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EGOTRONIC

Stresz

20 Jahre EGOTRONIC, und fast genauso lange hatte ich gebraucht, die Band für mich zu entdecken. Atari und C64-Sound, das war nicht so meins und etwas zu poppig war es mir auch. Ihr roh-punkiges 2019er Album „Ihr seid doch auch nicht besser“ hat mich dann eines Besseren belehrt. Entsprechend neugierig war ich auf das für Juli 2021 angekündigte neue Album „Stresz“. „Stresz“ ist wieder ein überwiegend poppiges Midtempo-Album, das erst beim zweiten Hören wirkt, dann aber sehr intensiv. Zunächst fühlte ich mich an frühe Alfred Hilsberg-Veröffentlichungen auf ZickZack erinnert, aber die künstlerische Referenz an die Vergangenheit weist nach vorne. Mit dem Album kehren EGOTRONIC zurück zu ihren musikalischen Wurzeln, ohne sich selbst zu kopieren. Der Sound der 12 Songs ist sehr reduziert instrumentiert und präzise arrangiert: Je eine Tonspur für Gitarre, Bass und Drums und zwei Spuren für Synthesizer. Torsun Burkhardt erzählt im Interview in dieser Ausgabe, dass „Stresz“ im „wahrste Sinne des Wortes eine Corona-Platte“ sei. Das gilt sowohl für die Produktionsbedingungen – das Album wurde DIY in den Wohnzimmern der Bandmitglieder komponiert und eingespielt – als auch für die Lyrics. Es sind bedrückende Texte zu eher leichten Melodien. Das Album wird getragen von einer wütend-melancholischen Grundstimmung, die der Traurigkeit ebenso wenig Raum gibt wie der Hoffnung. Aber ein Konzept-Album ist „Stresz“ deswegen noch nicht. Vielmehr reflektieren und kommentieren EGOTRONIC in gewohnt pointierter Weise politische, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen hierzulande („Masken“ und „Auf Arbeit“) sowie triste Routinen der Alltagsbewältigung („Langweile“ und „Der Dämon“, meine Favoriten auf dem Album) seit Beginn der Pandemie aus der Perspektive persönlicher Betroffenheit. Dass EGOTRONIC die Polizei als Institution nicht mag, ist vielfach dokumentiert und wird auch auf dem neuen Album mit den Tracks „Lauf Bulle lauf“ und „Meine Hotline“ noch einmal plastisch performt. Aber auch provozieren können EGOTRONIC noch immer, indem sie Corona-Leugner:innen und Impfgegner:innen „Nadel verpflichtend“ ihre Vorhaltungen machen. „Stresz“ ist ein musikalisch wie lyrisch stimmiges Album, dass sich plausibel ins Gesamtwerk der Band einreiht und Offenheit für Kommendes andeutet. Es ist der passende Soundtrack für den dritten Pandemie-Sommer. Wer schnell genug war, hat mit dem Album noch die streng limitierte EGOTRONIC INCH PUNCH-EP „Einzelkampf“ mit ausgeliefert bekommen, einen im Kontext des Albums entstandene sympathisch aus der Zeit gefallene C64-Sound-Hardcorepunk-Side-Kick. Hier werden zehn Songs in bester D.R.I.-Manier durch weniger als fünf Minuten Spielzeit geprügelt. Wow! Auch ohne den Bonus ein überzeugendes Album.