V.A.

A Factory Box Set: Communications 1978 - 92

„You bastard. You put THE BUZZCOCKS and THE SEX PISTOLS and MAGAZINE on the telly. What about us?" Das waren die ersten Worte von Ian Curtis an Tony Wilson im April 1978, kurz bevor Wilson JOY DIVISION für Factory Records unter Vertrag nahm.

Factory - eine Reminiszenz an Andy Warhols Factory in New York - wurde 1978 vom ehemaligen Fernsehmoderator Tony Wilson gemeinsam mit THE DURUTTI COLUMN-Manager Alan Erasmus in Manchester gegründet.

Bis heute zählt Factory (ähnlich wie Rough Trade, 4AD und Mute Records) zu den stilprägendsten Labels seiner Zeit, wobei Factory mehr für ein gesamtmusikalisches Glaubensbekenntnis als für ein „simples" Label stand und steht.

Factory war - gerade durch die signifikante Coverdesignphilosophie von Peter Saville (Saville ist heute Art Director für die Stadt Manchester) - ein Gesamtkunstwerk (so war die Katalogisierung sämtlicher Veröffentlichungen und jedweder Form des Outputs des Labels Teil des Marketings.

Selbst das für den Plattenversand verwendete Klebeband wurde als FAC138 katalogisiert und zuletzt war FAC501 die Nummer für den Sarg von Tony Wilson), Gesinnung und Ausdruck ikonisierten Musikverständnisses.

THE DURUTTI COLUMN, OMD, JOY DIVISION und CABARET VOLTAIRE (hier mit ihrem Song „Baader Meinhof", bei dem die Band Samples aus dem deutschen Fernsehen verwendete) waren die ersten Protagonisten, die unter Factory die argwöhnische nordenglische Distanz zur elitären Londoner Punk-Szene pflegten.

1982 funktionierten Mitglieder von NEW ORDER und Tony Wilson einen ehemaligen Yacht-Showroom zu einem Club Namens Hacienda um, in dem u.a. NEW ORDER, THE SMITHS und die STONE ROSES spielten und Madonna 1984 ihren ersten UK-Live-Auftritt (umsonst) absolvierte.

Factory hatte fortan seinen später zur Legende avancierenden Pills'n'Thrills Club, der allerdings für Wilson und NEW ORDER beinahe zu einem kompletten finanziellen Ruin wurde. Die nun zum dreißigjährigen Jubiläum des Labels veröffentlichte CD-Box mit 63 Tracks skizziert die frühen Post-Punk-Bands (SECTION 25, CRISBY AMBULANCE, JOY DIVISION, A CERTAIN RATIO), diverse NEW ORDER-, ELECTRONIC- und REVENGE-Highlights ebenso nach wie die späteren „Madchester"-Szene-Protagonsiten HAPPY MONDAYS, deren Song „Sunshine and love" (1992) die letzte reguläre Veröffentlichung auf Factory war (zu diesem Zeitpunkt war Factory angeblich bereits mit zwei Millionen Pfund verschuldet).

Auf der Box finden sich auch die etwas in Vergessenheit geratenen Proto-Electroclasher 52ND STREET, deren Song „Cool as ice" einer der trockensten „Down to the floor"-Tracks auf Factory ist und 1984 gemeinsam mit dem elektrifizierenden „Looking from a hilltop" von SECTION 25 zu einem Riesenerfolg in der Clubszene von New York avancieren konnte.

Auch wenn Factory nicht das Alleinwerk des Visonärs Tony Wilson gewesen ist (Alan Erasmus war der „quite and noble one" im Team), so war er doch der geistige Vater und Phile Saxe, ehemaliger Factory-Mitarbeiter, brachte es nach dem Tod von Wilson im August 2007 auf den Punkt: „Part of me, part of Manchester, part of modern British music has died tonight." Es gibt gegenwärtig unzählige Rereleases von JOY DIVISION, NEW ORDER und A CERTAIN RATIO über deren „Sinnhaftigkeit" man trefflich streiten kann.

Die Factory Box ist indes eine sehr gelungene und würdige Werkschau eines der wichtigsten und innovativsten Plattenlabels der achtziger Jahre.