deren Eltern Immigranten sind. Sie fühlte sich vor kurzem das erste Mal als Migrantin, dabei ist sie schon 37 Jahre alt. Was ist bei euch los, warum ist die Fremdenfeindlichkeit so groß? Warum ist das Land so tief gespalten?
Ich denke, es hat damit zu tun, wie du aufgewachsen bist und zu einem Großteil auch, wo du geografisch gesehen aufgewachsen bist. An den Küsten, egal ob Los Angeles oder New York, leben wir liberal, frei, sind neugierig. Ich bin in San Francisco, der liberalsten Stadt auf der ganzen Welt, aufgewachsen. Wir an den Küsten sind offen für neue Dinge, wir wollen entdecken und willkommen heißen. In der Mitte unseres Landes ist die Bevölkerung aber ganz anders geprägt. Da geht es mehr um die Bibel, um Religion, Familie und diese ganzen Dinge. Der Staat, die Regierung sind da auch gar nicht so präsent. Aber dies ist allein geografisch schon der größte Teil Amerikas. Und viele von diesen Leuten wollen unter sich sein, die wollen keine anderen Menschen zu sich kommen lassen. Der ganze Rassismus dort existiert doch seit Jahrhunderten. Und im Fernsehen siehst du unsere Regierung, die behauptet, eine andere Hautfarbe zu haben sei eine Bedrohung für das Land. Wir waren während der Trump-Wahl auf Tour und es war in den Küstenstaaten völlig offensichtlich, dass Hillary gewinnen würde. Doch als wir ins Zentrum der USA fuhren, hingen dort echt überall Trump-Poster.

Da ist die „Community“ umso wichtiger – die ihr im gleichnamigen Song als etwas feiert, das immer für einen da ist und in der beispielsweise depressive Menschen ebenso ihren Platz haben wie welche mit Sozialphobien. Ist es ein Traum oder Realität für dich? Oder in Wahrheit nur ein Fake?
Das ist meine Wirklichkeit, in der ich lebe. Die Geschichte zu diesem Song ist abgefahren. Ich bin eines Nachts um halb vier aufgewacht, während ich ihn in meinem Traum gesungen habe. Ich habe mich sofort hingesetzt und ihn aufgeschrieben. Und ja, die „Community“ ist da. Wir waren dann in Fat Mikes Haus und haben den Song aufgenommen. Um die 25 Leute waren da, haben mitgesungen. Unsere Freunde waren da, sogar unsere Hunde. Momentan haben wir die schlimmste Krise, mehr denn je brauchen wir doch eine Gemeinschaft. Wir kümmern uns, bleiben zum Beispiel über Video in Kontakt, genauso wie wir beide jetzt.

Nachdem ich die neue LP gehört und die Texte gelesen habe, hatte ich den Eindruck, ihr seid erwachsener, souveräner, weiser geworden. Es entsteht bei mir ein Gefühl der Stärke und der Selbstbestimmung. Die Texte sind positiver, nicht mehr so voller Wut, die Musik dagegen nicht mehr ganz so happy wie früher. Vorher war es genau andersherum – es war Partymusik mit Texten etwa über Männer, die ihre Frauen und Kinder verprügeln. MOBINA GALORE oder ANTI-FLAG sind für mich ebenfalls Beispiele für Bands, wo Musik und Text nicht zusammenpassen. Sehe ich das richtig?
Ich habe tatsächlich immer negativere Texte geschrieben zu einer poppigeren Musik. Wenn der Sound jetzt aggressiver sein sollte, hoffe ich, dass du in den Texten eine Inspiration für dein Leben findest, haha. Unsere letzte LP „Warriors“ ist auf diesen ganzen Trump-Mist zurückzuführen. So beschissen Trump auch ist, das Gute an der Situation ist, dass er Widerspruch ausgelöst hat und die Leute ihren Mund aufmachen. So können wir seitdem auch sehen, dass die Menschen, denen das ganz und gar nicht passt, aufstehen und sagen, dass sie verdammt noch mal sein wollen und sein werden, wie sie sind. Nimm zum Beispiel die LGBTQ-Community, diese Bewegung ist stärker als je zuvor und hat sich entschieden, aufzustehen und für ihre Identität zu kämpfen. Für die neue LP „The Ride“, nach dem Krebs, habe ich beschlossen, dass ich meine eigene Lebensrealität ändern werde, was viel mit dem Yoga und der Meditation zu tun hat, ich wollte Frieden finden. Ich hatte mir vorgenommen, mich mehr mit genau den einfachen Dingen zu beschäftigen, von denen wir vorhin sprachen. Ich war lange quasi in einem Kampf gefangen und habe immerzu geschrien: „Women’s rights! Women’s rights!“ Das hat mich fertiggemacht. Ich kann den ganzen Hass und die Wut natürlich nach wie vor verstehen, weil einfach verdammt viel Scheiße passiert auf dieser Welt – nur wird sich dadurch leider nichts ändern und es machte mich krank. Ich denke, ich habe begriffen, dass ich selbst diejenige bin, die ihr Leben steuert. Jeder kann verdammt viel erreichen. Ich bin in einem Trailerpark mit nichts aufgewachsen, jetzt bin ich Stacey auf der Bühne und die Leute erfreuen sich daran, das ist doch wundervoll. Natürlich besitze ich auch heute nicht viel, aber ich bin glücklich damit, was doch das Wichtigste ist. Anstatt als Band wieder nur wütende Texte zu singen und andere zu verurteilen, wollten wir schöne Songs spielen, die simplen Dinge anpacken. Und auch wenn Songs dabei rauskommen wie „Simple girl“... Ja, das, worum es geht, hat mich ziemlich verletzt. Ich weiß dennoch, er hat mir gutgetan! Die Story hat natürlich wehgetan, aber es war wieder etwas, woraus ich etwas gelernt habe – es gibt auch die vielen positiven Dinge im Leben. Vielleicht siehst du das Whiteboard hinter mir an der Wand – da habe ich meine Aufgaben aufgeschrieben, zum Beispiel „Stacey, mach Yoga“, „Stacey, meditiere“, „Stacey, übe Geduld zu haben“, „Ernähre dich gesund“ und so weiter. Ich habe entschieden, mich auf diese Dinge zu konzentrieren und nicht mehr auf die ganze Negativität. Ja, es braucht tatsächlich viel Negatives, um so etwas Positives hervorzubringen.

Ist das alles ein Ergebnis einer Therapie oder einfach bedingt durch deine Erfahrungen?
Ich denke, es ist so, weil ich weiß, dass ich durch die Hölle gegangen bin. Bei der 25-Jahre-Fat-Wreck-Tour hat Jennie treffend zu mir gesagt, dass ich ein so negativer Mensch bin, der gar nicht weiß, was Positivität überhaupt bedeutet. Ich kam – wieder einmal – aus einer Drogenabhängigkeit, war ein Wrack, hatte so viele meiner Freunde sterben gesehen, hatte selbst Suizidgedanken, Halluzinationen, ich redete lauter Müll und es war nur noch schrecklich. Solche Gedanken habe ich zum Glück überhaupt nicht mehr, seit ich meine Sichtweise geändert habe. Ein paar Tage, nachdem ich von der Entgiftung zurück war und bei meiner Mutter geschlafen habe, hatte ich längere Zeit wahnsinnige Alpträume, was ein Resultat der Entgiftung ist, eine krasse Erfahrung. Meine Mutter sagte zu mir: „Stace, du musst positiver werden“ und ich wusste verdammt noch mal nicht, was das überhaupt sein sollte. Am Tag vor meinem vierzigsten Geburtstag saß ich da und realisierte, dass die vielen Leute um mich herum, die mir helfen wollten, es gar nicht konnten. Ich beschloss, dass nur ich selbst mir helfen kann. Es war harte Arbeit und ein langer Weg, ich bin quasi den Brotkrümeln gefolgt. Und dann fand man heraus, dass ich Krebs habe – das war für mich das Resultat meiner Drogenkarriere und dass ich niemals auf mich Acht gegeben hatte, mich nur völlig ungesund ernährt habe und so weiter. Da ich bei der Diagnose aber schon aus einer positiven Position startete, war mir klar, dass ich da einfach durch wollte, ich wollte verdammt noch mal meinen Körper und meine Seele in Ordnung bringen und überlegte sofort, was ich tun konnte. Zum Beispiel verbannte ich Zucker aus meinem Leben, wo es ging, machte jeden Tag selbst Säfte, meditierte, ließ zu, dass ich heule, schaute auf die kleinen schönen Dinge und es hat geklappt. Und dass ich jetzt hier sitze und dir das erzählen kann, ist das Ergebnis eines Prozesses von vier Jahren.

Ein schönes Ergebnis wie ich finde.
Eigentlich unheimlich, haha. Früher habe ich gesagt: Ich will kämpfen gegen ... Wenn ich das sage, was passiert dann? Ja, dann bin ich in einem Kampf. Aber ich will nicht kämpfen, ich will so etwas nicht in mir haben, sondern etwas zum Positiven verändern. Ich gebe dir ein Beispiel. Ich hatte als Kind einen Freund, der einen wahnsinnig rassistischen Vater hatte. Er selbst wurde irgendwann Trump-Unterstützer und rechtsradikal. Für mich war klar, dass es eine Frage der Einstellung war, ich kannte ihn von früher und wusste, dass er anders denken würde, wenn er in meiner Familie aufgewachsen wäre. Anstatt ihn also mit „Fuck you!“ anzuschreien und wegzustoßen, zog ich ihn auf meine Seite. Ich habe ihm einen Backstage-Pass für ein Konzert der Warped Tour gegeben und gesagt, er könne dort mit seiner Tochter damit überall hingehen, wo er wollte, sich alle Bands auf allen Bühnen anschauen, was auch immer. Er kam hinterher zu mir und sagte: „Stacey, ANTI-FLAG sind eine großartige Band“, haha. Trump unterstützt er auf jeden Fall nicht mehr und hat aufgehört, diesen ganzen „Hate Shit“ zu posten. So geht es also auch.