LOVE A

Foto© by Lucja Romanowska

Unsinn, Freundschaft, Unvermögen

LOVE A sind ein Phänomen: In den seltsamsten Kontexten bin ich in den letzten Jahren auf Menschen gestoßen, die LOVE A mit schwärmerischem Unterton als Lieblingsband bezeichneten. Quittiert wurde das von mir mit erstauntem Hochziehen der Augenbrauen, denn – irgendwie – sind LOVE A doch gar nicht so der Stoff, aus dem Headlinerbands gemacht sind: musikalisch kein Stück beliebig, nicht aufdrängend, nicht von penetranter textlicher Schlichtheit im Gewand großer Worte. Sie sind wohl sowas wie ein gar nicht mehr so geheimer Geheimtipp, eine Club-Band für Mitglieder des Clubs des guten Geschmacks, eine Bandvorliebe, mit der man nicht hausieren geht. Und vor allem sind sie so vertraut: zig mal schon gesehen, gesprochen, und mit Jörkk ein Sänger, den ich einst kennen lernte, als er sich vor 23 Jahren beim Ox als Praktikant bewarb (erfolgreich) und danach nie wieder aus meinem Leben verschwand. Distanz? Nicht möglich, nicht nötig, nicht erwünscht. Ich sprach zuerst mit Jörkk (Hamburg), kurz darauf mit Dominik und Karl (Trier) – Stefan war verhindert – über das Leben, die Musik und das neue Album „Meisenstaat“.

Jörkk, ich sehe dich mit Kippe auf dem Balkon sitzend. Ich dachte, du hättest allen Lastern abgeschworen und wärst jetzt antialkoholischer Veganer? Gewisse Nachrichten von dir hatten diesen Eindruck erweckt.

Für drei lange Monate stimmte das, da habe ich keinen Alkohol und kein Fleisch konsumiert. Und vegan, wo es mir möglich war. Fleischentsagung und Alkoholentzug aus gesundheitlichen Gründen – da fett geworden über die Pandemie. Ich habe meinen Fleischverzehr insgesamt nun stark reduziert – dafür, dass ich so ein harter Verfechter dessen war.

Also war das eher der Versuch, ob man das schafft? So eine Art Mutprobe?
Ja, wie Punk. Und nur eine Phase. Mich hat das genervt, dass es gerade Anfang des Jahres war, aber ich hatte so schlimm zugenommen, dass es vernünftig war, mal den Körper auf Vordermann zu bringen und zu entgiften. Von dieser Phase ist tatsächlich viel geblieben, zum Beispiel würde ich mir keinen nicht-vegetarischen Burger mehr braten zu Hause. Hackfleisch ersetze ich auch komplett. Ich bin da sehr stolz auf mich. „Jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt.“

Große Weisheiten des Meisters. Euer letztes Album, das vierte, kam im Sommer 2017, „Nichts ist leicht“. Jetzt haben wir das fünfte Album und es ist fünf Jahre später. Gefühlt leben wir heute in einer anderen Welt. Du warst damals noch jenseits deines Musikerdaseins beruflich im Musikbusiness tätig. Jetzt plagen wir uns immer noch mit Corona herum, du hast mit TRIXSI eine Drittband, bist raus aus dem Musikjob – es hat sich viel verändert.
Absolut. Für mich sowieso generell und vielleicht kommt es mir auch noch mal intensiver vor, weil meine Welt sich in so vielen Bereichen komplett geändert hat. Eben beruflich und durch TRIXSI. Man hat sich andere Aktivitäten gesucht, ich bin viel mehr zum Outdoor- und Familienmensch geworden. Also weniger Kneipe, Konzerte, durchzechte Nächte, stattdessen Spaziergänge, angeln gehen, mit der Familie was machen. Auch durch die Entgiftung, sowohl was Alkohol als auch Drogen betrifft, hat man einfach einen anderen Lebensstil und Lebensrhythmus, da tickt die innere Uhr ganz anders, man ist anders aktiv. Man sagt ja immer, Drogenabhängige muss man aus dem Milieu rausholen. So war es bei mir auch. Es war natürlich leichter, nichts zu trinken, wenn man nicht dreimal die Woche bei einem Konzert ist und am Wochenende noch zwei spielt.

Zum damaligen Jörkk passte das ganz gut, immer in Aktion und Party. So kannten dich ja viele Leute irgendwie. Wieso kam dann der Punkt, an dem du sagtest: So Leute, keinen Bock mehr auf den Scheiß. Woher kam die Erleuchtung?
Ich glaube, ich habe wie viele andere in einer gewissen Routine gesteckt, die ich auch gar nicht negativ sehen will, auch wenn die sicherlich körperlichen Raubbau bedingte bei mir. Vor allem aber war es eine Routine, von der wir jetzt gerade merken, dass die nicht mehr in dem Maße vorhanden ist wie vor Corona – man sieht es am vielfach schleppenden Ticketverkauf. Auf Konzerte gehen, das war eben, was man so gemacht hat. Man hat geguckt, was spielt als Nächstes, da geht man hin mit seinen Freunden. Ich ging ja auf Konzerte, wie andere Leute in die Kneipe gehen. Ich habe mir auch nicht mehr nur Lieblingsbands rausgesucht, sondern das lief nach dem Motto: Ach, die spielen am Mittwoch, ja, da gehen wir hin, und dann war das eben der Ort, wo wir uns getroffen und Bier getrunken haben. Diese Routine ist nun weggefallen, und ich glaube, viele haben sich neue Routinen gesucht in den letzten zwei Jahren. Das muss sich jetzt erst wieder finden. Ich glaube, wir haben viele verloren von unserer Generation, also zwischen 35 und 55 oder so, die sind jetzt in einem anderen Rhythmus drin, mit anderen Aktivitäten. Und es ist fraglich, ob wir die alle wieder zurückgewinnen für diese Live-Musikszene.

Dann war die Corona-Pause also letztlich der Auslöser für die Veränderungen bei dir?
Na ja, eigentlich nicht. Tatsächlich könnten wir sogar das OxFest im März 2020 als Datum nehmen, das war für LOVE A das letzte Konzert bis jetzt, Ende Juni 2022. Da ging das los mit meiner Depression. Das hatte viel zu tun mit Lebensumständen, etwa dass ich im Job nicht mehr so richtig Bock hatte ... Es hatte viele Gründe und wurde natürlich verstärkt durch Drogen und Alkohol. Erst mal habe ich mir eine Auszeit gegönnt, ich musste mal nachdenken. Als irgendwann die Genesung in Sicht war, als ich mich neu sortiert und neu aufgestellt hatte, sah es alles zunächst ganz schön aus. Aber da kam erst richtig der Corona-Break und hat mir wieder die Luft genommen. Ich war da aber schon drin in diesem Sich-Ändern, und so war das für mich nicht so ein Schlag, sondern quasi eine erzwungene Verlängerung der Pause, des Innehaltens. Das hatte für mich viele Vorteile, eben weil ich nicht direkt wieder mit beiden Beinen reingesprungen bin in das alte Leben. Aber nach einer gewissen Zeit ergaben sich für mich die gleichen Nachteile wie bei allen anderen auch, dass einem ein bisschen die Decke auf den Kopf gefallen ist, dass man Dinge vermisst hat und insgesamt umdenken musste.

Du hat eben das Wort Depression verwendet. Mit Dennis vom Fuze Mag sprach ich eben noch davon, wie präsent das Thema seelische Gesundheit bei vielen Bands und und in vielen Interviews derzeit ist. Bisweilen kommen einem fast schon Zweifel, ob das wirklich so viele Leute betreffen kann.
Für mich war das auch immer sehr fern. Ich glaube, bei mir hatte das was mit dem Lebenswandel zu tun, dass ich mich immer mehr gestresst habe. Das ging halt einfach nicht mehr. Ich hätte mehr und mehr und irgendwie auch anders Verantwortung übernehmen müssen für Familie und und Job. Und habe mich dann komplett aufgerieben wie ein junger Springinsfeld und mit Drogen vollgeballert. Ich glaube, das hatte bei mir tatsächlich viel mit Drogen und Erschöpfung zu tun. Aber eigentlich habe ich bis heute immer noch so einen spöttischen Blick drauf, wenn das Thema Burnout und Depression aufkommt. Ich neige dazu, so ein bisschen kritisch da drauf zu gucken, und denke mir, na ja, dann lass halt das Handy abends mal aus, schlaf mal wieder acht Stunden am Stück und dann sehen wir mal wieder weiter. Also ich neige auch dazu, das so ein bisschen zu belächeln, und habe auch das Gefühl, dass das einfach sehr zunimmt. Aber vielleicht ist es wirklich so, dass es echt sehr zunimmt. Ich glaube halt, dass ich ganz klar selber schuld bin daran, wie es mir erging. Also, dass man vieles nicht hören wollte. Dass man da dann nicht rauskommt und irgendwann überfordert ist. Was ja auch mit dem Alter zu tun haben kann. Es ist halt so, dass man vieles leichter wegsteckt mit paarundzwanzig.

Du sagtest, du hättest gar nicht für dich angenommen, dass du möglicherweise ein Kandidat für diese Diagnose wärst. Das ist ja ungefähr so, als ob man an sich runterschaut, sich vor den Spiegel stellt, einen gewissen Bauchansatz wahrnimmt und sagt: Jaaaaa, aber das passt doch noch ... Außenwahrnehmung und Selbstwahrnehmung und das Bewusstwerden darüber ist eben ein langer Prozess.
Also ich glaube, es ist wichtig, darüber zu reden, aber andererseits hat das auch was von Krankheiten oder Symptome googlen, plötzlich hast du viel mehr als vorher. Und ich glaube, durch das ständige darüber reden gibt es auch viel mehr Leute, die auf die Idee kommen, das zu haben. Ich weiß auch nicht, wie man das messen kann, ob jemand wirklich depressiv ist oder nur mal ein halbes Jahr kein Kokain nehmen oder eine toxische Beziehung beenden sollte – oder vielleicht den Job wechseln, weil er unzufrieden ist. Das muss ja alles keine Depression sein, das sind Sachen, die man selber vielleicht in den Griff kriegen kann und die früher gar nicht als solche bezeichnet wurden.

Ich thematisiere das auch deshalb, weil auf dem Album der Song „Will und kann nicht mehr“ ist, der vorab veröffentlicht wurde. Texte können ja rein fiktiv sein, aber das klang für mich schon sehr autobiografisch.
Das hat oft den Anschein ... Ich merke immer wieder, wie toll das ist, wenn man kleine Empfindungen und ganz pointierte Momentaufnahmen niederschreibt. Ich habe diesen Text im Studio geschrieben, und ich glaube, es war so ein ermüdender Tag und es stand noch so viel an, und das sollte noch fertig werden. Und das war dann so ein „Will und kann nicht mehr“-Moment. Wobei mir aber, während ich es aufgeschrieben habe und es zunächst für total trivial hielt, aufgefallen ist, dass das auch auf meine Lebenssituation passt. Da merke ich dann immer, dass keine Empfindung zu gering ist, wenn man das nicht zu direkt beschreibt, um es nicht auf größere Themen oder auf eine andere Ebene zu übertragen. Es wäre aber wirklich Gewäsch, wenn ich jetzt sagen würde, da ginge es um meine Depression, dass ich jetzt wieder frei durchatmen könnte. Und es ging auch, nicht darum, keine Maske mehr tragen und nicht mehr in einer Pandemie leben zu wollen, sondern es war, glaube ich, viel trivialer. Ich habe noch kurz gehadert mit dem Text und dachte dann aber, wenn man es einfach so stehen lässt und ein paar Sachen drumherum strickt, dann kann man das auf viele andere Ebenen übertragen.

Die Frage ist ja immer: Was macht der Künstler und mit welcher Intention tut er es oder glaubt es zu tun? Und wie wird das nachher interpretiert? Wie sehen die Leute das? Und was muss der Künstler möglicherweise nachher mit etwas Distanz eingestehen?
Das stimmt natürlich. Es gibt immer wieder so Sachen, nach denen ich dann im Interview gefragt werde, lange nachdem das aufgenommen, gesagt oder geschrieben wurde. Und auf so eine Frage hin beschäftige ich mich oft erst damit, wenn ich ehrlich bin. Es ist ganz selten, dass ich direkt die Frage beantworten kann, was hinter einem Text steckt. Dann muss ich erst darüber nachdenken, das passiert oft. Ich habe gemerkt, dass ich, wenn ich mir intensiv Gedanken dazu mache, deshalb nicht unbedingt die qualitativ besseren Texte schreibe oder solche, die tiefere Empfindungen hervorrufen. Seitdem mache ich mir nicht mehr so viel Stress damit. Bewusst beschäftige ich mich eher damit, ob ich probieren soll, das mal dunkel zu singen, oder mache ich die Mechenbierkeife oder wie phrasiere ich das? Dass sich über den Inhalt jemand eine andere Bedeutungswelt erschließen kann, davon gehe ich mittlerweile aus.

Nun ist es ja so, dass es Bands gibt, deren Songtexte man liest, mit Jahrzehnten Distanz, und sich denkt, da war jemand mit 21 schon ziemlich genial. Deine Bandgeschichte hat ja eigentlich erst relativ spät in deinem Leben angefangen, mit Anfang zwanzig warst du beim Ox noch der Spezialist für Bands mit Flammenhemden. Diese Tiefe kam irgendwie erst ein ganzes Stück später – oder war das früher schon ein Teil von dir, den du aber ganz gut versteckt hast?
Das war damals vor allem Verunsicherung. Wenn ich heute lese, was ich damals geschrieben habe, dann ist das so großmäulig wannabe-verrückt. Das hat viel mit Unsicherheit und mit Zweifeln zu tun. Aber Tiefe bekommt man ja oft auch unterstellt. Wenn jemand den ganzen Abend nichts redet, dann sagen die Leute, was für ein nachdenklicher, deeper Typ. Aber vielleicht hat der auch einfach nichts zu sagen. Ich frage mich nach einer Party, ob ich wieder jemanden vollgetextet haben, und hoffe nur, keinen Quatsch erzählt zu haben. Wenn ich nichts mache, kann ich nichts falsch machen. Und wer viel macht, kann viel falsch machen, hahaha. Und man kann viel lernen dabei. Fehler sind ein tolles Werkzeug, um Folgefehler auszumerzen.

Im letzten Ox findet sich ein Interview mit MUFF POTTER, und Nagel/Thorsten schrieb für die die Texte, da war er noch keine zwanzig. Viele Leute fangen sehr früh mit dem Musikmachen an. Bei dir kam das erst irgendwann in den Dreißigern.
Jetzt, wo du es sagst ... Das ist, glaube ich, echt so, dass ich in vielen Sachen spät dran bin. Ich habe auch sehr spät mit Drogen angefangen und glaube, das hat mich auch gerettet. Wenn ich mit 15 an so was drangekommen wäre, hätte ich mich damit kaputt gemacht. Und auch so habe ich mich damit fast kaputt gemacht. Aber so war ich an einem Punkt, wo ich verschiedene Sachen schon einschätzen konnte. Das ist so ein bisschen wie bei einem Kinderstar, der ewig seinen frühen Erfolgen hinterherhechelt. Rückblickend bin ich froh, dass es bei mir stattdessen mit dem Alter besser wurde. Mit Gelassenheit und aus einem Gefühl von Sicherheit heraus etwas zu machen, das ist gut. Aber ehrlich gesagt kann ich das auch gar nicht so einschätzen. Ich freue mich, wenn ich das höre, aber ich behaupte das ja nicht von mir. Ich mag, was ich mache, sonst würde ich mich damit nicht auf eine Bühne stellen. Aber welche Qualität das nun hat oder nicht, wie vielen Leuten das Freude macht, das kommt ja alles von außen.

Nun ist euch als LOVE A wie vielen anderen Bands auch das Virus zur Unzeit reingegrätscht. Denn mit und nach dem letzten Album von 2017 kamen kontinuierlich mehr Leute zu euren Konzerten, auch mal 600, 700. Und dann kam das fiese Geräusch einer Notbremsung und es ging gar nichts mehr.
Es ist tatsächlich spannend, darüber nachzudenken. Ich hatte ja damals bei PASCOW das Gefühl, dass es denen unheimlich gutgetan hat, dass sie zwei Jahre gebraucht haben, um sich zu überlegen, ob sie weitermachen, und bis sie dann das Album fertig hatten. Diese Abwesenheit hat wie so eine künstliche Verknappung gewirkt. Die waren ja gut dabei bis zu diesem Zeitpunkt, aber plötzlich so groß zu werden, das war sehr krass. So ein Gefühl hatte ich jetzt bei den ersten Reaktionen, die kamen, als wir gesagt haben, wir machen ein neues Album. Aber gut, vielleicht freuen sich die Leute einfach, dass wieder was passiert. Klar war diese Unterbrechung durch Corona für uns schade, weil es gerade so gut lief. Aber das war für keinen von uns schmerzhaft, weil wir nicht auf die Kohle angewiesen waren. Es war aber schlecht für die Leute, die mit uns arbeiten, also Audiolith im Booking und Rookie Records als Label, weil wir da ein funktionierender Teil ihres Geschäftsmodells sind. Ich hatte das Glück, dass ich immer was zu tun habe. So konnte ich selbst in der Pandemie mit Lasse noch als SCHRENG SCHRENG & LA LA spielen. Lachen und klatschen kann man auch im Sitzen im Biergarten. Und ich hatte hier in Hamburg noch TRIXSI, wo ich auch mal in den Proberaum gehen, Musik machen und ein Bier trinken konnte. Für uns als Freunde bei LOVE A war die Unterbrechung natürlich schade, aber Karl und Dominik haben in Trier zusammen mit Mike von Maffay Musik gemacht, Karl hat zu Hause mit DEAD SOUND ein paar Sachen „gebastelt“ und hier und da gespielt. Und Stefan hat mit seiner Familie immer gut zu tun – wenn mal nichts mit der Band stattfindet, ist er, glaube ich, der, der am wenigsten leidet. Wir hatten also alle unseren jeweiligen „Playground“. Und wir waren so gefestigt als Band, dass wir wussten, es geht weiter, wenn es weitergeht. Und so haben wir auch über zwei Jahre hinweg die Platte aufgenommen, ganz ohne Stress und ganz für uns, ohne irgendjemanden von außen draufgucken zu lassen. Das fand ich schön, dass wir das alles komplett mit uns ausgemacht haben.

Ein interessanter Aspekt. Ich hörte zuletzt eher Aussagen in der Art, dass die fehlenden Konzerte und auch Einnahmen viele Bands eher unter Druck gesetzt und auseinandergetrieben haben.
Solche Ängste oder so einen Druck hatte keiner bei uns. Und was die Erwartungen wegen des neuen Albums betrifft, gab es auch keinen Druck. Schon beim letzten Mal nicht, dafür ist das alles zu gut eingespielt. Familienplanung kam ja auch noch dazwischen bei drei Leuten und da hat man sowieso mit Pausen zu rechnen, auch ohne Pandemie. Von daher ist es uns gar nicht so aufgefallen, dass da nichts ging, außer dass man eben nicht live gespielt hat. Das hat uns schon gefehlt.

Deine Hamburger Band TRIXSI, zu der wir dich im letzten Ox interviewt hatten, kam ja erst nach dem letzten Album ins Laufen, also erst nach 2017.
Wegen der Familienplanung und durch meine Depression hatten wir viel weniger live gespielt mit LOVE A, und dadurch haben sich einfach Zeitfenster aufgetan.

Und es kam zum Seitensprung.
So ungefähr. Es hat sich so ergeben. Bei HERRENMAGAZIN und bei FINDUS war da ja auch eine Umbruchsituation, es ging dann mit SHATTEN weiter, und so war da Zeit für und Lust auf eine neue Band.

Diese Distanz von fünf Jahren zwischen dem letzten und dem neuen Album, wie hat sich das ausgewirkt? In fünf Jahren kann sich der eigene musikalische Geschmack sehr ändern.
Ich glaube tatsächlich, dass sich nicht viel geändert hat. Mit „Nichts ist neu“ hatten wir, glaube ich, final unsere Ideen in Sound gegossen. Von uns hat ja auch keiner Lust, ein Doom- oder Dubstep-Album zu machen. Wir machen eben immer „unseres“, und das ergibt sich daraus, wie Stefan Gitarre spielt, wie Dominik Bass spielt, wie Karl Schlagzeug spielt und wie ich singe. Da sind nur Nuancen an Abweichungen oder an Weiterentwicklung innerhalb dieser Band möglich. Wir als LOVE A werden also keine Soul-Platte oder so was wie SUPERPUNK machen, völlig undenkbar. Das ist unsere Band, unsere Gangart, unsere Herangehensweise. Man könnte uns unterstellen, wir machen diesen Sound, weil das funktioniert. Tatsächlich aber machen wir das, weil wir nichts anderes können. Mit meinen Texten ist das nicht anders. Ich habe mir angewöhnt, diesen speziellen Blick auf die Welt und die Dinge einzunehmen, wenn ich Texte für LOVE A schreibe. Bei SCHRENG SCHRENG & LA LA sind es Gefühle, bei TRIXSI ist es Humor, und bei LOVE A ist es Kritik oder Dunkelheit, Hoffnungslosigkeit oder so. Man gewöhnt sich das so an, ich käme nicht auf die Idee, für LOVE A etwas total Albernes zu machen. Was nicht heißt, dass wir als Band nicht total viel lachen oder Blödsinn machen. Jeder von uns weiß, was er zu machen hat für dieses Vehikel.

KNOCHENFABRIK?
Ich bin sehr stolz darauf, dass wir ein Video haben, in dem Claus dabei ist. Und dass wir die jetzt quasi im Albumtitel verewigt haben.

Du hast meine Anspielung sofort verstanden, gut. Euer neues Album heißt „Meisenstaat“, das legendäre KNOCHENFABRIK-Album „Ameisenstaat“.
Es war alles zunächst ein dummer Witz – von Karl. Also ein Schlagzeuger-Witz auch noch zu allem Elend, haha. Wir saßen so zusammen und haben herumgekalauert, und da kam eben das dabei raus. Wir mussten sehr lachen. Es ist ein blöder Witz für Kenner.

Du hast mit „Analog ist besser“ einen Text geschrieben, den man als Aufruf zur Social-Media-Abstinenz verstehen könnte. Gab es einen konkreten Anlass?
Also auf jedem Album ist ja so ein technophober Text. Einen Anlass gab es nicht. Und wie ich schon scherzhaft gesagt habe, so einer ist auf jedem Album drauf. Wir hatten damals etwa „Modem“. Ich verweise immer gerne darauf, dass ich einer Generation angehöre, die beides kennt, also noch das Analoge und das Digitale. Ich bin ja selbst Opfer, mache mit bei dem ganzen Social-Media-Ding. Aber der kritische Blick, der kommt einem nie abhanden. Das ist schon ein Thema, das einen permanent interessiert. Meine Tochter ist 15, und ich kann gar nicht beschreiben oder verstehen, wie die das alles wahrnimmt mit Social Media und so weiter. Mir ist bewusst, dass jene, denen dieses Wissen um das Vorher fehlt, eine ganz andere Wahrnehmung haben, dass da eine andere Selbstverständlichkeit existiert. Und was ich dazu sage, klingt natürlich, wie wenn Opa vom Krieg erzählt. Es ist einfach ein Thema, das einen permanent beschäftigt. Und bei dem Song jetzt, der etwas dunkler gesungen ist, da habe ich einen den Text gebraucht, der zu diesem Gesang passt. Und so habe ich das ewige Thema dann noch mal aufgegriffen, das uns alle immer noch umtreibt. Es ist einfach permanent aktuell, all die Veränderungen, Gefahren und Chancen und was einen daran aufregt. Das Thema gehört für mich dazu, das ist etwas Alltägliches.

Wenn wir schon bei Social Media sind ... Als wir was zu TRIXSI gepostet haben, wurde zu deinem Zitat „Ich werde 45 und habe immer noch Angst, dass irgendwas nicht Punk genug ist“ kommentiert: „Das sind doch gar keine Punks, das sind Hipster.“ Das ist wohl mal wieder ein Fall von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung. Für uns – dich, mich, viele andere – ist klar, dass wir „irgendwie“ Punk und Hardcore sind. Aber dann kommen von außen Leute und treffen so eine Zuschreibung und sagen: „Das sind doch gar keine Punks, das sind Hipster.“ Und was da über TRIXSI gesagt wurde, könnte auch locker auf LOVE A gemünzt gewesen sein. Die Frage ist, wie wir für uns Punk definieren und inwiefern das überhaupt noch irgendwie wichtig.
Es ist überhaupt nicht mehr wichtig. Aber dann doch. Wahrscheinlich war ich nie Punk, aber es war immer schon mein Ansinnen, einer zu sein. Wenn ich Lee Hollis singen höre „You’re not a punk“, dann denke ich: „Ja, scheiße. Wahrscheinlich nicht.“ Ich habe aber eine diffuse Idee davon und sage gerne: „Punk darf alles“. Aber das sagt ja auch nur jemand, der nicht genau weiß, was Punk ist, der aber Punk sein will. Für mich ist das ein Lebensgefühl. Ich könnte jetzt meine eigene Definition ablassen, die aber auch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Dinge kritisch hinterfragen, Individualist sein und so was. Das beißt sich aber auch mit Sachen, die per Definition Punk sind: Nieten, Lederjacke und blaue Haare haben. Aber wenn das alle haben, hat das auch nichts mehr mit Nonkonformität zu tun.

Es funktioniert doch nach wie vor einfach mit Abgrenzung. Du würdest wie ich vehement von dir weisen, ein „Hipster“ zu sein. Das sind nämlich irgendwelche scheiß Typen mit ihren komischen Fat Bikes, die mit ihren Vollbärten im Barbershop rumlungern oder sonst irgendwas. Das sind Hipster, aber doch nicht wir!
Klar! Du mit deiner Brille wärst zu gewissen Zeiten schon Kandidat dafür gewesen, oder wir beide mit unserer Schiebermütze – das kann auch schon reichen, um so beschimpft zu werden. Und das ist ja das Geile, dass so was immer aus dem Punk kommt, solche Beschimpfungen, weil Punk eben einfach auch was sehr Konservatives ist. Punk lässt ja keine Abweichung von der Norm zu. Das ist ja das Absurdeste am Punk überhaupt, weil es sich am meisten mit der eigentlichen Definition von Punk beißt. Sobald man irgendwas anders macht, ist das auf gar keinen Fall noch Punk. Aber warum nicht? Wenn sich jemand was überlegt hat, um andere zum Staunen zu bringen, dann ist es wahrscheinlich Punk, egal ob es dir gefällt oder nicht. Mittlerweile tut einem so ein Kommentar natürlich nicht mehr weh, man sieht das mit immer mehr Humor. Ich musste auch lachen, dass ihr diesen Satz aus dem Interview genommen habt. Das trifft es halt so gut, aber eigentlich ist es auch beschämend, mit 45 so was noch zu sagen. Aber es treibt mich eben immer noch um.

Und jetzt auch noch LOVE A auf dem Ox-Cover – ist das noch Punk? Vielleicht wird das ja die Unterzeile unter dem Logo. Oder was müsste da in Bezug auf LOVE A stehen?
Unsinn, Freundschaft, Unvermögen. Oder vielleicht Ratlosigkeit? Hahahaha!

Wie nimmst du denn das musikalisches Tun deiner Bandkollegen wahr? Und was ist dein Input in die Musik?
Input meinerseits in die Musik gibt es da tatsächlich nicht. Früher, als wir zusammen geprobt haben, da wäre es möglich gewesen, dass meine Ideen berücksichtigt worden wären. Würde ich mich jetzt da einmischen, wäre das so, als wolle das Pferd dem Reiter erzählen, was er machen soll. Das musikalische Tun der drei sehe ich realistisch. Es ist ja allgemeiner Tenor bei uns, dass wir sagen, wir sind Stümper. Ich mache mich da nicht über die lustig. Bei uns macht jeder etwas, das sehr unique ist und das in der Kombination funktioniert. Wir sind alle Musikfans, kennen uns mit Musik ein bisschen aus, aber wir wissen natürlich, dass wir neben einem studierten Musiker, der sein „Handwerk“ gelernt hat, nicht bestehen können. Wir sind alle Autodidakten, die leidenschaftlich schon lange Musik konsumieren und schließlich ihren eigenen Weg gefunden haben. Keiner von uns ist ein großer Virtuose, aber das ist auch nicht der Anspruch. Aber aufgrund dessen, wie viel Erfolg wir haben, ist es manchmal schon nötig das zu sagen: Punks mit Instrumenten und Musiker, das sind zwei verschiedene Sachen.

Und gleichzeitig sagt das natürlich rein gar nichts darüber aus, wie die Musik andere Leute packt.
Mein Vater hat YouTube entdeckt und dann zeigt er mir Videos und sagt, das ist eine Wahnsinnsband, guck dir die mal an! Und dann sehe ich da so vier Weißbrote Mitte sechzig, die Chuck Berry covern. Das ist super gespielt, aber ich stehe da und denke, der kann doch nicht jetzt so eine Coverband abfeiern. Das ist einfach eine ganz andere Sichtweise. Also sage ich: „Die sind super!“

Mit der Absage des Ox-Festivals Ende Mai in Hamburg haben wir leider einige Leute um das Vergnügen gebracht, euch nach zwei Jahren endlich mal wieder live zu sehen. Ihr habt nun den Sommer über ein paar wenige Konzerte gespielt – und neulich die Tour im Herbst auch noch abgesagt, aus persönlichen Gründen.
Was aber auch wiederum nicht so schlimm ist, weil wie du selber gemerkt hast, es kauft ja keiner mehr Konzertkarten. Aber da die Leute alle zu Hause bleiben, glaube ich, dass sich das auf die Plattenverkäufe kaum auswirken wird. Der Grund ist, dass Dominik im Herbst Vater wird, und das verträgt sich nicht mit einer Tour. Und wir müssen eben nicht auf Tour gehen. Das nimmt für uns den Druck aus der Sache und das ist ein Grund, warum wir schon so lange so gut als Band funktionieren. Wir müssen nie irgendwas.

Dann also 2023?
Ja, fürs Frühjahr ist das angedacht. Vier Mal wurde die Tour verschoben, aber wir wollen auf jeden Fall nächstes Jahr mit dem Album touren.

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Dominik und Karl
Gibt es bei euch in der Band eigentlich so was wie ein Organigramm? Wo festgehalten ist, wer für was zuständig ist, ob nun offiziell oder inoffiziell?
Karl: Inoffiziell gibt es das natürlich, aber es ist nirgendwo festgehalten. Jeder hat seinen Bereich, um den er sich gerne oder nicht so gerne kümmert. Zum Beispiel den Steuerkram ... Das hat sich über die Jahre aber irgendwie so entwickelt.

Ich frage das deshalb, weil man dem Booklet ein paar solcher Aspekte entnehmen kann. Du, Karl, bist der Mann mit dem Studio, der also für die Aufnahme zuständig ist, während Stefan für die grafische, gestalterische Seite verantwortlich zeichnet. Und du, Dominik?

Dominik: Jörkk und ich machen nichts, bestenfalls. Wir versuchen möglichst wenig zu machen. Ich fahre auch nicht den Bandbus ... Nein, ich kümmere mich häufig um Social-Media-Sachen. Und bis es vor ein paar Jahren zu viel wurde, habe ich auch unseren Shop gemacht.
Karl: Ich muss mich leider um die Buchhaltung und den Steuerkram kümmern und renne den anderen immer hinterher, dass sie ihre Quittungen, ihre Fahrkarten und alles einreichen. Und mit der Zeit kümmere ich mich nun immer mehr darum, wie es klingen soll. Aufnahmen und so was.

„Wie es klingen soll“ – warum klingt eine Band so, wie sie klingt? Wie konkret besprecht ihr, wie irgendwas klingen soll?
Dom: Eigentlich gar nicht. Natürlich beschäftigt sich Karl damit, wie wir die Aufnahmen machen, und man hat ja eine bestimmte Art und Weise zu spielen. Aber letztlich machen wir uns relativ wenig Gedanken über den Sound, wir unterhalten uns nicht viel darüber, das ergibt sich eher. Und ich glaube, es gibt auch relativ homogene Vorstellungen von unserem Sound innerhalb der Band. Etwa dass wir Hall auf der Gitarre mögen und wenn das Schlagzeug und der Bass eher straight spielen, als dass sie experimentell sind. Es herrscht einfach ein großer Konsens, würde ich sagen.
Karl: Vieles passiert automatisch, wenn wir im Proberaum sind. Stefan macht sich Gedanken darüber, wie die Gitarre klingen soll, ich mache mir Gedanken darüber, wie das Schlagzeug klingen soll, und dadurch, dass ich stärker in den Aufnahmeprozess eingebunden bin als die anderen, weil wir nicht so oft alle zusammen im Studio waren, hatte ich etwas mehr eine Vorstellung, wie das Ganze am Ende klingen sollte. Wir hatten Aufnahmen im Proberaum gemacht und ich fand die Sachen von Anfang an gut – die anderen hatten auch mal Zweifel, ob das wirklich so gut ist.
Dom: Ich fand es erst gut, nachdem Robert Whiteley es gemixt hatte.
Karl: Vielleicht habe ich ein bisschen mehr eine Vorstellung davon, wie sich das am Ende anhören könnte. Also wenn jemand mit richtigen Skills da ran geht, wie Robert zum Beispiel.
Dom: Ich glaube, dass Karl schon vor uns wusste, wohin die Reise geht. Wir haben mal vor den Aufnahmen über den Sound gesprochen und diskutiert, bei welchen Songs von früheren Alben wir den Sound mochten. Und dass es cool wäre, wenn es noch mal in diese Richtung ginge.
Karl: Es besteht Einigkeit innerhalb der Band, wie das Ganze klingen soll. Nur wie wir dahin kommen, das ist eine andere Sache.

Aber wie verbalisiert ihr das? „Mach mal die Gitarre mehr so chingchingching.“
Dom: Das kommt dem schon sehr nahe. Oder: Könnten wir das Schlagzeug ein bisschen künstlicher klingen lassen, damit das mehr so einen Eighties-Charakter hat? Mehr Gain auf die Gitarren, dann könnte das so ein bisschen mehr DINOSAUR JR. sein. So was hatten wir bei den Aufnahmen zur letzten Platte, auch wenn es der Song nicht aufs Album geschafft hat. Also es passiert häufig, dass man während des Spielens merkt, dass ist rund, das macht Sinn. Und im Diskurs darüber ergeben sich auch bestimmte Referenzen. Wir hatten bei den Aufnahmen zum vorherigen Album einen Song, der hatte den „Pilotennamen“ „Estranged“ – der hieß so, weil wir fanden, der klingt ein bisschen wie ein Song von ESTRANGED. Wir haben also solche Referenzen und reden darüber, auch wenn man natürlich niemand nachmachen will.

Wer hat von euch so viel Wissen, um umzusetzen, dass etwas auch so klingt, wie man das diskutiert und sich vorgestellt hat?
Dom: Am ehesten Karl, würde ich sagen. Also ich beschäftige mich gar nicht damit. Ich bin eigentlich ein Freund davon, es so puristisch wie möglich zu halten – Robert hatte uns beim letzten Mal den einen oder anderen Effekt gegeben. Ich habe ja eher einfache Vorstellungen, sowohl von dem, was gespielt wird, als auch davon, wie es letztlich zu klingen hat. Mittlerweile bin ich aber lockerer geworden und ganz froh darüber.
Karl: Wenn ich irgendwas höre, was mir gut gefällt oder wo ich finde, das könnte für uns auch passen, dann denke ich schon, dass ich da irgendwie einen Weg finden könnte, etwa die Gitarre so klingen zu lassen. Darüber zu reden ist natürlich nicht so einfach, aber heutzutage kann man sich ja auch mal eben bei Spotify was anhören, ohne dass man erst lange darüber diskutieren muss.

Was für eine Art von Meinungsbildungsprozess war für dieses neue Album angesagt? Diskutiert ihr, was ihr an der letzte Platte super fandet, was nicht, und was anders werden muss?
Karl: Wir haben uns natürlich im Vorfeld darüber unterhalten, nur ist das schon alles sehr lange her, denn die ersten Sachen für die Platte haben wir schon vor über zwei Jahren aufgenommen. Das hat sich ewig hingezogen. Wir haben uns also darüber unterhalten, und es wurde klar, dass wir nichts komplett anderes machen werden, weil wir auch nicht viel anderes machen können. Über die Jahre hat sich so eine Art Bandsound herauskristallisiert oder entwickelt, auf den wir alle sofort klarkommen, wenn wir im Proberaum sind. Das hängt ganz eng mit dem Songwriting zusammen. Songs zu schreiben, die live komplett anders klingen, das wäre nichts für uns. Das Coole an der Platte ist, dass wir diesmal wirklich jeden Song alle zusammen im Proberaum geschrieben haben. Nur aufgenommen haben wir sie dann später separat, wegen der örtlichen Entfernung und Corona und allem Möglichen, aber die sind im Proberaum entstanden. Und die finalen Texte von Jörkk entstanden im Studio, bei den wichtigen Sachen waren wir alle zusammen. Natürlich haben wir uns vorher darüber unterhalten, wie die Platte klingen könnte, aber das hat sich aus den Songs ergeben, die waren schon vorher da.
Dominik: In meiner Erinnerung war es auch so, dass wir so wenige Vorstellungen von der Platte hatte wie nie zuvor, weil wir sehr selten geprobt hatten wegen Corona. Die Songs sind auch in einem großen zeitlichen Abstand entstanden. Da sind Lieder dabei, die unmittelbar nach den Aufnahmen zu „Nichts ist neu“ entstanden sind, also schon vier, fünf Jahre alt sind. Und es sind Lieder dabei, die ein halbes Jahr alt sind. „Meisenstaat“ ist dadurch unsere heterogenste Platte. Das lief nicht so, dass wir entschieden hätte, das soll jetzt mal kühl nach Eighties klingen oder so. So ein geplantes Vorgehen hat bei uns gar nicht stattgefunden. Ich fand den Sound der letzten Platte gut, besser als den von den Platten davor, und da sind Songs wie „Unkraut“ oder „Nichts ist leicht“, die klingen runder als andere – und ich sagte, es wäre cool, wenn die Platte wieder so klingen könnte. Viel mehr hat an Sounddiskussion gar nicht stattgefunden.

Seid ihr eine Harmonie-Band?
Karl: Ja, das kann man schon sagen. Aber nicht dass das irgendwie erzwungen wäre, sondern es ist ein relativ harmonisches Miteinander, auch wenn man natürlich manchmal anderer Meinung ist.
Dominik: Wir machen das ja auch schon lange. Nach zwölf Jahren ist klar, wo man Schnittmengen sieht und wo nicht. Und wenn man nicht genug Schnittmengen, keinen Konsens und keinen guten Umgang miteinander hätte, dann würde man es auch nicht so lange und so gerne machen.
Karl: Es ist ja längst schon nicht mehr so, dass wir täglich miteinander abhängen. Das war eine Weile am Anfang so, aber das ist jetzt durch das Leben nicht mehr so und von daher genießen wir die Zeit, die wir miteinander haben.

Es gibt dazu aber auch krasse Gegenentwürfe, also Bands, die zwar zusammen auf der Bühne stehen, wo aber gefühlt alles Kampf und gegeneinander ist, wenn man sich mal Interviews und bei größeren Bands Bücher dazu durchliest. Härtestes Beispiel sind da vielleicht die Gallagher-Brüder von OASIS.
Karl: Die Gallaghers sind eben miteinander verwandt und das ist noch mal eine Nummer krasser, da kann es immer ordentlich knallen.
Dominik: Aber es ist bei uns auch harmonischer geworden. Am Anfang gab es schon manchmal mehr Reibung, dass man auch mal eine Stunde darüber diskutiert hat, ob da jetzt nicht doch ein Akkord mehr hin muss oder so. Für so was haben wir einfach keine Zeit mehr, dafür arbeiten wir zu schnell. Wir haben heute eine klarere Vorstellung davon, wie es klingen soll und was wir können. Wir haben einen Rahmen, in dem sich alles bewegt, und der macht vieles einfacher, auch wenn er vielleicht große Überraschungen verhindert. Aber die brauche ich persönlich nicht, auch als Musikkonsument nicht.

Werden wir doch mal philosophisch: Wird die Funktion einer Band für das Erlernen des verträglichen Umgangs miteinander allgemein gesellschaftlich unterschätzt? Wenn du einen normalen Job hast, da gehst du nach Hause und denkst: Gut, dass ich die Arschlöcher erst morgen um neun wiedersehen muss. Das ist eben ein erzwungener Kontext. Aber als Band kommt man freiwillig zusammen und weiß, dass man sich permanent mit drei, vier anderen Leuten irgendwie einigen muss.
Karl: Solange kein Arschloch dabei ist, geht es halt. Es ist ja tatsächlich so, auf der Arbeit, in Vereinen – und so ist es auch bei Bands. Als Band verbringt man sehr viel Zeit miteinander und natürlich können einem Eigenschaften bei den anderen auf den Sack gehen, die eigentlich gar nicht so schlimm sind. Das kann sich schon hochschaukeln. Und dass sich die Leute auch mal an die Gurgel gehen, ist nachvollziehbar.
Dominik: Genau. Auf langen Busfahrten. In langen Nächten.

Wollt ihr mir verraten, was euch untereinander manchmal so ein bisschen nervt?
Dominik: Wir haben zweieinhalb Jahren kein Konzert mehr gespielt. Ich glaube, mittlerweile überwiegt wirklich die Freude des Sich-gegenseitig-Sehens. Aber es gab natürlich Phasen, wo die Vorstellungen, wie man sich an so einem Bandwochenende verhält, auseinandergingen, wo der eine ruhiger war als der andere und schlafen wollte und der andere auf Aufputschmitteln die Nacht durchquasselte. In dem Moment ist man mal genervt.
Karl: Aber das ist alles keinen Streit wert. Und ja, wir sind eine harmoniebedürftige Band.
Dominik: Würde ich auch sagen. Wir sind sehr gelassen geworden mit den Jahren.
Karl: Und es gibt auch niemanden mit einem Riesen-Ego, der sich oder der Welt unbedingt irgendwas beweisen muss. Wir haben ja auch keine großen Ambitionen oder so. Wir machen unser Ding.

Gutes Stichwort: Vor Corona kamen auch mal über 500 Leute zu euren Konzerten und haben euch massiv abgefeiert. Da entwickelt man keine Ambitionen?
Dominik: Wir freuen uns darüber, dass sich das so entwickelt hat. Ich würde unter „Ambitionen“ verstehen, dass man irgendwo hin will und man dafür bereit ist, was zu tun. Aber wir sind schon froh, Alben veröffentlichen zu können und Konzerte zu spielen, zu denen Leuten kommen, und wo wir dann bestenfalls nicht auf einem WG-Boden, sondern vielleicht in einem Hotel schlafen können. Das ist auch gar nicht so schlecht in unserem Alter, haha. Also das sind unsere Ambitionen, keiner will mehr irgendwo hin, das muss nicht größer werden, und wenn es ein bisschen kleiner wird, ist es auch nicht schlimm. Um Ambitionen zu haben, müsste man ja auch was dafür tun – und wir proben ja nicht mal, also sehr selten. Man freut man sich dann umso mehr, wenn man dann doch mal was macht.
Karl: Wir sind einfach ziemlich faul.

Mit Corona kam nun zu Faulheit und fehlenden Ambitionen auch noch ein bisschen Pech und Familienplanung dazu. Ihr spielt zwei Konzerte, dann kommt die Platte und ... keine Tour.
Dominik: Ja, da kamen ein paar Sachen zusammen. Ich werde Vater im Herbst, es gibt ein paar gesundheitliche Befindlichkeiten innerhalb der Band, und so ist das einfach blöd gelaufen. Im Frühjahr 2023 spielen wir wieder Konzerte und hoffen, dass dann trotzdem Leute kommen. Und dass man ein Album veröffentlicht und dann drei Wochen später auf Tour geht, ich glaube, das ist heutzutage gar nicht mehr so nötig. Das hat sich ein bisschen verändert, gerade wenn man Bands aus den USA oder aus England anschaut, die kommen mittlerweile oft erst ein Jahr nach dem Release nach Deutschland und die Konzerte sind trotzdem gut.
Karl: Dominik hatte angeboten, dass wir uns jemand anders suchen können für die Tour, aber das kam für uns nicht infrage.

Ihr habt also trotz Band viel Freiheit. Ich denke, es ist ein wichtiger Aspekt, dass die Band eben nicht an zwanzig Wochenenden im Jahr das Leben dominiert, oder?
Karl: Genau deshalb gibt es uns noch. Mit anderen Ansprüchen würde das gar nicht funktionieren.
Dominik: Wir haben uns Möglichkeiten geschaffen, mehr Musik zu machen, als LOVE A das hergeben. Jörkk ist ja sehr umtriebig, und wir haben auch in anderen Konstellationen Konzerte gespielt und Platten gemacht. Mit MATCHES entstand so 2018 eine Rock-Platte. Karl hat 2019 mit DEAD SOUND eine Platte gemacht, da habe ich dann live mitgespielt. Da war also trotz Corona genug zu tun in Sachen Bands.
Karl: Bei MATCHES spielt Dominik Bass und zwei andere Freunde sind auch dabei. Ich spiele Gitarre. Komischerweise haben Dominik und ich drei Bands zusammen, von denen aber keine probt, haha. Und auch keine spielt live – ideal.

Karl, kannst du uns was erzählen zu deiner Studioarbeit? Wie ist deine Rolle diesbezüglich in der Band? Wie muss man sich das Studio vorstellen?
Karl: Das ist eigentlich unser Proberaum, mit einem kleinen Raum nebenan, da steht der Aufnahmekram. Das Ganze ist in einer stillgelegten Metzgerei. Wir sind also in der alten Schlachterei, die Wände waren gekachelt. Im Winter ist es da schweinekalt und im Sommer auch. Ich mache das ja nicht hauptberuflich, das hat sich nur so neben der Band entwickelt, ich bin da mit zwei anderen zusammen. Ein Freund von uns, bei dem wir viele Sachen für die letzten Platten aufgenommen haben im Exhaus in Trier, der ist da raus, weil das Gebäude ja nicht mehr genutzt werden kann. Der hat das Aufnehmen dann aus familiären Gründen aufgegeben, und so haben wir seinen Kram übernommen. Das ist nichts Besonderes, aber schon vernünftig. Die Platte klingt ja hauptsächlich deshalb so gut, weil Robert die gemischt hat.

Du wirst aber als Produzent genannt.
Karl: Ich bin tatsächlich der Einzige in der Band, der bei jedem einzelnen Ton, der aufgenommen wurde, dabei war. Und wir waren auch nicht so oft zu viert im Studio, vielleicht an zwei, drei Wochenenden. Das Schlagzeug etwa habe ich alleine aufgenommen. Und ich war auch derjenige, der den Überblick hatte über die ganze Sache und der organisieren musste, wer wann Zeit hat. Ich habe einfach, glaube ich, den Überblick gehabt über die Platte. Als Stefan die Credits für die Platte aufschrieb und das Artwork machte, hat er das dann so hingeschrieben.
Dominik: Und wir sagten, ja, passt doch.

Also ist Karl der Steve Albini von LOVE A.
Karl: Ich bin der Typ, der auf Aufnahme gedrückt hat. Oder der gesagt hat: Oh fuck, ich hab Scheiße gebaut. Musst du leider noch mal machen.

Was macht ihr im normalen Leben? Bei Stefan weiß man spätestens seit dem Ox-Interview, dass er als Grafikdesigner aktiv ist.
Dominik: Karl und ich arbeiten in Werbeagenturen, ich als Redakteur.

Deshalb bist du auch der Social-Media-Typ bei LOVE A.
Dominik: Wahrscheinlich.
Karl: Ich mache Webdesign, arbeite aber auch mit einer Druckerei zusammen. Ich bin die Schnittstelle zwischen den Kunden und den Kolleginnen und Kollegen.

Mit Jörkk sprach ich gestern über den Kommentar unter einem TRIXSI-Foto: „Das sind keine Punks, das sind Hipster!“ Was seid ihr?
Dominik: Ich habe das auch gesehen und musste bei dem Kommentar schmunzeln. Als wir zuletzt ein Bandfoto posteten, hat jemand drunter geschrieben: „Spielplatz Köln-Ehrenfeld, vier stolze Väter.“ Wahrscheinlich sind wir eher das. Wir entwickeln uns in Richtung langweiliger Boomer.
Karl: Das ist schon witzig, aber eigentlich auch total egal.

In den Playlists der Streamingdienste wird LOVE A aber auch mit dem neuen Album wieder unter Punk/Alternative auftauchen.
Karl: Ja, das ist so seltsam! Unser Digitalvertrieb kümmert sich darum, uns etwa bei Spotify in Playlisten reinzubringen. Und da sind wir dann eben in einer Punkrock-Playlist. Ich würde uns niemals da einsortieren, denn wenn man sich so eine Playlist anhört, dann will man ja doch, dass die Sachen zusammenpassen und sie nicht wahllos zusammengewürfelt sind. Das wirkt fast so, als hätten die sich alle Begriffe, die jemals in Bezug auf uns veröffentlicht worden sind, rausgesucht. Und da steht dann viel öfter Punk als alles andere, was natürlich totaler Quatsch ist. Und schon wird man in so eine Schublade einsortiert.
Dominik: In diesem Spotify-Marketingtool kann man auswählen, welche Playlisten man für einen Song als relevant erachtet. Ich habe, nachdem bei der ersten Single nur Punk-Playlists aufgeführt waren, mich jetzt selbst darum gekümmert, dass die nächste Single auch in anderen Playlists auftaucht.
Karl: Joachim, hast du die Platte schon gehört? Wie findest du sie?

Ich bin ja Fan, und das ist immer schwierig: Ich höre mir die an und denke mir, cool, die neue LOVE A.
Dominik: So geht es uns auch, hahaha!

Bei „Genau genommen gut genug“ hatte ich kurz den Eindruck, da wäre im Intro was von SISTERS OF MERCY. Zufall?
Dominik: Das ist keine Absicht. Aber es ist zumindest etwas, das jeder von uns irgendwann mal gehört haben wird. Mir geht es so, dass ich mich häufig mit einer Platte erst beschäftige, wenn wir sie live spielen müssen. Man schreibt die Lieder, nimmt sie auf und dann beschäftigt man sich erst mal monatelang gar nicht mehr damit, bis irgendwann die Platte erscheint und man die Lieder plötzlich spielen können muss. Und dann fällt mir mit ein bisschen zeitlichem Abstand oft auf, dass man doch irgendwo Sachen geklaut hat. Auf mich selber bezogen ging es mir oft so, dass ich den Eindruck hatte, dass ich ganz viel THE CURE-Bässe geklaut habe. Etwa bei „Kanten“ von „Nichts ist neu“. Das ist eindeutig, aber natürlich keine bewusste Entscheidung, sondern hat einfach damit zu tun, dass man das gerne gehört hat. Und so könnte das auch bei SISTERS OF MERCY sein.

Zu der Platte gibt es ein 90 Seiten dickes Buch. Was hat es damit auf sich? Wer hat’s gemacht?
Dominik: Stefan hat es gemacht. Wir wollten ursprünglich schon vor zwei Jahren eine Jubiläumstour gespielt haben. Das hat sich immer weiter verschoben, aber im Zuge dessen haben wir uns mit der Bandgeschichte auseinandergesetzt und auf Handys und Computern zig Bilder gefunden. Zum Teil lustig, zum Teil schön, zum Teil schrecklich. Also dachte sich Stefan, man kann zum Jubiläum, wenn man schon nicht spielen konnte, ein Fotobuch machen. Bei jeder Bandperiode haben Jörkk und ich dann jeweils ein paar Zeilen geschrieben. Aber der Fokus liegt auf den Bildern, es ist wenig Text.

Warum war es euch ein Bedürfnis, euch so analog zu verewigen? In anderen Lebensbereichen seid ihr ja eher im Digitalen zu Hause.
Dominik: Vielleicht genau deswegen. Und weil wir durch diese Pandemie um diese Jubiläumserfahrung gebracht wurden. Wir hätten da auch mehr ältere Sachen gespielt. Das Buch ist jetzt eben ein Andenken für uns selbst, und vielleicht finden es auch ein paar Leute gut genug, um es zu bestellen. Ich glaube, es ist ganz witzig. denn ja, da sind tatsächlich auch witzige Bilder drin. Zumindest sind Bilder dabei, über die ich lachen muss und bei denen ich mir vorstellen kann, dass auch andere Menschen zumindest ein wenig schmunzeln.