DIE STIMME DER VERNUNFT

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Fensterplatz an der automatischen Jalousie

110. Woche – Fensterplatz an der automatischen Jalousie
- Selbstgebastelt. Früher gab es statt Blumen oder Faber-Sekt noch selbstgebastelte Aschenbecher zum Muttertag. Warum? Weil die Eltern alle noch geschlotet haben, als gäbe es kein Morgen. Außerdem war es eines der wenigen Dinge, die selbst Kinder mit zwei linken Händen oder gar keinen (mundgeblasen) hingekommen haben. Bei genauerem Hinsehen waren die Aschenbecher die Ermutigung zum Weiterrauchen. Rückblickend hätten wir wohl besser Blumen klauen sollen.
- Pandemie und Leberwerte. Das neue Album der FEHLFARBEN. Ein kritischer Rückblick auf die letzten Jahre der Seuchenbekämpfung.
- Kurze Beine. Nahezu jeder Konflikt, jeder Krieg, jede Invasion beginnt stets mit einer Lüge.
- Wandern. Offenbar bin ich langsam in dem Alter angekommen, wo ich froh bin, keine eigenen Kinder zu haben, die ich, in Ermangelung von aufsichtsberechtigten und befähigten Personen, mit in die Wälder schleppen würde, so wie es meine Eltern zu meinem Besten/Leidwesen mit mir gemacht haben. Etliche Bergurlaube mit zig Höhenmetern, endlose Waldwanderungen ohne ausreichend Flüssigkeit und Sonnenschutz, Tausend langweilige Wege und Jahrzehnte später, verstehe ich das Ganze zwar immer noch nicht (ist es die Ruhe, die Abwesenheit von anderen nervenden Menschen, sind es die Pollen, die juckenden Augen oder die Blasen an den Füßen?), aber es beginnt mir langsam so etwas Ähnliches wie Freude zu bereiten. Nur noch zehn Kilometer, dann gibt’s vielleicht ein Eis.

111. Woche – Nicht vor Ort
- Altes Ehepaar. Über die letzten zweieinhalb Jahre haben wir uns etwas auseinandergelebt. Ich werde geweckt, muss Frühstück machen, er schlingt es runter (oder auch nicht) und legt sich wieder ins noch warme Bett, während ich zur Arbeit fahre oder im Nebenzimmer zu meinem eigenen Frühstück die ersten Mails bearbeite. Da hätte ich auch glatt Kinder großziehen oder heiraten können. Verdammter Kater!
- Reviews. Nach nunmehr fast vierzig Jahren Schreiben von Reviews muss ich gestehen, dass es zunehmend schwerer fällt, weil alle Worte gesagt, jeder Superlativ ausgereizt und Plattitüden einfach nicht mein Ding sind. Die Beschäftigung mit einem Tonträger jedweder Art fällt manchmal leichter, meistens aber eben doch schwerer.
Dabei wäre es manchmal doch so einfach, einen platten Verriss zu liefern, aber was da vor einem liegt, ist das Ergebnis vieler Stunden Bandprobe, kreativer Ausdruck, und unter dem Strich verdammt viel Arbeit, für das die Beteiligten Abstriche bei Beziehungen, Job, Ehen und Freizeit in Kauf nehmen. Von daher erfordert jeder Release eine ehrliche Beschäftigung, Einordnung und aufrichtigen Respekt gegenüber dem fertigen Tonträger, ganz egal wie durchschnittlich oder schlecht er auch ausgefallen sein mag. In erster Linie bin ich immer noch Fan und mache das nicht als Job, sonst wäre ich wahrscheinlich längst verbittert. Das beantwortet vielleicht die Frage, warum es wirklich selten zu Totalverrissen kommt, auch wenn es so viel einfacher wäre. Manchmal kann aber auch ich mich nicht zurückhalten, und zwar immer dann, wenn das große Maul auf dem Beipackzettel nicht zum Inhalt der Platte passt.
- Showdown. Kurz vor dem Showdown präsentiert der Schurke seinen Masterplan, wie er Orangendonald aus einer Feigwarze geklont und in den Westen geschmuggelt hat. Er präsentiert die Bilder aus einem Moskauer Hotel, die angeblich nie existierten, und legt allen dar, wie der Ablauf für die nächsten Stunden sein wird. Anschließend kommt entweder ein 00-Agent mit der gewissen Lizenz oder Batman ins Spiel, um die Erde zu retten, andernfalls wird’s echt blöd.
- Dummes Ding. Wenn das Kind jetzt noch COVID-19 mit nach Hause einschleppt, gibt’s nach der Quarantäne gleich noch mal eine Woche Hausarrest und WLAN-Verbot obendrauf. Himmelzackra!

112. Woche – 25% Bürotime
- Ich bin ein roter Sputnik!. Allein im toten All!
- Der ursprüngliche Plan. Nach Wochen des Überlegens, was der eigentlich Plan gewesen sein könnte, komme ich zu keinem komplexen Ergebnis, nur zu einer erschreckend einfachen Erklärung: Einmarschieren, Plündern, Marionetten installieren, ruckzuck wieder raus, den Rest regelt der Markt. Doch so simpel.
- Superkräfte (Pt. 1.257). Dinge, die nur Katzenbedienstete können: Mit gerade mal zwei Küchentüchern einen riesigen Göbel frische Katzenkotze absolut rückstandfrei aufsaugen und gegenüber den konsternierten Gästen so tun, als wäre absolut nichts gewesen.
- Reste. Die überproportional vollen Restekisten des diesjährigen RSD lassen mehrere Rückschlüsse zu:
- verdammt viel falsch eingekauft,
- es wurde überdurchschnittlich viel Scheiß veröffentlicht,
- es gibt offenbar doch noch Schmerzgrenzen bei manchen Menschen,
- die Luft ist raus.

113. Woche – Und dann könnt ihr mich ... von hinten sehn
- Gesterntags. Früher war nicht alles besser, es war nur eben nicht so scheiße.
- Gewohnheitstier. Die erschreckend normale tägliche Wasserstandsmeldung aus dem ukrainischen Kriegsgebiet gehört mittlerweile zum Morgen wie der Kaffee zum Frühstück. Schlimm!
- Browserverlauf. Nichts ist so ehrlich wie ein ungelöschter Browserverlauf.
- Wunderwaffen. Wenn die Rede von vermeintlichen „Wunderwaffen“ ist, muss ich unweigerlich an die V1 und V2 denken, die den Kriegsverlauf zum Glück auf gar keinen Fall entscheidend verändert haben.
- Replacement Theory. Jetzt hab ich es endlich auch verstanden: Vernünftige Menschen werden durch Idioten und Gemüse ausgetauscht, das erklärt vieles.

114.-116. Woche – Packen und dann ab dafür
- Sekt-Post-IT. Merker an mich für die Rückkehr ins Büro nach dem Urlaub: Piccolo bunkern, bald verlassen uns ein paar ganz spezielle „Kollegen“ in die Rente.
- To go. Urlaubsvorbereitungen früher: Sonnencreme, Kondome, Rei in der Tube, Zahnbürste, Socken, Unterhosen.
Urlaubsvorbereitungen heute: Sticks, Impfnachweis, ein Satz Masken, Schnelltests, Kondome, Speicher der Handykamera aufräumen, Ladekabel, Zahnbürste, Auslandskrankenversicherung, wir wollen schließlich an die Ostsee.
- 31.5. Ach, wie wäre es schön, in einem Land oder auf einer Insel zu leben, die so weit vom Schuss sind, dass sich keine Sau dafür interessiert. Kein Krieg, keine „Spezialoperationen“, kein Landraub, keine „Befreiung“ von irgendwas. Irgendwo weit weg. Kurilen, Nauru, die Falklands oder Galapagos ... Moment mal!
- 9-Euro-Ticket. Der eigentliche Benefit des 9-Euro-Tickets: Dort, wo das Ticket auch für den ÖPNV gilt, musst du dich nicht mehr mit den zahllosen Tarifmodellen und Fahrscheinautomaten rumplagen. „Eine Zone oder zwei? Jetzt noch ein zweites Ticket? Ah, wieder alles von vorne. Gilt ein 24 Stunden-Ticket 24 Stunden oder nur bis zwei Uhr morgens? Ab wann ist man eine Gruppe?“ Einsteigen, keine Sorgen mehr um das besonders ausgeklügelte Tarifzonenmodell und die disintuitive Bedienungsführung des Fahrscheinautomaten machen, der heute zur Abwechslung mal kein Münzgeld annehmen will. Ich sag mal „Danke“!

116 1/2-117. Woche – Nicht bei der Arbeit
- Der Zauberstab. Ein fahrender Scherenspüler an der Uferpromenade von Boltenhagen (Strand betreten: 2,50 Euro) preist einer älteren Dame an seinem Heilsteinstand eine gezwirbelt geschnitzte Wurzel als „Zauberstab“ an. „Die geschwungenen Windungen müssen sein, damit der Zauberstab seine volle Energie entfalten kann!“ – „Hätte er Batterien, könnte er noch viel mehr Energie entfalten!“ Leider denke ich das nicht nur, sondern spreche es unmittelbar daneben aus. Meine Scham hält exakt eine Viertelsekunde an.
- Schwestern zu Flugsauriern. Zum Glück bin ich Einzelkind!
- Pümpel. Eine Saugglocke in deinem Feriendomizil spricht Bände über die Qualität der Sanitärinstallationen vor Ort. Entweder du spülst zwischen den einzelnen Arbeitsschritten auf der Toilette, gehst täglich einfach mehrmals, isst kleinere Portionen, oder du stellst deine Ernährung ganz auf Suppe um.
- Fürs Leben gern ein Landei. Ich glaube, dass ich diesen Satz mindestens 23 mal am Tag in Berlin vor mich hingemurmelt habe, manchmal auch laut.
- Konfliktteller. Für wirklich mutige oder in ihrer Wahrnehmung „gefestigte“ Paare würde ich – sofern ich eines hätte – in meinem Eventlokal einen „Konfliktteller“ als ultimative Nagelprobe auf die Speisekarte nehmen. Ein Teller, bei dem es die besonders begehrten und delikaten Dinge in ungerader Zahl oder, speziell bei den nicht teilbaren, nur einmal gibt. Besonders empfohlen für Pärchen kurz vor der Trauung, frische Lieben oder alte, die sich das erste Mal nach ihrer Auszeit wieder treffen, um vielleicht doch wieder zusammenzufinden.
- Hobby. Wären Kirchen Clubs, müssten die meisten eigentlich wegen Unrentabilität und mangelnder Auslastung längst schließen. Ähnlich wie bei anderen Franchise-Unternehmen rechnen sich drei Filialen pro Ort einfach nicht.

118. Woche – 40/60
- Land of the Free. Von den Erfindern der Prohibition, Prozac, Lynchjustiz, der Fentanyl-Therapie, Agent Orange und diesen kleinen freundlichen Bump Stocks, die mit wenigen Griffen aus halbautomatischen Waffen ein handliches Maschinengewehr machen.
- Virtuelle Realität. Wenn reale Begegnungen mit FB-Freunden nicht in peinlichem Schweigen enden und man sich auf Anhieb versteht, hat man sich offenbar nicht verklickt.
- Kriegsmüde. Beim Gedanken, dass man die Nachrichten nicht mehr lesen will, dass man langsam genug hat vom Krieg und seinen tagtäglichen Meldungen, einfach mal bewusst machen, dass es sich um ein Luxusproblem handelt, angesichts der Tatsache, dass andere das Ganze direkt vor ihrer Haustüre haben und nicht nur zu faul zum Aufstehen sind, um den Kanal zu wechseln. Vor der Realität fliehen ist etwas ganz anderes, als tatsächlich auf der Flucht zu sein, weil zu Hause wortwörtlich die Erde brennt.
- Vinyls. „Vinyls“ steht in derselben Reihe wie Lufts, Wassers, Sekts, Sands, Holzs, Dursts, Plutoniums und Vorhautverengung. Dieselben Arschgeigen geben der Stadt, in die sie hinzugezogen sind, auch lustige Kosenamen: Kölli, Stuggi, Prenzi, Münchi – so was in der Art.