TERRORGRUPPE

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Jetzt reicht‘s

Sie gehören zu den Bands des deutschsprachigen Punk, die von der Basis kommend ihren Weg in die Verkaufscharts gefunden haben. Dabei schienen die Hauptprotagonisten Archie Alert und Johnny Bottrop bereits in den Achtziger Jahren unabhängig voneinander den klassischen Punkrock überwunden zu haben. Ihre damaligen Bands INFERNO und HOSTAGES OF AYATOLLAH waren im deutschsprachigen Raum die allerersten Hardcore-Bands US-amerikanischer Prägung. 1993 fanden die beiden zusammen und gründeten im Zuge einer allgemeinen Rückbesinnung zum Punk TERRORGRUPPE in Berlin und trafen damit den Zeitgeist einer neuen und jungen Hörerschaft. Inwieweit die Band textlich und inhaltlich vordergründige und alberne Punk-Klischees propagierte, oder eine Parodie auf diese darstellte – darüber gingen die Meinungen oft auseinander. Wie auch immer: 2005 Auflösung, 2013 Reunion und jetzt soll wieder Schluss sein. Im Herbst gibt’s aber noch eine Tour zum im Juni erscheinenden finalen Album „Jenseits von Gut und Böse“. Dessen Stilvielfalt hört man an, dass Johnny Bottrop mittlerweile mit seiner anderen Band ACHT EIMER HÜHNERHERZEN musikalisch auch anders kann und Archie in sonstigen Leben unter anderem als Musikproduzent unterwegs ist.

Euer neues Album ist musikalisch recht abwechslungsreich, die Songs sind stilistisch sehr unterschiedlich. War das von vornherein beabsichtigt oder hat sich das bei der Produktion so entwickelt?
Johnny:
Danke für die Blumen! Aber im Nachhinein von „Absicht“ zu sprechen, ist nicht ganz richtig.
Archie: Die Dynamik und die Stilistik haben sich natürlich in der Demophase schon abgezeichnet, wurde dann durch alle Bereiche der Produktion konsequent beibehalten und sogar herausgearbeitet, ja. Aber es hat sich keiner von uns hingesetzt und vor der Demophase ein Stilvielfaltskonzept oder so’n Scheiß verfasst.
Johnny: Die Ideen wurden aus ganz verschiedenen Richtungen und aus völlig unterschiedlichen Anlässen zusammengetragen und sicher hat auch der Freund Zufall ein paar Takte beigetragen, aber die verschiedenen Styles waren schon ganz klar nach den ersten Proben da. Wir haben meistens mit den komplizierteren Songs angefangen und die einfacheren Stücke erst am Schluss ausprobiert. Wir haben auch viele Ideen wieder verworfen und uns leidenschaftlich um Songteile gestritten.

Warum ist auf der Platte nicht die Single „Sie nationalsozialistische Bullensau“ dabei?
Archie:
Weil – und da haben uns Medien- und Strafrechtler ausführlich beraten – dahergelaufene Staatsanwälte und sogar Dorfcops unter Umständen nicht in der Lage sind, sich adäquat mit einer Anti-Bullensong-Persiflage mit komplett fiktiven künstlerischem Überbau auseinanderzusetzen. Sondern sich irgendwelche Gefahrenlagen aus den Fingern saugen und herbei konstruieren dürfen, um dann mit dem SEK bei uns einzureiten und die ganze schöne Pressung zu konfiszieren.
Johnny: Das komplette arschteure wertvolle limitierte Boxset mit lila LP, CD, Gemälde-Booklets, Download-Codes, 10“-EP, Posters und Zahnbürste. Neuer Zahnbürste.
Archie: Und darum verkünden wir nun lautstark über alle Kanäle, dass der Song nicht auf den physischen Versionen unseres Albums sein wird ... Haste gehört, Herr Bulle? Damit sie wenigstens im Nachhinein dafür belangt werden können, schlecht und dürftig ermittelt zu haben.
Johnny: Wir behalten uns noch ein ganz besonderes eigenes „physisches“ Release für die Song vor. Wartet mal ab ... und als Stream, Download oder als Video ist es ja sowieso am Start.

Die Platte wird ja komplett im Eigenvertrieb herausgebracht. Welche Meinungsverschiedenheiten gab es im Vorfeld mit eurem externen Vertrieb, über den das jetzt nicht mehr läuft?
Archie:
Zwei Dinge kann ich auf den Tod nicht ausstehen. Erstens wenn sich ein Tonträger-Zwischenhändler, und nichts anderes ist ein Vertrieb, zu wichtig nimmt und anfängt, A&R spielen zu wollen. Und zweitens, wenn die BWLer eines Tonträger-Zwischenhändlers unaufgefordert versuchen, Songtexte zu interpretieren und zu bewerten. Wenn der Schuster nicht bei seinem Leisten bleibt, suchst du dir eben ’nen anderen. 1995 wurde unsere „Kinderwahnsinn“-Single vom Karstadt-Konzern boykottiert, die „Keine Airbags für die CSU“-Single nebst „Musik für Arschlöcher“-Album wurden anfangs von der Drogeriemarkt Müller-Kette nicht ins Sortiment genommen. 1996 wollte sich die Polygram weigern, unsere Single „Der Rhein ist tot“ zu vertreiben, weil die KELLY FAMILY auch bei ihnen unter Vertrag war. 2001 weigerte sich Epitaph, unser Live-Album „Blechdose“ im Rahmen unseres Plattenvertrags zu veröffentlichen. Und jetzt befand ein Vertriebsmensch unsere Anti-Bullensong-Persiflage „Sie nationalsozialistische Bullensau“ als zu „gewaltverniedlichend“. Die kleine Band mit dem schwierigen Namen „Terrorgruppe“ hat sich immer durchgesetzt oder ist eben ihren Weg gegangen, und hat das Optimum aus diesen Querelen herausgeholt. Diesmal haben wir uns zu etwas entschlossen, das mich sowieso die letzten Jahre schon beschäftigt hat: Zu was brauchen wir eigentlich noch die ganzen Zwischenhändler? Warum können Leute nicht bei uns direkt im Shop das Album vorbestellen? Scheiß auf den Vertrieb, scheiß auf Amazon, JPC, Mediamarkt, scheiß auf die Charts. Wer unser Album will, kann es sich ganz einfach bei terrorgruppe.com vorbestellen und kriegt es dann auch rechtzeitig zum Release.
Johnny: Ganz ohne Umwege, ohne Zwischenhändler ... und theoretisch können wir damit sogar immer noch in die Charts kommen. Mal abwarten.

Wie kam die Zusammenarbeit mit dem Künstler Klaus Theuerkauf zustande, der das aufwändige Booklet gestaltet hat? Wie lief das ab?
Johnny:
Klaus ist ein rastloser Schöpfer von unzähligen Gemälden und Skulpturen, der sich aber niemals selber einen „Künstler“ nennen würde. Und nebenbei war er auch in den Achtzigern Mitbegründer der legendären Gruppe „endart“. Die ehemalige Zentrale der Gruppe war ein Laden hier in der Oranienstraße und immer auch eine feste Größe im TERRORGRUPPE-Universum, von Anfang an, seit der Bandgründung. Wir haben samstags mal reingeschaut oder sind abends an der geschlossenen Galerie vorbeigelaufen, haben kurz ins Schaufenster geglotzt und sind gleich mit einer neuen abseitigen Inspiration zum Proberaum weitergezogen. Klaus verwaltet nebenbei auch die Bilder des verstorbenen Blalla W. Hallmann, den ich für einen der wichtigsten Maler der westdeutschen Nachkriegsgeschichte halte. Da war ich auch immer sehr interessiert dran. Wir hatten in der Vergangenheit schon oft den Wunsch, mal mit Klaus und endart was zu machen, und haben auch 1993 oder ’94 in der Galerie ein Konzert gegeben, wenn ich mich richtig erinnere. Und seit Mitte der Neunziger wollten wir immer ein Plattencover von Klaus Theuerkauf haben, aber es ist nie zustande gekommen. Eigentlich bloß wegen Zufällen. Dafür haben wir ja jetzt ein ganzes Heft mit 14 seiner Bilder und noch vier bei der Bonus-EP.

Welche Rolle spielt TERRORGRUPPE im Jahr 2020 für euch? Ist die Band eher Lebensmittelpunkt, Job oder „nostalgische Garnitur“?
Archie:
Alle drei Punkte kann ich getrost unterschreiben. Als Mittelpunkt wird’s mir langsam zu viel, darum kann der Spaß jetzt auch endlich ein Ende finden. Job isses immer dann, wenn man so viel Zeit investiert, dass andere Jobs auf der Strecke bleiben. Dann muss TERRORGRUPPE eben auch Rechnungen bezahlen können und etwas Nostalgie schwingt sowieso immer mit. Bei mir vielleicht weniger als bei anderen Bandmitgliedern, aber ja.
Johnny: Es ist leider noch mehr als alle diese drei Punkte. So eine Art „ethisch-philosophischer Auftrag“. Und manchmal auch ein bürokratischer Klotz am Bein, mit zwei bis drei Aktenbergen pro Jahr.
Archie: Für mich ist TERRORGRUPPE allerdings seit dem Comeback auch immer so eine Art Fieberthermometer. Wie hoch ist meine Betriebstemperatur? Schaff ich es noch, eine Show frisch und spritzig durchzustehen? Was muss ich dafür tun? Kriegen wir noch relevante Songs geschrieben und produziert? Darf ich mit meiner Freundin, nachdem sie unser neues Album gehört hat, überhaupt noch vögeln?

Das ist nun euer letztes Album und eure letzte Tour. War’s das dann insgesamt mit TERRORGRUPPE oder kommt ihr doch noch für einzelne Shows aus euren Löchern?
Archie:
Ähm, wir sind jetzt nicht als Erbsenzähler oder Wortklauber bekannt. TERRORGRUPPE wird am Ende der Tour zum letzten Album tatsächlich nicht mehr als Band existieren. Aus unseren Löchern sind wir auch für dieses Comeback nicht einfach so mal schnell gekrochen, das waren 2013/14 ja schon intensive sieben Monate Vorbereitungszeit, noch mal mach ich das nicht mehr.

Warum wollt ihr Schluss machen?
Archie:
Ganz einfach, wir sind zu alt für eine Band wie TERRORGRUPPE. Es wird immer schwieriger, Konsens bei Musik und Inhalten zu finden, immer schwieriger, relevant zu bleiben, immer aufwändiger, für die Live-Shows fit zu bleiben.
Johnny: Wir stecken da ja nicht mehr so ganz hundert Prozent drinne, was die Jugend von heute wohl so denkt und fühlt. Und dann noch das alles mit dem Klima ... So kam die neue Platte dann auch nur unter ständigem Disput über Songs und Inhalte zustande. Wir machen uns so was nicht einfach.
Archie: Auf der anderen Seite nervt mich die neue Art der für Bands so wichtigen Öffentlichkeitsarbeit in den sozialen Medien enorm. Ich bin froh, wenn ich mir den Dreck nicht mehr geben muss. Ich habe keine Lust auf Facebook, Instagram und Twitter. Es macht mir keinen Spaß, dort um Reichweite, Likes und Aufmerksamkeit buhlen zu müssen, um ein paar Konzerttickets verkaufen zu können. Und noch viel weniger Spaß macht es mir, mitansehen zu müssen, wie Kollegen und Freunde sich dort peinlichst zum Affen machen.
Johnny: Wir alle füttern die große Quatsch-Maschine. Und die, die sich für besonders dissent und kritisch halten, füttern sie am meisten.
Archie: Und die Organisation einer Band mit drei Familienvätern und erwachsenen Leuten, die alle tausend andere Prioritäten außer der Band haben, nervt auch gewaltig. Dazu kommt noch die teuere und anstrengende Reiserei. Das alles für ein bisschen Spaß bei neunzig Minuten Auftritt in irgendeinem deprimierenden Scheißloch in West-Deutschland?
Johnny: Ich sehe das nicht ganz so pessimistisch wie Herr Motherfucker. Ich werde sicher noch lange mit anderen Combos und Projektchen durch kleine Clubs und „Shitholes“ touren, da fühle ich mich wohl.
Archie: Es gibt tolle junge Bands wie die englischen SLAVES, die australischen AMYL AND THE SNIFFERS oder hierzulande PISSE, grandiose Bands, denen ich gern zusehe und -höre. Bands, die noch Lust haben, die Welt zu erobern. An deren Energie komme ich vor allem live bei Weitem nicht mehr heran. Sollen die das jetzt machen, wir hatten unsere Zeit und jetzt reicht’s auch.
Johnny: Ich fahre noch gerne auf Tour, aber die Trinkerei und die Drogen habe ich komplett aufgeben müssen. Sogar Zigarillos rauchen. Schön war die Zeit, aber sie ist jetzt vorbei. Ich liebe die Shows in kleinen Läden, aber der Backstageraum sollte schon mehr als fünf Quadratmeter aufweisen, da bin ich sehr penibel und feinfühlig. Ich liebe die Shows in kleinen Läden, aber ich hasse die Fahrten und die Autobahnen und die Staus und die Lastwagen. Und am meisten die Lastwagenfahrer.

Bedroht die Corona-Krise euch als Band oder einzeln privat und/oder finanziell sehr massiv?
Archie:
Als Band erst mal weniger. Mal sehen, wie viele Shows wir im Zuge des Shutdowns canceln müssen, die ersten sollten Ende Juni stattfinden, die Tour dann im November. Wir wissen ähnlich viel wie ihr, nämlich gar nichts. Meine anderen Jobs als Tourneeleiter und Musikproduzent leiden aber schon, dafür habe ich mir erst mal Soforthilfe auszahlen lassen, das kompensiert meine Ausfälle für eine kurze Weile.
Johnny: Eigentlich geht es Menschen mit so abseitigen Lebensentwürfen wie unseren in krisenhaften Zeiten immer ziemlich gut. Es war in den Neunzigern, 2001, 2008 ... wir sind irgendwie vom aktuellen Marktgeschreie entkoppelt. Zu weit weg, und ich muss sagen, dass ich in den letzten Wochen auch immer wieder mal eine extrem entspannte Zeit hatte, auch wenn mich die vielen Konzertverschiebungen natürlich ganz schön fertiggemacht haben. Wenn es nicht all diese Kranken und Toten gäbe, wäre das hier alles ja fast wie ein bizarres „Wir schaffen den Kapitalismus ab“-Massenhappening, ein einzigartiges Jahrhundertereignis mit menschen- und autoleeren Straßen um 16 Uhr. Der Anblick einer Millionenstadt, die völlig ausgestorben ist, kann einen für kurze Zeit auch mal euphorisch machen: „Na, ihr Planer und ihr Fondsmanager und Ingenieure, ihr könnt noch so viel rechnen und prognostizieren, am Ende kommt’s doch anders, als man denkt!“ Natürlich ist so eine naive Weltsicht nur für ein paar Augenblicke möglich – unter dem Eindruck der schönen luftigen Leere. Für Clubs, Kultur und Kulturarbeiter ist das alles eine Katastrophe.

Polizeigewalt war immer ein Thema bei TERRORGRUPPE. Habt ihr die Befürchtung, dass durch die derzeitige Situation die persönliche Freiheit gegenüber der Staatsmacht nachhaltig eingeschränkt wird?
Archie:
Der Staat überlässt momentan eine sehr sensible Abwägung und Durchsetzung einer rechtlich problematischen Ausnahmesituation einer ziemlich schlecht ausgebildeten Security-Truppe namens „Polizei“. Im Veranstaltungsgewerbe haben wir ausgiebig Erfahrungen mit diesen Pleppos und ich kenne keinen erfahrenen Veranstalter, der diese Anfänger auf seinem Event haben möchte. Die bauen nur Mist und wir kriegen das meist besser mit top ausgebildeten privaten Sicherheitsfirmen hin. Aber dass die jetzt durch Corona ihre Kompetenzen noch weiter dauerhaft ausbauen können, wage ich zu bezweifeln. Ich schätze, dass die meisten Bußgeldbescheide bei mehrmaligem Widerspruch sowieso von den Verwaltungsgerichten kassiert werden. Viel wichtiger ist die Frage, stehen diese ganzen GG-Urteile zu den Polizeiermächtigungsgesetzen der Bundesländer eigentlich nicht noch aus?
Johnny: Ja, genau! Was ist eigentlich mit all den Grundrechtsklagen gegen die ausufernden Polizeigesetze in Bayern, NRW, Berlin, MeckPomm und so weiter? Wann gibt es da eigentlich mal Urteile?

Das Thema Rechtsextremismus ist ja gerade medial weniger präsent. Glaubt ihr, dass langfristig gesehen die aktuelle Krise die Rechten eher stärkt oder schwächt?
Archie:
Keine Ahnung – ich find’s aber mal ganz erholsam und gesund, dass die mediale Echokammer den Faschos nicht zu viel Aufmerksamkeit zukommen lässt. Je mehr Aufmerksamkeit sie bekommen, desto mehr drehen sie auf.
Johnny: Die Virenkrise müsste ja eigentlich rechte Positionen schwächen. Rechte Populisten wie Trump, Erdogan, Johnson und Bolsonaro werden gerade jeden Tag von der Realität widerlegt. Und die Klopapierkämpfe der letzten Wochen sollten das Preppertum eigentlich auch ad absurdum geführt haben. Aber ob die News wirklich bei den Menschen angekommen ist? Eine Umfrage in den USA soll ergeben haben, dass immer noch über die Hälfte der Amerikaner zu diesem Präsidenten stehen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Maßnahmen gegen die Seuche bei uns in Deutschland jetzt irgendwelche Rechtsradikale stärken, aber sie schwächen mit Sicherheit die aufgeklärten, linken, emanzipatorischen und weltoffen-liberalen Teile der Bevölkerung, denn diese Leute sind ja mit Kultur, Kunst, Musik und Theater viel enger verbandelt, häufig auch existenziell – nicht nur bei Musikclubs und Bühnen, auch Bars, Restaurants, Veranstaltungstechnik, soziale Zentren ... die nun alle geschlossen haben. Und gleichzeitig werden die Internetkonzerne noch mächtiger, als sie sowieso schon sind. Ich vermute mal einen Zusammenhang zwischen der wachsenden Macht von Internetkonzernen und der Ausbreitung von Vorurteilen, Nationalismen, Xenophobie. Nur dort, wo ein gewisser Rest von Aufklärung und „Kultur“ vorhanden ist, können die Menschen genug Antikörper gegen die digital beförderte Ausbreitung von stumpfen rechten Welterklärungen bilden – sonst passiert bald wieder ein Betriebsunfall wie der Brexit oder Bolsonaro.